SZ-Adventskalender:"Für die Kinder ist die Situation ganz schwierig"

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Gruppenbild am Bettrand: Sarah und Aurel P. leben mit ihren vier Kindern auf engstem Raum. Geschlafen und gegessen wird im einzigen großen Raum der Einzimmerwohnung. (Foto: Florian Peljak)

In einem 15 Quadratmeter großen Zimmer spielt sich der ganze Alltag einer sechsköpfigen Familie ab. Bei der städtischen Wohnungsvergabe gehen die Eltern regelmäßig leer aus. Trotzdem ist Aurel P. ein Mensch von großer Zuversicht.

Von Andrea Schlaier

Am Tag, bevor der Besuch zum Interview kommt, streicht Aurel P. nochmal die Wand. Es soll nichts nützen. Der Schimmel zieht sich wie ein leiser Schatten über die Fußleisten nach oben. "Im Winter kommt immer der Schimmel, weil das Haus nicht isoliert ist, er schlägt dauernd durch." Aurel P. zieht entschuldigend die Schultern hoch. Vor der geweißelten Wand mit den dunklen Flecken steht das große Ehebett, am Fußende ein Einzelbett, das sich die sieben und drei Jahre alten Söhne der P.s teilen; gegenüber noch eins für den großen Bruder mit 16 Jahren. Die sechs Monate alte Tochter nehmen die Eltern zu sich. Auf 15 Quadratmetern spielt sich das Familienleben der P.s ab: In diesem Zimmer essen sie, spielen, empfangen Freunde, schauen fern und hier legen sie sich nachts zur Ruhe.

"Ich weiß," sagt Aurel P., "anderen Leuten geht es noch schlechter." Der 40-Jährige ist ein Mensch von großer Zuversicht. "Wir haben was zum Essen und sind nicht in Wohnungsnot. Wir haben ein Wohnungsproblem." Der dreijährige Sohn Maxi, der eben von der Kita heimgekommen und auf Papas Schoß geklettert ist, fixiert interessiert den Gast, der auf dem einzigen Stuhl am runden Tisch bei der Tür Platz genommen hat. Die anderen Familienmitglieder sitzen auf der Bettkante und lauschen. Nur Markus, mit seinen sieben Jahren, liegt in seinem Bett und kann die Augen nicht von einem blinkenden Spielzeug lassen. Tagsüber besucht das autistische Kind die Bayerische Landesschule für Körperbehinderte.

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"Die Wohnverhältnisse der überaus freundlichen und liebevollen Familie können als katastrophal beschrieben werden", hat eine Mitarbeiterin des Sozialbürgerhauses Neuhausen-Moosach, die die P.s betreut, deren Situation umschrieben, damit man weiß, worauf man sich gefasst machen muss. Aurel P. würde das so nicht unterschreiben. Die Einschätzung lässt zu wenig Raum für seinen Optimismus. Der Rumäne lebt seit 2006 in München, arbeitet hier fast ununterbrochen als Heizungsmonteur. "Wissen Sie, ich bin ein fleißiger Mann, ich arbeite gern, verstehe meinen Job und komme gut mit den Leuten aus."

Winterschuhe für die Kinder wären nötig

Er stellt das klar, weil er seit Juli keine feste Arbeit hat. Sein Chef, mit dem er den Zweimannbetrieb schmeißt, ist krank und damit könne er auch nicht zu den Kunden gehen. Keine Badrenovierungen, keine Heizungskästen auswechseln, keine Auftragsarbeit für andere Firmen. "Ich habe ein paar Jobs gemacht mit der Sofortvermittlung, dann bin ich vorübergehend gestrandet. "Momentan leben wir von Hartz IV". Weil der alte Chef auch der neue bleibe und voraussichtlich im Januar wieder die Arbeit aufnehme, hat sich auch der vierfache Familienvater keine neue Stelle gesucht.

Dafür müssen die sechs nun mit weniger Geld auskommen. 1500 Euro plus Kindergeld. Kürzlich hat der Fernseher seinen Geist aufgegeben; dafür hätten sie gern Ersatz, und auch Winterschuhe für die Kinder wären notwendig, sagt Aurel P. und versichert sich noch einmal des Familienwunsches mit einem Blick zu seiner Frau Sara, die die brabbelnde Tochter Sonja fest im Arm hält. Sie nickt.

2013 ist die 37-Jährige von Rumänien mit dem damals noch einzigen Kind des Paares, dem sieben Jahre alten Christian, zu ihrem Mann nach München gezogen. Die Einzimmerwohnung mit Küche und Bad auf dem freien Markt, in der sie bis heute leben, haben sie damals über Geschäftsbeziehungen von Aurel P. bekommen. Die Familie ist gewachsen. Die Wohnung nicht. Und auch der Verdienst hat immer weniger gereicht, zusätzliche Sozialleistungen waren notwendig, weil Aurel P. seinen Job nicht Vollzeit ausüben kann. Beim zweiten Sohn wurde frühkindlicher Autismus diagnostiziert und eine Muskeldystrophie. Der Große hat die Förderschule besucht. Weil seine Frau nicht so gut Deutsch spreche, "muss ich viel organisieren, Termine in der Schule, Therapien, Behörden, der Älteste hat chronische Zahnprobleme, meine Frau Gastritis; ich kann nicht jeden Tag weg sein."

Sara P. ist der Stress auf den Magen geschlagen

Der Stress durch das beengte Wohnen, sagt Sara P., sei ihr auf den Magen geschlagen. Der älteste Sohn besucht bereits die Berufsschule, er will Automechaniker werden. Ob er im Wohn-und Schlafzimmer auch lernen könne? "Hmm", sagt der stille junge Mann erst und entschließt sich dann zum Kopfschütteln. Seine Freunde kämen ihn schon auch in diesem Zimmer besuchen. "Aber oft treffen wir uns vorne auf der Straße." Die Familie wohnt in einem Mehrfamilienhaus in einer fast ländlichen Moosacher Wohngegend.

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"Für die Kinder ist die Situation ganz schwierig", sagt Aurel P. "Weil sie können sich nicht so entwickeln. Nur ein Zimmer, das ist schwierig." Seit Jahren suchten sie eine größere Wohnung. "Christian bräuchte sein eigenes Zimmer, die zwei jüngeren Söhne ein gemeinsames und ich und meine Frau einen Rückzugsraum."

Die P.s sind bei der Wohnungsplattform "Soziales Wohnen online" (Sowon) registriert. Wohnungssuchende mit einem gültigen Bescheid des städtischen Amts für Wohnen und Migration haben hier die Möglichkeit, nach Angeboten zu suchen und ihre Bewerbung abzugeben. Die Behörde wählt aus allen Bewerbungen fünf Haushalte mit höchster Dringlichkeit aus, die dann Kontakt zum Vermieter aufnehmen und das Appartment besichtigen können.

Ein Christbäumchen muss noch Platz finden im Zimmer

Die P.s waren schon einige Male dazugeladen. Sie sind in der höchsten Dringlichkeitsstufe. "Wir haben die Wohnungen angeschaut, alle Papiere ausgefüllt, aber es hat leider nicht funktioniert." Der 40-Jährige schnauft. "Sie müssen sich vorstellen, da bewerben sich 900, tausend Familien für jedes Angebot."

Fürs Weihnachtsfest haben sie sich gedanklich längst aufs Bleiben im Jetzt eingerichtet. Die sechs werden in der Mitte des Raums, dort wo viele bunte, übereinander gelegte Teppiche den Fußboden wärmer machen, einen Christbaum aufstellen. Krautwickel und Fleisch soll es geben. "Wir sind eine katholische Familie, haben Rituale und singen dann auch", sagt Aurel P. und lächelt. Vielleicht streicht er vorher nochmal die Wand.

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