SZ-Serie: Auf dem Sockel:Ein Standbild für den Spaziergänger

Lesezeit: 2 min

Die eine Hand leger in der Hose, in der anderen eine Zeitung: Eine Verlegerfamilie hat dem Flaneur Sigi Sommer 1998 ein Denkmal gestiftet. (Foto: Stephan Rumpf)

Sigi Sommer schrieb jahrzehntelang über München und seine Bewohner

Von René Hofmann

Wo beginnen? Am besten ganz unten. Diese Statue steht schließlich auf keinem Sockel. Es ist eher ein Sockelchen, auf dem der ältere Mann in der Rosenstraße daherkommt. Die linke Hand leger in der Stoffhose, in der rechten beiläufig eine Zeitung. Turnschuhe. Den Reißverschluss am Blouson so weit offen, dass vier Knöpfe am Hemd zu zählen sind. Charakternase. Einen leicht spöttischen Zug um den ein wenig geöffneten Mund, der Blick schweifend, Richtung Sendlinger Straße gewandt. Ein Flaneur kommt hier des Weges, ein Spaziergänger. Einer, der einer literarischen Figur nachempfunden ist, die er selbst schuf: Siegfried, genannt "Sigi", Sommer, Schriftsteller, Journalist. 1914 in München geboren und 1996 in München gestorben.

Weit in die Welt ist er nicht hinausgewandert, dieser Sigi Sommer. Wenn er wegfuhr, dann wollte er abends wieder daheim sein können in der Stadt, durch die er so gerne streifte, rund zehn Kilometer an vielen Tagen. Was ihm dabei auffiel, was er dabei erlebte, wem er dabei begegnete - das hat Sommer notiert, anfangs in den "Lokalspitzen" für die SZ, von 1949 an dann in der Kolumne "Blasius, der Spaziergänger" für die Abendzeitung. Bis Januar 1987 lief die Kolumne, was schon eine gewaltige Strecke ist. Gesäumt wurde diese noch von Romanen wie "Und keiner weint mir nach" (1954) oder "Meine 99 Bräute" (1956). Sommers Stil? Bissig, grantelnd - so, wie München und seine Einwohner in jenen Jahren gerne gesehen wurden. Über die Gaststätte "Bratwurstglöckl" am Dom notierte Sommer: "Im Glöckl bekommt man alles, was das Herz begehrt. Nur keinen Platz. Aber der steht auch nicht auf der Speisenkarte." Zu einem Mann, der nicht heiraten wollte, fiel ihm ein: "Er hört nicht auf den Ringfinger." Und zu einer Frau: Ihr Busen sehe aus, "als balle unter dem Pullover eine Maus die Fäuste". Nicht alle Werke würden heute noch so veröffentlicht, zumindest nicht widerspruchslos. Aber es waren andere Zeiten damals, als die SZ und die AZ noch in der Sendlinger Straße entstanden. Wer seinem Chef gelegentlich sein Zimmer lieh, konnte wegen Kuppelei belangt werden. So erging es Sommer 1962, als er dafür zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.

Zu seinem 70. Geburtstag lud Sommer 550 Gäste in den Augustiner-Biergarten, wo er generell gerne Hof hielt. Der Auflauf war selbst dem Spiegel ein Stück wert: "Es war wie die Sauf- und Stellprobe für einen bayrischen Himmel", notierte das Magazin, "Zuhälter mit bedrohlichen Brillantringen und die Steilwand-Kitty vom Münchner Oktoberfest waren da ebenso am rechten Platz wie Alt-Bundespräsident Scheel und der Faustkampf-Veteran Max Schmeling". Sommer, der in ärmlichen Verhältnissen in Sendling aufgewachsen war, hatte sich ziemlich weit nach oben geschrieben.

In München gibt es nicht wenige namhafte Journalisten: Enthüller, Meinungsfürsten, Demokratie-Verteidiger. Dass die Stadt in ihrem Herzen ausgerechnet einem ein Denkmal setzt, der sich ausschließlich mit ihr selbst beschäftigte - wer mag, kann das als Zeichen einer nicht unterentwickelten Selbstliebe sehen. Im Juli 1998 wurde das vom Starnberger Bildhauer Max Wagner geschaffene Denkmal enthüllt, gestiftet hat es die Verlegerfamilie R. S. Schulz. Nahbar sollte der Spaziergänger sein, was ihm nicht immer gut bekommt. Gerne werden ihm Zigaretten zwischen die bronzenen Lippen geklemmt, mitunter wird ihm auch eine Skibrille auf die Charakternase gesetzt. Es ist ein eher ungewöhnliches Denkmal. Unten wie oben.

© SZ vom 10.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: