Am Anfang herrschte Wildwuchs in Miesbach: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regionalentwicklung Oberland (Reo) druckten Word-Formulare aus, um ein paar Tage Urlaub zu beantragen; die Arbeitszeit erfasste der eine mit Excel, die andere hatte sich eine App aufs Handy geladen; und Krankmeldungen wurden persönlich oder vom Postboten im Büro abgeliefert. So konnte es nicht weitergehen, fand Bahar Yilmaz, die bei der Reo für das Personalmanagement zuständig ist.
Yilmaz suchte im Internet nach einer Lösung und entdeckte Personio. Seither werden die Personalakten in Miesbach digital geführt, alle Kolleginnen und Kollegen nutzen die Software des Münchner Start-ups, und Yilmaz hat endlich Zeit für andere Aufgaben. "Alle waren vom ersten Tag an begeistert, weil das Programm so anwenderfreundlich ist", sagt die Personalmanagerin. "Aber klar, wir waren vorher nicht gut aufgestellt. Jetzt arbeiten wir professionell."
Hanno Renner, Mitgründer und CEO von Personio, hat solche Geschichten schon oft gehört. "Der Status Quo ist in vielen Betrieben eine Mischung aus gar keiner Software, Papier, E-Mails und ein paar Programmen für lokale Probleme", sagt er. Sein Unternehmen hat eine Human-Resources-Software (HR) für kleine und mittelständische Unternehmen entwickelt. Mit ihrer Hilfe können Betriebe alle administrativen Personalprozesse mit möglichst wenig manueller Arbeit erledigen, die notwendigen Daten im Blick behalten, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine "bessere Erfahrung" verschaffen, wie Renner es nennt.
Hier reichen Beschäftigte zum Beispiel mit dem Handy einen Urlaubsantrag ein, laden ihre Krankmeldung hoch, schauen nach, wer gerade für ein Meeting verfügbar ist. Und die Personaler können Bewerbungsgespräche führen, Gehaltsabrechnungen erledigen oder Weiterbildung anbieten. "Personio macht diese Prozesse weniger fehleranfällig und für alle Seiten effizienter und angenehmer", sagt der Gründer. "Das sind die Vorteile des digitalen Zeitalters."
Der Bedarf scheint groß zu sein: Personio zählt mittlerweile mehr als 8000 Unternehmen und Organisationen zu seinen Kunden. Noch viel größer ist die potenzielle Kundschaft. "Wir bedienen nicht mal ein halbes Prozent des Marktes", sagt Renner. Der Markt, das sind 1,7 Millionen kleine und mittelständische Unternehmen in Europa, die zwischen zehn und 2000 Mitarbeitende haben; allein in Deutschland gibt es 440 000 Betriebe in dieser Liga. Renner ist zuversichtlich: "Wir stehen ganz am Anfang und sehen in Deutschland, aber auch europaweit ein Riesenpotenzial für uns."
Personio wurde 2015 von Hanno Renner, Roman Schumacher, Arseniy Vershinin und Ignaz Forstmeier gegründet. Kurze Zeit später stieß Jonas Rieke hinzu. Sie haben sich am Center for Digital Technology & Management (CDTM) in München kennengelernt, das Studierenden der TUM und der LMU ein interdisziplinäres Programm anbietet. "Wir waren eine bunt gemischte Truppe", erzählt Renner. "Roman hat Medieninformatik studiert, Arseniy Informatik, ich habe Wirtschaftsingenieurwesen studiert, Jonas Geografie."
Wie kommt eine Gruppe an Studenten dazu, sich mit den eher bürokratischen und langweiligen Prozessen in Personalabteilungen zu beschäftigen? Über einen Freund, der in einem 100-Personen-Unternehmen damit beschäftigt war, die Personalprozesse über Excel abzuwickeln. Und der fand: Das ist kein Spaß. Software von IBM oder SAP, die für Konzerne mit mehreren zehntausend Mitarbeitern entwickelt wurde, war für die kleine Firma aber zu teuer und zu sperrig.
Also haben die Gründer nach Möglichkeiten gesucht, die Vorteile, die große Unternehmen bei der Personalverwaltung schon hatten, auch kleineren Unternehmen zur Verfügung zu stellen, aber auf eine andere, benutzerfreundliche Weise - und so, dass diese keine großen IT-Budgets dafür brauchen. Deshalb ist die Personio-Software auch Cloud-basiert - das spart Investitionen in kostspielige Hardware. "Damit die sensiblen Personaldaten bei uns sicher sind, liegen sie nur auf deutschen und europäischen Servern und verlassen diese auch nicht", sagt Renner.
Das Corona-Virus hat das Geschäft noch beschleunigt. In den Personalabteilungen haben sie gemerkt, dass es in einer hybriden Arbeitswelt schwierig ist, mal kurz ins Büro zu kommen, um einen Urlaubszettel oder Krankenschein abzugeben. "Der Großteil des Marktes wird bis heute auf Papier abgewickelt", sagt Renner. "Es geht also darum, die Digitalisierung voranzutreiben. Da ist noch viel zu tun, auch und gerade jetzt in der Rezession." Viele Unternehmen leiden unter Kostendruck und müssen effizienter arbeiten, die HR-Beauftragten suchen angesichts des Fachkräftemangels händeringend Personal und können sich nicht mehr darum kümmern, bedrucktes Papier von einem Büro ins nächste zu tragen, damit die Chefin mit der Hand unterschreiben kann, um es schließlich abzuheften.
"Der Aufwand für die Vorbereitung der monatlichen Lohndaten ist dank Personio um 50 Prozent gesunken", sagt Reo-Mitarbeiterin Bahar Yilmaz. "Wir haben zugleich sehr viel Papier gespart, weil wir Abrechnungen nur noch digital erstellen." Die Bürokauffrau ist froh, dass vieles jetzt mit wenig Aufwand funktioniert und sie Zeit hat, neue Tools zu entdecken, die Personio bietet. Zum Beispiel könne sie sich anzeigen lassen, wie viele Resturlaubstage die knapp 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regionalförderung noch haben, oder sich informieren, wie viele Minus- und Überstunden es gerade in den Teams gibt.
Allerdings hat sie auch noch einen Wunsch an die Entwickler: Sie würde gerne die Reisekosten, die jeder Beschäftigte bei Personio in seinen Account eintragen kann, mit dem Lohn abwickeln - und nicht eigens anweisen müssen. Gut möglich, dass diese Aufgabe noch gelöst wird. "Wir arbeiten sehr eng mit unseren Kunden zusammen", sagt Renner.
Nun war Software bislang nicht die große Stärke der Europäer. Das letzte Software-Unternehmen von Weltrang wurde in den Siebzigerjahren gegründet: SAP. "Wir wollen zeigen, dass wir in Europa führende Digitalunternehmen aufbauen und führen können", sagt Renner. "Das ist unsere Ambition." Lange waren digitale Innovationen vor allem in den USA und China beheimatet. Inzwischen gibt es aber auch in Deutschland die nötigen Talente, das Kapital und Kunden, die eine Software auch für neue Anwendungsbereiche nutzen wollen.
Standen anfangs Geschäftsmodelle im Vordergrund, die Unternehmen mit Konsumenten verlinken, wie Zalando oder Delivery Hero, sind es heute Unternehmen, die sich auf Geschäfte unter Unternehmen konzentrieren. "Das ist oft ein bisschen technisch, nicht ganz so shiny, aber solide", befindet Renner. Mit Celonis, dem Spezialisten für Process Mining, und Personio gebe es aber zwei Unternehmen, die zeigten, dass die nächsten großen Software-Firmen nicht in den USA entstehen müssen, sondern genauso gut aus München kommen können.
Auch Airbnb war ein Start-up - bis das Unternehmen an die Börse ging
Trotzdem betont Renner: "Wir sind immer noch ein Start-up." Das sei kein Widerspruch zu großen Ambitionen, im Gegenteil. Junge Unternehmen würden mit ihren flachen Hierarchien, einer modernen Arbeitskultur und offenen Büros oft als hip oder cool angesehen. "Dass Start-ups auch ein relevanter Wirtschaftsfaktor sind und dafür sorgen können, dass die deutsche und europäische Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt, dass sie Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen - das geht oft unter", sagt Renner. Start-ups seien mehr als nur kleine Unternehmen. "Wenn man in die USA schaut, zum Beispiel auf Airbnb: Die haben sich auch Start-up genannt, bis sie an die Börse gegangen sind."
Börse? "Unser Anspruch muss es sein, ein über Jahrzehnte nachhaltig erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, das irgendwann konsequenterweise auch Mitglied im Dax ist."
Unternehmen: Personio
Geschäftsidee: Personalsoftware, mit der Unternehmen alle Mitarbeiterdaten zentral managen können - von der Lohnabrechnung bis zum Urlaubsantrag
Beschäftigte: rund 1700 Mitarbeitende
Standorte: München, London, Dublin, Amsterdam, Madrid, Berlin, Barcelona
Kunden: mehr als 8000
Gründungsjahr: 2015
Gründer: Roman Schumacher, Arseniy Vershinin und Hanno Renner
Finanzierung: Personio wurden bislang rund 690 Millionen Euro an Kapital bereitgestellt
Firmenwert: 8,1 Milliarden Euro
Smart, erfolgreich und zukunftsweisend - die SZ stellt in einer Serie die wertvollsten Start-ups Münchens vor. Lesen Sie in der nächsten Folge, wie Scalable Capital mit günstigen Gebühren die Geldanlage demokratisiert hat.