Der Vertreter der neuen Projektentwicklungsgesellschaft Sendlinger Loch, ein Mann im Matrosenshirt, verspricht an diesem Abend auf der kleinen Bühne vor dem gigantischen, wohnblockbreiten Loch in der Erde nicht weniger als "eine revolutionäre Lösung".
Seit Jahren klafft in Sendling im Münchner Süden nämlich genau dort ein fünfzehn Meter tiefes Loch, wo längst ein Wohnhaus stehen sollte. Von oben sieht es aus, als hätte ein Riese seine Zigarette ausgedrückt. Die Pläne der Firma M-Concept, der das Grundstück an der Alramstraße 14 gehört, kann man auf einer Tafel nachlesen: "Lichtdurchflutete 1- bis 5- Zimmer-Eigentumswohnungen". Was nicht dabeisteht: Um die 18 000 Euro pro Quadratmeter Kaufpreis.
Der Mann im Matrosenhemd - Christian Stupka, den man in München bei so gut wie jedem Kampf gegen Immobilienspekulation trifft - und seine Mitstreiterinnen haben jetzt ein zweites Banner angebracht, mit ein wenig anderen Zahlen: 8,49 Euro pro Quadratmeter Miete.
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Wie wäre es denn, fragen sie, weil man wird ja wohl noch fragen dürfen, wenn man statt der Luxuswohnungen, die hier seit Jahren angekündigt werden, bezahlbaren Wohnraum schaffe? "Wir brauchen von Ihnen dann keine Schufa-Auskunft, sondern nur das Seepferdchen", sagt Stupka, der sich unter anderem bei der Münchner Initiative für soziales Bodenrecht engagiert. Die Pumpe, die hier oft Tag und Nacht das Loch vor dem Volllaufen bewahre, könne man doch einfach abdrehen, ein Stadtbad einlassen, ein paar Hausboote aufs Wasser setzen und auf Luftmatratzen der Utopie entgegenschwimmen.
Es geht an diesem nicht ganz ernsten Abend, mit Ziehharmonika und Schwimmringen, um durchaus ernste Fragen: Wem gehört die Stadt? Wer baut wo? Und für wen?
Matthias Weinzierl, einer der Initiatoren, sagt: "Dieses Loch zeigt, wie sehr der Immobilienmarkt in München aus dem Ruder gelaufen ist." Deshalb müsse man sich nun mal mit der Stadt zusammensetzen, findet die Truppe, der Sendlinger Bezirksausschuss hat bereits einen Antrag gestellt, dass die Stadt das Grundstück kaufen solle.
Der Vorsitzende Markus Lutz von der SPD sagt, man sei sich parteiübergreifend einig, man wolle keine Luxuswohnungen, und der Satz hallt auch wider aus dem Publikum: Die sollen sie doch in Bogenhausen bauen, aber bitte nicht in Sendling. Einem Stadtteil mit vielen Genossenschaftswohnungen und wenigen Hugo-Gläsern, in dem man nahe am Großmarkt lebt und fern der Maximilianstraße. Ein luxuriöser Neubau, der aussieht wie aus Manhattan nach München verpflanzt, noch dazu ursprünglich mal geplant mit Concierge-Service, kommt hier gar nicht gut an.
Und so konnte man auf Google Maps bereits ahnen, dass da was im Argen liegt, seit das Sendlinger Loch dort als Sehenswürdigkeit gelistet ist: "Fantastisches Loch! Freunde des überdimensionierten Aushubs kommen hier voll auf ihre Kosten" - "Nur wenige Orte in München bieten noch dieses Flair von Perspektivlosigkeit, sterbender Hoffnung und lähmender Verzweiflung."
Der Wert des Grundstücks stieg sprunghaft
Man muss wissen, wo heute ein Loch ist, traf sich früher mal das ganze Viertel. In dem inzwischen abgerissenen Supermarkt, auch am Obststand daneben, dessen Besitzer noch immer darauf warten, dass sie wieder verkaufen dürfen. Begonnen hat die Spekulation im Jahr 2015. Damals verkaufte ein Erbe das Areal für 30 Millionen Euro an die Firma Eurytos Wohnbau aus Vaterstetten. Die besorgte sich im April 2017 bei der Stadt einen Vorbescheid, eine Vorstufe zur Baugenehmigung, für den Neubau eines Wohngebäudes mit Einzelhandel. Mit diesem Bescheid stieg der Wert des Grundstückes, das in etwa so groß ist wie ein Fußballfeld, sprunghaft. Eurytos verkaufte es im Juli 2017 für mehr als Doppelte, für 73 Millionen Euro, an die 14 Alramstraße GmbH & Co. KG, ein Tochterunternehmen von M-Concept mit Sitz in Grünwald.
M-Concept, einer der größeren Münchner Bauträger für Luxuswohnungen, plante etwa 130 Eigentumswohnungen mit Supermarkt und Kita. "Wir haben 2020 in der Annahme, dass die finale Baugenehmigung kurzfristig erteilt werden würde, entschieden, mit dem Aushub der Baugrube anzufangen", sagt Stefan Mayr, Gründer und Chef von M-Concept. "Wir wollten Zeit gewinnen, weil wir wussten, dass es mit Beginn des Abrisses 18 Monate dauern würde, allein das Loch auszuheben. Es klingt verrückt, aber das dauert wirklich so lange."
Diese Arbeiten liefen ihm zufolge planmäßig. Seit Februar 2022 ist die Baugrube fertig, fünfzehn Meter tief für die drei Untergeschosse, einen Supermarkt und zwei Ebenen Tiefgaragen. "Eine knapp zweistellige Millionensumme" habe der Aushub gekostet, sagt Mayr, das seien etwa zehn Prozent der gesamten Baukosten.
Im Frühjahr 2022 kam dann die Baugenehmigung, mit der M-Concept loslegen wollte, im Juli hat der Vertrieb begonnen. Allerdings brach der Immobilienmarkt kurz danach zusammen, vor allem weil nach Jahren mit billigen Krediten die Zinsen sprunghaft stiegen. "Im September haben wir die erste Wohnung verkauft, aber dann war es das in München", sagt Stefan Mayr. Im Mai 2023 waren beim Grundbuchamt erst für fünf Wohnungen Reservierungen registriert.
Zwar sagt Mayr, die Vorverkaufsquote liege bereits bei 15 Prozent (möglicherweise ist der Supermarkt bereits verkauft). Er braucht nach eigenen Angaben aber eine Quote von 30 Prozent. Erst dann bekomme er von der Bank den Kredit, den er brauche, um den Bau zu finanzieren. Mit diesen Vorverkaufsquoten haben auch viele andere Investoren derzeit zu kämpfen. Und wenn Mayr seinen Kredit hat und weitermachen kann, folgt noch eine Bauzeit, die er auf 28 Monate taxiert. "Wann wir anfangen können und fertig werden", sagt er, "das kann ich heute seriös noch nicht sagen."
Christian Stupka, der Kapitän vorne auf der Bühne, sagt: "Wir sitzen in der Falle. Bei dem hohen Zinsniveau ist zu erwarten, dass hier auf Jahre nichts passiert."
Vielleicht wird der Immobilienchef Stefan Mayr also bald ein Angebot im Briefkasten haben, mit freundlichen Grüßen von der Projektentwicklungsgesellschaft Sendlinger Loch: Sie würden das Grundstück gerne zwischennutzen. Man sei auch bereit, 500 Euro im Monat zu zahlen.
Sei doch besser als nichts.