Mieterschutz:Streit um neuen Kurs beim Wohnungsbau

Lesezeit: 3 min

Trotz vieler Baustellen - im Bild das ehemalige Paulaner-Gelände am Nockherberg: Wohnungen bleiben in München Mangelware. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wegen strengerer Regeln für Investoren gibt es im Stadtrat massive Kritik an Grün-Rot. CSU, FDP und Linke sind gleichermaßen unzufrieden - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Von Sebastian Krass

Würgt die Stadt den Bau neuer Wohnungen durch private Investoren ab? Oder entwickelt sie die Spielregeln so weiter, dass deutlich mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht? Diese politischen Grundsatzfragen haben am Mittwoch eine zweistündige Debatte in der Vollversammlung des Stadtrats geprägt. Anlass war die von der grün-roten Rathausmehrheit eingebrachte Reform der Sozialgerechten Bodennutzung (Sobon), mit der sie die Bedingungen, zu denen die Stadt Privaten neues Baurecht für Wohnungen gewährt, deutlich verschärft.

Seit der letzten Sobon-Reform von 2017 mussten Investoren 40 Prozent des Projekts als geförderten oder preisgedämpften Wohnraum (mit einer Bindung von 25 bis 40 Jahren) errichten, die übrigen 60 Prozent konnten sie frei vermarkten, in der Regel als Eigentumswohnungen. Nachdem Grüne/Rosa Liste und SPD/Volt die neue Sobon am Mittwoch gegen die Stimmen der gesamten Opposition verabschiedet haben, gilt fortan ein sogenanntes "Baukasten-Modell", mit dem Investoren in verschiedenen Kategorien Punkte sammeln können. Das politische Ziel ist vor allem, den Anteil von Mietwohnungen zu erhöhen, insbesondere solche, die preislich deutlich unter dem Marktniveau liegen.

Wohnungsbau
:Was sich bei der "Sobon" ändern soll

Die Sozialgerechte Bodennutzung ist ein Schlüsselinstrument für die Steuerung des Wohnungsbaus durch die Politik - ein Überblick.

Von Sebastian Krass

Die Hauptkategorien sind der Anteil preisgebundener Mietwohnungen, das Verhältnis von Miet- zu Eigentumswohnungen (der Mietanteil wird durch ein Aufteilungsverbot gesichert) und die Höhe des Beitrags zu Infrastrukturkosten wie Kitas und Grundschulen. Festgeschrieben ist eine Bindungsdauer von 40 Jahren für Preisbindung und Aufteilungsverbot. Insgesamt müssen Investoren auf 100 Punkte kommen, damit die Stadt in das Bebauungsplanverfahren einsteigt, mit dem das Baurecht geschaffen wird. In einem von der Stadt vorgeschlagenen Grundmodell erreicht man das, wenn 60 Prozent der Wohnungen preisreguliert sind, der Anteil an Eigentumswohnungen bei 20 Prozent liegt und der Investor 175 Euro pro Quadratmeter Geschossfläche für die Infrastruktur beisteuert (in der Sobon 2017 waren es 100 Euro).

Wenn der Investor den Anteil von Eigentumswohnungen auf fünf Prozent reduziert, muss er im Gegenzug nur 50 Prozent preisregulierte Wohnungen bauen, kann dann also langfristig mit höheren Mieteinnahmen kalkulieren. Sonderpunkte gibt es, wenn der Investor Teile des Bauprojekts günstig an Genossenschaften oder Stadt verkauft, die dann günstigen Wohnraum ohne Bindungsfrist errichten.

CSU-Stadtrat Alexander Reissl warf Grün-Rot und namentlich Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) vor, dass sie die neue Sobon durchgedrückt hätten, ohne sich mit der Immobilienwirtschaft zu einigen - was bisher bei der Sobon immer gelungen sei. Reissl rechnete vor, dass Private bisher etwa 3000 Wohnungen pro Jahr errichtet hätten. "Diese Zahl riskieren Sie mit dem Beschluss, den Sie fassen. Und warum tun Sie das? Weil man vor Kraft nicht laufen kann, weil man die Unternehmen nicht ernst nimmt und denkt, denen gehe es nur um die Gewinne." Zudem gebe es juristische Risiken: Wenn nur ein Investor gegen die Sobon klage, dann würden alle abwarten, wie das Verfahren ausgeht.

Sobon-Regeln
:Gewagt - und gut für München

Die neuen Vorgaben für den Wohnungsbau sind nicht ohne Risiko - aber die Reform der "Sozialgerechten Bodennutzung" lohnt sich.

Kommentar von Sebastian Krass

Jörg Hoffmann (FDP) prognostizierte, "dass der private Wohnungsbau zum Erliegen kommt und dass Eigentumswohnungen und Mieten noch teurer werden". Gleichzeitig wolle Grün-Rot das Signal senden, "dass nur noch die gütige Landeshauptstadt München mit ihren Wohnungsgesellschaften GWG und Gewofag euch arme Mieter vor den bösen Investoren schützt. Wir halten diese Agenda für komplett falsch". Stefan Jagel (Linke) wiederum forderte, die Stadt müsse deutlich mehr in den Markt eingreifen, "wir dürfen die Stadt nicht den Investoren überlasen".

OB Reiter erklärte, schon bei der Sobon-Reform 2017 hätten ihn aus der Wirtschaft "Drohschreiben erreicht, dass sie nichts mehr bauen" - was sich nicht bewahrheitet habe. Er habe noch strengere Regeln zur Begrenzung von Eigentumswohnungen durchsetzen wollen. "Aber ich habe mich breitschlagen lassen, dass wir kein übermäßiges juristisches Risiko eingehen." Sein Vertrauen in die juristische Kompetenz im Planungsreferat sei "übergroß", deshalb habe er keine Sorge vor möglichen Klagen.

Christian Müller, Fraktionschef von SPD/Volt, betonte: "München ist und bleibt eine Stadt der Mieterinnen und Mieter, weil breite Schichten angesichts der Preise nicht darüber nachdenken müssen, ob sie Eigentum schaffen oder nicht." Sie könnten es sich schlicht nicht leisten. Grünen-Fraktionschefin Anna Hanusch erklärte, man habe von Firmen, die Immobilien nicht weiterverkaufen, sondern im Bestand halten, "sehr positive Signale" zur Sobon bekommen.

Wie sich die neuen Regeln auf den Wohnungsbau auswirken, wird man in einigen Monaten oder Jahren sehen. CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl kündigte der Koalition an: "Wir werden Sie daran messen, wie sich die Zahlen entwickeln. Die Realität wird Ihnen oder uns recht geben."

© SZ vom 29.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAlternatives Wohnprojekt
:"Ich verstehe gar nicht, warum nicht alle so leben"

Das Mietshäuser-Syndikat ist eine der wenigen alternativen Wohnformen in München. Sechs junge Menschen haben nun den Zuschlag für ein Haus in Ramersdorf-Perlach bekommen. Günstigen Wohnraum schaffen sie sich jetzt einfach selbst.

Von Niko Kappel, Lukas Kissel und Julia Weinzierler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: