Tradition in München:Die Schäffler legen eine Sondersaison ein

Lesezeit: 3 min

Eigentlich geht der Tanz relativ einfach: einmal Hoch das Bein, dann drei Zwischenschritten, dann Hoch das andere Bein. Am Auftritt an der Staatskanzlei klappte das schon einmal hervorragend. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Eigentlich wollten sie erst 2026 wieder auftreten. Doch um angesichts von Pandemie und Krieg "Zuversicht und Hoffnung" zu verbreiten, tanzen die Fassmacher schon jetzt wieder. Erster Halt: die Staatskanzlei.

Von Stephan Handel

Niemand wird behaupten, dass Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, ein Mensch ist, dem Lob- und Ehrbezeugungen grundsätzlich zuwider sind. Was er aber an diesem Donnerstagmittag auf der Hofgartenseite hinter der Staatskanzlei genannt wird, das ist dann doch ausgesprochen starker Tobak: ein "hochwohlgeborener Herr", "unser Lehensherr", am Ende sogar noch "bayerischer König" - da hat sogar Söder zu tun, genügend Beschwichtigungsgesten unterzubringen, um nicht als gefallsüchtig zu gelten.

Aber ist das alles überhaupt ernst gemeint? Der Trupp, der da vor den Regierungssitz gezogen ist, hat zwar ein ernstes Anliegen, aber eine lustige Mission - die Schäffler tanzen wieder, weil sie der Meinung sind, die Leute brauchten nach zwei Jahren Pandemie und mehr als zwei Monaten Krieg im Osten eine Aufheiterung. So wie vor 500 Jahren, als die Fassbauer die nach der Pest deprimiert daniederliegende Bevölkerung durch Tanz und Spaßettln wieder in Stimmung brachten, so will es jedenfalls die Legende. Oder wie es das Münchner Kindl nach dem Einmarsch verkündete: "Die Straßen waren öd und leer, es stockten Handel und Verkehr."

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Und weil Handel und Verkehr sowie Stimmungslage der Bevölkerung in den Zuständigkeitsbereich des Ministerpräsidenten fallen, hat sich Söder, so sagt er später, dafür stark gemacht, dass die Schäffler ihren eigentlichen siebenjährigen Rhythmus unterbrechen - eigentlich wäre erst 2026 wieder Schäfflerjahr gewesen - und schon 2022 ihren Frohsinn verbreitenden Schreittanz aufführen.

Das tun sie jetzt allerdings nicht, wie sonst üblich, in vier bis sechs Wochen, sondern an dreieinhalb Tagen, nicht bei rund vierhundert Auftritten, sondern bei etwa 30. Und auch nicht, wie sonst üblich, im Januar und Februar, sondern im Mai - was ein Problem werden könnte, denn die historischen Kostüme sind auf Wintereinsatz ausgelegt, was sich schon nach wenigen Tanzrunden im Münchner Frühsommer an roten Köpfen und schweißnassen Stirnen zeigt.

Übrigens nicht nur bei den Tänzern: Einige hundert Zuschauer sind gekommen, auch ihnen wurde es warm unter der Mittagssonne - auf die Schäffler warteten zudem an diesem Tag noch fünf weitere Auftritte an den verschiedensten Orten, denen nur eins gemeinsam war: die Bereitstellung einer Fläche von zehn Metern Durchmessern, schnee- und eisfrei, was im Mai kein Problem darstellt, und die Bereitschaft ihrer Betreiber, 550 Euro plus Mehrwertsteuer an den Fachverein der Schäffler Münchens zu bezahlen.

"Andere Bundesländer sind auch schön, aber Bayern ist noch ein Stück schöner." Söder spricht von einem Fass aus zu den Schäfflern. (Foto: Alessandra Schellnegger)
Endlich wieder zusammenkommen: Beim Auftritt herrscht Frohsinn auch bei den Musikern. (Foto: Alessandra Schellnegger)
Einige hundert Zuschauer verfolgten den Auftritt der Schäffler vom Hofgarten aus. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Von der Schrittfolge her ist der Schäfflertanz recht übersichtlich: Im Grund besteht er nur aus einmal Hoch das Bein, dann drei Zwischenschritten, dann Hoch das andere Bein. Kompliziert wird er durch die Figuren, für den die Vereinschronik den "Hoftänzer Reithmeier" verantwortlich macht: der Lindwurm, die Laube, das Kreuz, die Krone - komplexe Formationen der durch die Buchsbaum-Reifen verbundenen Tänzer. Aber auch wenn seit 2019 Pause war: Zumindest für den unbefangenen Laien waren keine größeren Fehler, nicht einmal Unsicherheiten festzustellen.

Auch nicht beim Truderinger Musikverein, sozusagen das Ballett-Orchester, dass zu Beginn das konditionszehrende Kunststück fertig brachte, 20 Minuten hintereinander und ohne Pause das gleiche Stück zu spielen, eben den Schäfflertanz, eine gemütliche Polka, die jeder Bayer kennt, seit der Bayerische Rundfunk sie bei einer seiner Sendungen als Erkennungsmelodie eingesetzt hat.

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Nach der Tradition dürfen zur Tanztruppe nur ledige Schäfflergesellen mit einwandfreiem Leumund gehören, außerdem müssen sie seit zwei Jahren in München wohnen. Aber weil mit diesen Regeln der Betrieb nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen wäre, dürfen seit 1963 auch verheiratete Schäffler ran, seit 1970 auch Interessierte aus anderen Berufen. Und als das Münchner Kindl bei der Begrüßung sagte, die Schäffler seien "junge Burschen, frisch und keck", da entfuhr manchem Zuschauer ein Lacher - Hinweis darauf, dass es eine Altersobergrenze für Schäffler nicht gibt.

Nach gut 20 Minuten also die erste Pause für Tänzer und Musiker. Stefan Schiedermeier betritt die Bühne, einer von zwei Reifenschwingern: Er beherrscht das Kunststück, einen Reifen von etwa der Größe einer Langspielplatte so rotieren zu lassen, dass ein im Reifeninneren abgestelltes Glas Schnaps nicht nur nicht hinunterfällt, sondern auch keinen Tropfen seines Inhalts verliert. Den Schnaps bekommt hinterher natürlich Markus Söder serviert; diese Gelegenheit nutzen die beiden Kasperl, auch sie Mitglied der Truppe, um dem Ministerpräsidenten irgendein schwarzes Zeug an die Nase zu schmieren.

Gezeichnet vom Besuch der Schäffler: Ministerpräsident Markus Söder. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Zuversicht und Hoffnung wollten die Schäffler dem pestgeplagten München seinerzeit bringen, sagt Stefan Schiedermeier - darum gehe es auch heute, bei der Sondersaison 2022. Daraufhin tanzen die Schäffler noch einen, es zeigt sein Können der zweite Reifenschwinger Christian Härtl. Schnaps und schwarze Nase bekommt dieses Mal Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann.

Dann bekommt Söder das Mikrofon, auch er muss sich wie Münchner Kindl und die beiden Reifenschwinger auf eine Art stilisiertes Fass stellen, obwohl er auch ohne schon praktisch alle überragt. Er spricht von Tradition und Herausforderungen, für einen Satz erhält er besonderen Applaus des offensichtlich patriotisch gestimmten Publikums: "Andere Bundesländer sind auch schön, aber Bayern ist noch ein Stück schöner." Wer nach dem Ende des Schäfflertanzes, als die Tänzer zu einer Brotzeit in die Kantine der Staatskanzlei eingeladen werden, durch den Hofgarten heimging, dürfte dem Ministerpräsidenten zumindest in diesem Punkt nicht widersprechen.

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