Fünf Tage lang hat er gegrübelt, er war hin- und hergerissen: alles Hinwerfen und einem letzten Versuch, seine politische Karriere zu retten. Am Donnerstagvormittag versandte der Bundestagsabgeordnete Florian Post dann eine Mitteilung mit der Überschrift "Jetzt erst recht! Ich werde um jede Erststimme kämpfen!". Trotz seines Debakels bei der Aufstellung der SPD-Liste wird er als Kandidat im Münchner Norden zur Bundestagswahl wie geplant antreten. Er werde einen reinen Persönlichkeitswahlkampf führen und sich nicht um Zweitstimmen für die SPD kümmern, kündigte der 39 Jahre alte Post an.
Die Zukunftsfrage hat sich für den Mann, der seit acht Jahren dem Bundestag angehört, seit dem vergangenen Samstag völlig unerwartet gestellt. Er war bis zum Bezirksparteitag von der Münchner SPD als Spitzenmann für Oberbayern vorgesehen und sollte damit einen prominenten Platz auf der Bayernliste erhalten. Damit wäre er über die Zweitstimmen wieder sicher in den Bundestag eingezogen.
Sein Münchner Parteikollege und Kandidat im Münchner Süden, Sebastian Roloff, trat jedoch überraschend gegen ihn an und hatte ohne Wissen des Münchner Vorstands eine Mehrheit für sich organisiert. Der Münchner Parteivize Roland Fischer trat aus Ärger darüber am Montag von all seinen Ämtern zurück. Post fühlte sich zu Unrecht angegriffen und trat für keinen weiteren Listenplatz mehr an. Das ist für einen SPD-Kandidaten in Bayern fast gleichzusetzen mit dem Karriereende als Abgeordneter.
Das letzte Mal war es Axel Berg im Jahr 2005 gelungen, ein Direktmandat im Freistaat zu gewinnen. Post hatte ihm vor der Wahl 2013 dann den Wahlkreis im direkten, parteiinternen Duell abgenommen, mit kräftiger Hilfe der Parteizirkel. Der Münchner Norden gilt als der aussichtsreichste Wahlkreis der SPD in Bayern, Post lag allerdings 2017 bei den Erststimmen mehr als sechs Prozent hinter dem Sieger Bernhard Loos von der CSU. Als Rebell gegen Parteiklüngel aller Art will er diesen nun angreifen. "Nicht die Funktionäre in Mauschelrunden und Hinterzimmern haben das letzte Wort, sondern die Wählerinnen und Wähler. Wer diesen Leuten eine mitgeben will, muss mich halt wählen", sagte er am Donnerstag.
Mit Post wird Alt-Oberbürgermeister Christian Ude wieder in den Bundestagswahlkampf ziehen, sein Förderer und politischer Wahlkampfmanager. Auch er versandte eine Mitteilung, die dazu im Ton passt. Ude macht wie sein Schützling einen "Hinterhalt" und "Heckenschützen" in der Partei aus. Dabei habe Post bei der letzten Bundestagswahl das beste Erststimmen-Ergebnis der SPD in Oberbayern geholt, betonte Ude. Natürlich habe diese "oberbayerische Funktionärskonferenz" das Recht gehabt, Post nicht zu wählen. "Wie sie auch das Recht hat, ihren Absturz in der Wählergunst fortzusetzen."
Es gehe im Streit der Oberbayern-SPD keineswegs um Stilfragen, das zeige die Tatsache, dass auch die Bundestagskandidatin Bela Bach aus dem Landkreis München bei der oberbayerischen Listenreihung erfolgreich angegriffen worden sei. Wie Post sei sie eine, die Kritik an der bayerischen SPD geübt habe. "Solche Majestätsbeleidigung konnte die Kohnen-Grötsch-SPD offensichtlich nicht hinnehmen", greift Ude namentlich die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen und Generalsekretär Uli Grötsch an, der als bayerischer Spitzenkandidat in die Bundestagswahl gehen soll und sich um die Nachfolge Kohnens an der Spitze der bayerischen SPD bewirbt. SPD-Chefin Kohnen sagt nur so viel zu den Anwürfen: "Demokratische Prozesse können sehr schmerzhaft sein, wenn man verliert. Es kostet viel Kraft, mit Haltung und Blick in die Zukunft zu gehen."
Nach Tagen des Schweigens hat sich nun Oberbürgermeister Dieter Reiter in den Streit der Münchner SPD eingeschaltet. Er versucht, der Niederlage von Post auf dem Oberbayernparteitag und der damit verbundenen Blamage des Stadtvorstands die Brisanz zu nehmen. "Ein innerparteilicher Wahl- und Aufstellungsvorgang, der zugegebenermaßen offenbar nicht so gelaufen ist, wie sich das der Münchner Parteivorstand vorgestellt hatte", nennt er das Votum. "So etwas ist für die Gremien ärgerlich, aber beileibe keine echte Herausforderung für die SPD an sich." Es müsse intern und bei den Wählerinnen und Wählern viel mehr um wichtige Sachthemen wie das Kurzarbeitergeld, den Mindestlohn oder die Grundrente gehen - und nicht um "kleinteilige machtpolitische Geplänkel".