Diskussionsreihe "München redet":Erinnern an die Shoah, auch ohne Zeitzeugen

Lesezeit: 3 min

Die Zeitzeugin Eva Umlauf (Mitte) berichtet bei der Diskussionsreihe "München redet" im Residenztheater über das Weiterleben nach der Shoah. Deborah Hartmann (re.), Leiterin des Hauses der Wannsee-Konferenz in Berlin, will auch neuen Technologien bei der Weitergabe des Zeitzeugenwissens eine Chance geben. (Foto: Robert Haas)

Das Grauen der NS-Diktatur geht besonders nah, wenn Menschen über eigene Erfahrungen berichten - doch die letzten Überlebenden sind im hohen Alter. Im Residenztheater sprechen Experten über die Herausforderungen - und zeigen neue Ansätze auf.

Von Bernd Kastner

Eva Umlauf sagt, sie habe überlebt, weil die Täter gedacht hätten, dass sie sowieso stirbt. So krank war sie, die zweijährige Eva, damals, Ende 1944. Sie hat Auschwitz überstanden, zusammen mit ihrer Mutter. Eva Umlauf war eine der Jüngsten im Lager, heute ist sie mit 79 Jahren eine der jüngsten Überlebenden und eine der letzten, die berichten können vom Weiterleben nach der Shoah. Auch jetzt, auf der Bühne des Residenztheaters, tut sie es, bei einer Gesprächsrunde in Kooperation mit der SZ. Im Titel "Wider das Vergessen" verbirgt sich eine Frage: Wie erinnern an die Shoah, wenn Zeitzeugen bald nicht mehr leben?

Ihre Mutter habe sich sehr schwer getan mit dem Reden über Auschwitz, sagt Eva Umlauf, die Erinnerungen seien als "Tropfen" gekommen. Sie selbst, Kinderärztin und Psychotherapeutin von Beruf, wirkt, als sei genau das ihre Berufung. Eine schwere Erkrankung war für sie der Auslöser, sich mit ihrer eigenen Geschichte intensiv auseinanderzusetzen. 2014 lag sie im Krankenhaus. "Wenn du hier heil rauskommst, dann machst du das, was du noch wolltest. Noch eine Aufgabe wartet auf dich." Sie sortierte ihre Erinnerungen, schrieb ein Buch, besucht seither Schulklassen.

Im Residenztheater diskutierte die stellvertretende SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid mit dem Wiener Historiker Doron Rabinovici, der Auschwitz-Überlebenden Eva Umlauf, Deborah Hartmann und Hanno Loewy vom Jüdischen Museum in Hohenems (von links nach rechts). (Foto: Robert Haas)

Hanno Loewy vom Jüdischen Museum in Hohenems skizziert die Geschichte des Zuhörens: "Es ist ja nicht so, dass man den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen immer so bereitwillig zugehört hat." Es habe Konjunkturen gegeben. Angefangen mit der Suche nach Informationen direkt nach dem Krieg: Was ist aus diesem oder jenem Dorf geworden? Etwas später habe man gerne an die stolzen Kämpfer erinnert. Aber die Überlebenden? Die habe man "eher misstrauisch beäugt", sagt Loewy. "Warum haben die überlebt?" Erstmals öffentlich aufgetreten seien Überlebende vor Gericht, da habe man sie gebraucht, als Zeugen gegen die Täter. Lange seien die Überlebenden bloß Stellvertreter für die Toten gewesen. Erst seit den Achtzigerjahren führe man systematisch ausführliche Interviews mit den Überlebenden. "Man feiert sie dafür, dass sie überlebt haben."

Erinnerungsarbeit könne auch Kontraproduktives hervorbringen, warnt der Historiker Rabinovici

Doron Rabinovici, Jahrgang 1961, Autor und Historiker aus Wien, sagt, dass auch seine Mutter nicht über das Erlebte gesprochen habe. Allenfalls die Großmutter, "Tropfen" von Andeutungen des Schreckens, versteckt in Nebensätzen. Doron Rabinovici ist es vor ein paar Jahren gelungen, die Geschichte von mehreren Überlebenden auf die Bühne des Burgtheaters zu bringen, auch die seiner Mutter. "Die letzten Zeugen", ein fulminanter Erfolg. Erinnerungsarbeit könne aber auch Kontraproduktives hervorbringen, davor warnt Doron Rabinovici. Dann, wenn man stolz sei auf das Geleistete und sich darauf ausruhe, "nach dem Motto: Jetzt haben wir es aber abgearbeitet."

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Deborah Hartmann war 14 Jahre lang in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem tätig, seit 2020 leitet sie das Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin. Wie schwierig ist dieser Wechsel von der Opfer- zur Täterperspektive?, fragt Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid, stellvertretende SZ-Chefredakteurin. Eigentlich sei das bloß eine Weiterentwicklung, sagt Deborah Hartmann. Beide Blickwinkel seien nötig fürs ganze Bild der NS-Zeit: "Es gibt keine Opfer ohne Täter, und keine Täter ohne Opfer."

Die Holocaust-Überlebende Eva Umlauf hat 1000 Fragen von Schülern beantwortet

Heute sind ganz neue Blicke auf Überlebende möglich, dreidimensional. Überlebende sind als Hologramme auf der Leinwand zu sehen. Ein interdisziplinäres Team der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität befragte Überlebende und nahm sie mit 3D-Kameras auf. Eva Umlauf hat mitgemacht. "Ich war sehr neugierig", sagt sie. Eine Woche lang habe sie in einem Studio in London 1000 gesammelte Schülerfragen beantwortet. Noch in vielen Jahren soll man Eva Umlauf irgendwas fragen können, der Computer soll dann die passenden aus ihren 1000 Antworten aussuchen. Wirklich überzeugt sei sie noch nicht von dieser sehr technischen Konservierung von Zeitzeugenwissen. Aber ja, es sei auch ein Weg, Erinnerung zu bewahren. Für überflüssig und Geldverschwendung hält dagegen Hanno Loewy das Projekt. Er rät, einfach die Augen zu schließen und Tonbänder anzuhören. Das lasse Überlebende lebendig werden und koste kaum Geld.

Da will Deborah Hartmann, Jahrgang 1984, nicht widersprechen, aber: "Ein bisschen arrogant ist es natürlich trotzdem, weil wir von uns ausgehen", von der nicht mehr ganz so jungen Generation. Man müsse doch auch junge Menschen, die andere Seh- und Hörgewohnheiten haben, ernst nehmen. Ja, auch sie lese lieber ein Buch als sich vom Hologramm antworten zu lassen. Aber Vorsicht, sagt sie, bitte solche neuen Techniken nicht verurteilen!

Ansonsten wünscht sich Deborah Hartmann einen selbstkritischen Umgang mit der Erinnerungskultur, sodass es "nicht immer ein jüdisches Korrektiv braucht", das sagt: Das ist jetzt aber echt schräg. Eva Umlauf appelliert an die letzten noch lebenden Überlebenden: Dass sie zu den jungen Leuten gehen und berichten, dass sie auch zu den Lehrenden gehen, die das Wissen zur Shoah der jungen Generation vermitteln. "Dass sie weiß, dass die Demokratie anstrengend ist, aber wichtig. Dass sie lernen, die Demokratie zu schützen."

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