Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt:Suche nach neuer Bleibe für die Tauben vom Hauptbahnhof

Lesezeit: 3 min

Revier ohne Ruhestätte: Seit das Taubenhaus auf dem Dach des Bahnhofs weg ist, müssen sich die Tiere eine neue Bleibe suchen. Fotos: Florian Peljak (Foto: Florian Peljak)

Seit die Deutsche Bahn das Taubenhaus auf dem Bahnhofsdach geschlossen hat, beklagen Aktivisten die Situation der Tiere und suchen nach Alternativen. Nun wollen sie auf dem Dach des Gesundheitsreferats eine Bleibe schaffen.

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Das Taubensterben am Hauptbahnhof ist laut Aussage des Münchner Tierschutzvereins vorbei. Die Inspekteure hätten seit Anfang November fast keine toten Tiere mehr auf dem Dach oder in und vor den Gebäuden gefunden, sagt Lydia Schübel, die die Abteilung Inspektion leitet und auch Taubenbeauftragte ist. Andere Vogelschützer klingen weit weniger optimistisch. Der Zustand der Tiere werde schöngeredet, sagt die bis vor einem Jahr noch praktizierende Tierärztin Doris Quinten, engagiert bei der ÖDP und im Arbeitskreis Tierschutz München. "Nach wie vor sterben jeden Tag Tauben am Hauptbahnhof." Ihr würden auch jetzt noch völlig abgemagerte Tiere gebracht, "oft in einem fürchterlichen Zustand".

Die Deutsche Bahn (DB) hatte - mit Verweis auf den anstehenden Abriss des Gebäudes - den Taubenschlag auf dem Bahnhofsdach Mitte September abgeriegelt. Damit waren die ehrenamtlichen Betreuer der Taubenhilfe München, die sich bis dahin um den Taubenschlag gekümmert hatten, ausgesperrt. In den Wochen darauf wurden ausgehungerte Tiere um den Hauptbahnhof beobachtet, vor allem auf den zwei Dächern unmittelbar neben der ehemaligen Futterstelle, wo die Tauben einfach ausharrten. Taubenhelfer berichteten, dass sie am Hauptbahnhof Kadaver einsammeln und geschwächte Vögel zum Tierarzt bringen. Tierschützer verklagten die Bahn wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Die DB sah sich tagelang einem Shitstorm ausgesetzt. Vorwürfe, sie treibe Tauben in den Tod, kamen aus dem gesamten deutschsprachigem Raum.

Tiere in der Stadt
:So eine Sau, die Taube

In München gefällt es den Vögeln in der Regel sehr gut, nur zu benehmen wissen sie sich nicht. Selber schuld: Jetzt hat der Stadtrat ihnen "den Kampf angesagt".

Kolumne von Rudolf Neumaier

Am 13. Oktober, gut drei Wochen nach der Schließung des Schlags, nahm der Tierschutzverein München in Absprache mit der Deutschen Bahn auf dem Nachbargebäude seine Arbeit auf, fütterte und tränkte die Tiere, sofern sie kamen. Stadttauben sind keine Wildtauben, sondern Haustauben und gelten als außergewöhnlich standorttreu. Inzwischen werde das Dach gut angenommen, sagt Lydia Schübel.

Nach der Schlagübernahme führte der Tierschutzverein eine Liste: 17 Kadaver in einer Woche. 78 stark geschwächte Tauben wurden zur tierärztlichen Betreuung in die vereinseigenen Volieren an der Riemer Straße gebracht. Acht davon hätten nicht überlebt, berichtet Schübel. Die anderen sollten vorerst im Tierheim bleiben. Denn die Hauptbahnhof-Tauben sollen sobald wie möglich auf das Gebäude des Referats für Gesundheit und Umweltschutz (RGU) umziehen, jene in den Volieren sollen die ersten sein. "Das ist eine große Umstellung für die Tauben", sagt Lydia Schübel; in die Bayerstraße sei es deutlich weiter als auf das Dach nebenan. Auch könne man nicht den gleichen Schlag benutzen, er sei für das RGU-Gebäude zu schwer, ein neuer müsse gebaut werden. Stehe der Schlag, geplant ist Ende des Jahres, wolle man die Tauben nach und nach umziehen.

Tierärztin Quinten glaubt nicht an den Termin. Soweit ihr bekannt, gebe es beim RGU-Haus ein noch ungelöstes Statikproblem. "Ich sehe dort bis Jahresende kein Taubenhaus." Überhaupt gehe es, was Tauben betreffe, in München sehr zäh voran. So habe der Stadtrat bereits vor Jahren beschlossen, jährlich zwei Taubenhäuser aufzustellen. Nichts sei passiert. Quinten regt einen runden Tisch an, mit den verschiedenen Taubenvereinen und dem Tierschutzverein, mit Stadträten, Referaten, auch dem Veterinäramt. Man müsse sich zusammenraufen. "Die einen behaupten dies, die anderen das, und es geht nichts vorwärts."

Die Deutsche Bahn hat bereits eventuelle Fehler in der Kommunikation mit den ehrenamtlichen Taubenhelfern eingestanden, ihnen aber keine weitere Zusammenarbeit angeboten. Die Taubenhilfe habe den Schlag als reine Futterstelle missbraucht, so der Vorwurf der DB. Es sei nichts gefunden worden, was darauf schließen lasse, dass der Taubenbestand, wie bei städtischen Taubenschlägen intendiert, durch den Austausch der Eier gegen künstliche reguliert und reduziert werde. Lydia Schübel ist nicht glücklich darüber, wie es gelaufen ist. Das "Gehetze" gegen die Bahn müsse aufhören. "So soll es nicht laufen, das ist bedauerlich." Bei Taubenprojekten sei man ja gerade auf die DB angewiesen. Es gehe nun ein bisschen auch um Schadensbegrenzung, sagt Schübel.

Die Grünen/Rosa Liste haben am Montag einen Antrag eingereicht, sie wollen den Taubenbestand in München durch die Einrichtung von weiteren Taubenschlägen regulieren und reduzieren. In einem gemeinsamen Antrag mit der Fraktion SPD/Volt fordert die grünrosa Fraktion die Stadtverwaltung auf, geeignete Standorte für die Taubenschläge zu suchen. Die ÖDP im Stadtrat hat in den vergangenen drei Wochen bereits sieben Anträge zum Thema gestellt. Auch sie fordert mehr Schlagplätze - und eine umfassende Überarbeitung des Taubenkonzepts.

Lydia Schübel hat beobachtet, dass seit zwei Wochen weit mehr Tauben als vorher im Taubenhaus auf dem Dach des Karstadts an der Münchner Freiheit aufschlagen, auch ein Schlag, den der Tierschutzverein betreut. Das Haus sei jetzt überbelegt, man wisse nicht, wo die vielen Tauben plötzlich herkämen. Wahre Taubenfreunde würden allerdings nicht die These unterstützen, dass die Hauptbahnhoftauben eine Futterstelle über diese weite Distanz in so kurzer Zeit annehmen können, deshalb halte sie sich mit einer Einschätzung zurück. Aber es sei schon merkwürdig, sagt sie, dass die Population dort mit einem Schlag immens gestiegen sei.

© SZ vom 13.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt
:Die Tauben ziehen an die Bayerstraße

Bahn sieht sich von Tierschützern zu Unrecht unter Druck gesetzt

Von Birgit Lotze

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: