Gentrifizierung:Unbefristeter Schutz fürs Schlachthofviertel

Lesezeit: 2 min

Der Umzug des Volkstheaters trägt zur Aufwertung des Schlachthofviertels bei. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Stadtrat verlängert die Erhaltungssatzung, die alteingesessene Bewohner vor Verdrängung bewahren soll. In der Altstadt dagegen ist es für solche Maßnahmen längst zu spät.

Von Julian Raff

Das Volkstheater auf dem Viehhofgelände verleiht der Gegend zwischen Lindwurm- und Tumblingerstraße seit Oktober 2021 neuen Glanz. Doch die bescheidenen Zeiten im Schlachthofviertel sind schon lange vorbei - ohne dass sich der teure Chic hier lückenlos breit gemacht hätte. Der städtische Planungsausschuss hat daher die 1988 erlassene Erhaltungssatzung für das Viertel verlängert, nicht um weitere fünf Jahre, wie bisher, sondern unbefristet, mit Überprüfung der Datengrundlage im fünfjährigen Turnus.

Aufgehoben wurde die Frist damit bereits für 28 von 36 bestehenden Erhaltungssatzungen in München. Im südlichen Stadtzentrum wird mit dem Schlachthofviertel nach der Ludwigsvorstadt und dem Gärtnerplatzviertel die dritte von fünf Schutzzonen entfristet. Die Satzungen für die Dreimühlenstraße/Baldeplatz und das Glockenbachviertel laufen noch bis November 2023.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Das Schutzgebiet Schlachthofviertel umfasst rund 4900 Wohnungen mit 8400 Bewohnern. Für ein hohes Aufwertungs- und Verdrängungspotential spricht unter anderem, dass mit 56,2 Prozent überdurchschnittlich viele Mietwohnungen in privat gehaltenen, nicht nach Wohneigentumsgesetz aufgeteilten Häusern sind, stadtweit sind es 27,4 Prozent. Zudem liegen die Mieten bei Wiedervermietung 111 Prozent über dem Durchschnitt innerhalb des Mittleren Rings und steigen weiter überdurchschnittlich stark an. Mit 15,4 Prozent des Bestands wurden hier in den vergangenen zehn Jahren zweieinhalb Mal so viele Wohnungen umgebaut wie im Münchner Durchschnitt.

Mit Ausnahme der FDP-Fraktion, in deren Namen Jörg Hoffmann Erhaltungssatzungen als "kalte Enteignung" grundsätzlich ablehnte, stimmten die Stadträte geschlossen für die Verlängerung. Simone Burger (SPD) sprach von einem weiterhin "unglaublich wichtigen" Instrument, auch wenn das Bundesverwaltungsgericht im Herbst 2021 das damit verbundene städtische Vorkaufsrecht bis zur Unbrauchbarkeit abgeschwächt hatte.

Definitiv zu spät für den Schutzstatus ist es in der Altstadt

Das Erhaltungssatzungsgebiet wurde nur an drei Stellen leicht modifiziert und ist in etwa abgegrenzt durch die Lindwurmstraße im Nordwesten, die Ruppertstraße im Süden sowie Tumblinger- und Maistraße im Südosten. Die Grenzen sind allerdings nicht strikt entlang dieser Straßen gezogen, sondern verlaufen mit Aus- und Einbuchtungen, da das Planungsreferat jedes Haus einzeln prüft. Da die Eingriffe ins Eigentumsrecht, wie es im Beschlusstext heißt, nicht pauschal verhängt werden könnten, sehen sich Planer und Stadträte auch sonst angehalten, den Geltungsbereich präzise abzugrenzen. Eine von Bürgerseite angeregte Einheitssatzung Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt lehnen sie daher ab.

Gleiches gilt für die vom Bezirksausschuss verlangte Ausweitung nach Südosten bis zum Alten Südlichen Friedhof, wo zahlreiche Wohnheime und Kurzzeit-Apartments dagegen sprechen, dass hier Alteingesessene vor Verdrängung geschützt werden müssen. Im Norden, bis zur Beethoven- und Nußbaumstraße, herrscht dagegen eine wohlhabende und ebenfalls wenig schutzbedürftige Klientel vor. Beide Bereiche bleiben jedoch Beobachtungsgebiet.

Definitiv zu spät für den Schutzstatus ist es unterdessen in der Altstadt, deren Bewohner auf der Bürgerversammlung vom September 2022 ebenfalls eine flächendeckende Erhaltungssatzung gefordert hatten. Aus städtischer Sicht sind hier die Aufwertungs- und Verdrängungspotenziale längst ausgeschöpft. Man könnte auch sagen, die Gentrifizierung ist abgeschlossen, weshalb die dortige Erhaltungssatzung bereits 2001 ausgelaufen ist.

Ersatzweise bringt der Planungsausschuss nun eine rechtlich grundsätzlich mögliche Vorkaufsrechtssatzung für die Altstadt aufs Tapet. Ein entsprechender Änderungsantrag ging gegen die Stimmen von FDP und CSU/ Freie Wähler durch. Vize-Stadtbaurätin Jaqueline Charlier ließ durchblicken, dass ihr Haus den Prüfauftrag nicht gerade begeistert entgegennimmt. Aufwand und Ertrag seien kritisch zu sehen, man sei "schon mit vielen anderen Instrumenten dran", wie etwa dem Innenstadtkonzept oder dem Denkmalschutz, so Charlier.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusHäufung von Gewalttaten
:Alles wieder unter Kontrolle in Pasing?

Nach einer Serie von Gewalttaten nimmt die Polizei mehrere Jugendliche fest. Die mutmaßlichen Täter kommen nicht nur aus dem Münchner Westen, sondern auch aus weiter entfernten Orten - und die Polizei versucht nun herauszufinden, wie es zu dieser Ballung an Delikten kommen konnte.

Von Joachim Mölter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: