Münchner Spaziergang:Auf einen Wein zu den Banksitzern

Lesezeit: 1 min

Viele schönere Orte als den Weißenburger Platz dürfte es in der Stadt nicht geben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wer die Haidhauser verstehen will, auch und gerade in Corona-Zeiten, muss einfach nur zum Weißenburger Platz schauen

Kolumne von Heiner Effern

Wer verstehen will, warum so viele Haidhauser ihr Viertel so lieben, kann wunderbare Spaziergänge unternehmen. Vom Ostbahnhof etwa über den grünen Bordeauxplatz die Wörthstraße hinauf bis zum Johannisplatz und hinüber zum Wiener Platz, weiter in die Maximiliansanlagen und hinunter an die Isar. Wundervolle Jugendstilhäuser, Gaststätten und Bars, Marktstandl und der Biergarten im Hofbräukeller, Geschäfte und Läden, die nicht genauso aussehen wie die Klon-Verkäufsräume der Filialisten in der Innenstadt. Naja, im Moment bleibt nur die Isar und die Außenansicht. Virusbedingt heißt es ja: draußen bleiben.

Wer die Haidhauser verstehen will, auch und gerade in Corona-Zeiten, kann sich auch einfach nur auf eine Bank am Weißenburger Platz setzen. Viele schönere Orte in der Stadt dürfte es nicht geben, die Rabatten werden mehrmals im Jahr liebevoll neu bepflanzt, im Zentrum steht der Glaspalastbrunnen, den August Voit 1853 ursprünglich für den Alten Botanischen Garten geschaffen hatte. In Blickweite drei Bio-Supermärkte, Spiegel der öko-affinen Wohlstandsbevölkerung ringsum. In Blickweite auch all die geschlossenen Restaurants und Bars und die fehlenden Tische und Stühle draußen.

Gleich zu Beginn war auch hier eine Art Corona-Schock festzustellen. Der Platz so leer, wie man ihn noch nie erlebt hatte. Doch das währte nur kurz, schnell hat sich ein Rhythmus eingebürgert: Schon am Morgen kommen mit den ersten Sonnenstrahlen die ersten Banksitzer. Kurz darauf die Kinderwagen-Schieberinnen und -Schieber mit ihren SUV-Modellen, die von den geschlossenen Spielplätzen herüber ausweichen. Mittags sind auch die trockenen Brunnenumrandungen bei Sonne meist gut besetzt. Noch hält die 1,5-Meter-Distanz. Doch der Platz füllt sich an vielen Nachmittagen weiter.

Wer wohlmeinend drauf blickt, kann immer noch ein braves Abstand-Bemühen erkennen. Wer weniger wohl gesinnt ist, kann eine Art Corona-Anarchie feststellen. Mangels freien Platzes im Viertel kommen mehr Menschen, als das Virus eigentlich zulässt. Manche kompensieren die geschlossenen Freiflächen der Wirte mit einer selbst mitgebrachten Flasche Wein. Die Stammtrinker auf den Bänken hin zur Metzstraße sind auch längst zurück. So richtige Corona-Leere kehrt nur nachts ein, man merkt dass die Barbesucher ausbleiben, die sonst zu jeder erdenklichen Zeit über den Platz ins angrenzende Franzosenviertel schlendern. Apropos Franzosen: Unter diesen hat das Virus noch viel fieser zuschlagen, ihre Ausgangsbeschränkungen sind noch deutlich härter. Deshalb ein Gruß hinüber von der Place de Wissembourg: Bon courage, à bientôt. Hoffentlich.

© SZ vom 05.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: