Ausstellung im Rathaus:Die Zukunft beginnt in den Stadtvierteln

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475 Stadtviertel gibt es laut Ausstellung in München - jedes mit einem sehr eigenen Charakter. (Foto: Florian Peljak)

"Nebenan, mittendrin, daheim": In einer Ausstellung präsentiert sich München als Stadt der Träume. Oberbürgermeister Dieter Reiter spricht bei der Eröffnung über Verkehrspolitik - und wie stark er die Zahl der Autos in der Altstadt reduzieren will.

Von Bernd Kastner

Dieter Reiter sitzt auf einem Parkplatz und fühlt sich wohl. Er kommt ins Plaudern und verteilt Streicheleinheiten an Bürger und politische Freunde. Im Rathaus, in der als Galerie dienenden alten Kassenhalle, eröffnet der Oberbürgermeister die Jahresausstellung des Planungsreferats. Auf vielen bunten Bildern auf vielen hölzernen Gestellen präsentiert sich München als Stadt der Träume. Der Himmel weiß und blau, die Menschen beglückt und engagiert, und völlig okay, wenn aus einem Parkplatz ein Sitzplatz wird. "Nebenan, mittendrin, daheim", heißt die städtische Leistungsschau über "zukunftsfähige Quartiere".

Sie haben ein Original-Parklet aus der Landwehrstraße ins Rathaus verfrachtet, eine Art privater Schanigarten aus Holz in SUV-Größe. "Ich bin bekanntermaßen ein Autofreund", sagt Reiter und plaudert sich, auf Bierkisten sitzend, in eine stadt- und verkehrsplanerische Grundsatzrede hinein.

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Zuvor lotst Ausstellungsmacherin Kathrin Borrmann den OB und Stadtbaurätin Elisabeth Merk zwischen den Wänden hindurch. Fürs Foto versuchen sich Reiter und Merk im Tischtennis-Doppel mit beschrifteten Schlägern: "Mehr Kultur, bitte." "Mehr Spielen, bitte." Kleine Aufkleber mit solchen und weiteren Wünschen - mehr Party, mehr Grün, mehr Vielfalt - können Besucherinnen und Besucher der Ausstellung auf weißen Plastikstühlen verteilen, als analoge Interaktion mit dem Rathaus. Beim geführten Parcours durch die Traumstadt fallen Reiter und Merk durch Tuscheln auf. Sie dürfen das, sie sind ja Chef und Chefin.

475 Stadtviertel gibt es laut Ausstellung in München. Jedes habe "seinen sehr eigenen Charakter", sagt Merk. Auf einer Stadtkarte findet sich die Siedlung "Am Durchblick" ebenso wie der "Galgenberg" (beim Hauptbahnhof). Ausstellungslotsin Borrmann erwähnt, dass es in der Ausstellung sogar eine Zeitkapsel gebe. Bei diesem Stichwort grätscht Merk rein: "Da gehen wir jetzt mal hin, weil, da gibt es ein schönes Foto." Reiter kommt mit in die alte, gelbe Telefonzelle, die mittels Monitor digitalisiert wurde.

Stadtbaurätin Elisabeth Merk und OB Dieter Reiter steigen in die zur "Zeitkapsel" umfunktionierte Telefonzelle. (Foto: Florian Peljak)
Mehr Kultur, mehr Grün: In der Ausstellung gibt es auch ein Pingpong der Zukunftswünsche. (Foto: Florian Peljak)

Bald stehen Merk und Chef in Neuperlach, genauer, vor einem Modell eines dortigen Quartiers, das mal ein Versicherungskonzern nutzte und nun ein Projektentwickler transformieren will. Nicht, wie früher üblich, mit Totalabriss, sondern mit Erhalt und Umnutzung. Der Blick auf Neuperlach lässt den OB ein Loblied singen auf diesen Stadtteil, der von Auswärtigen gerne als Retorte abgetan, von Bewohnern aber geliebt werde. Merk erzählt von einer Fahrt mit Hans-Jochen Vogel durch Neuperlach, etwa ein Jahr vor seinem Tod. Da habe Vogel, OB von 1960 bis 1972, als mit Neuperlach begonnen wurde, gesagt: "Man muss schon sehr alt werden, damit man sieht, dass sich die Stadtentwicklung doch lohnt." Reiter formuliert sein Lob so: "So schlecht ist es da gar nicht gelaufen."

Irgendwann stehen Merk und Reiter im Zukunftskapitel der Ausstellung: "Klimaneutralität beginnt im Quartier". Hier erläutern Tafeln Stichworte wie Freiräume und Wetterextreme, Energiewende und Betonrecycling - und gemeinsame Quartiersgestaltung. Reiter sagt zu Merk, er hoffe, dass (Achtung, Ironie!) sein Lieblingsplatz bald noch schöner werde. Merk sagt, dass man ja schon dabei sei. Da stellt sich heraus, dass sie aneinander vorbeireden: Reiter meint den Willy-Brandt-Platz in der Messestadt, der für ihn aussehe, als wäre dort ein Betonmischer umgefallen. Merk meint den Max-Joseph-Platz, der bald provisorisch begrünt werden soll. Reiter lacht: "Den Platz vor der Oper werde ich nicht mehr erleben." Also, zumindest nicht als OB. Platzplanung ist ein schwieriges Geschäft, der OB würde gerne die Bevölkerung stärker einbinden. "Wer", sagt er in eine TV-Kamera, "könnte besser planen als die Bevölkerung selbst."

Es folgt das Sit-in im begrünten Parklet zwischen Osterglocken und Efeu. "Wir sitzen", sagt Merk, ganz eng bei Reiter, "in einem Konfliktraum." So ein Freisitz am Fahrbahnrand symbolisiert den Kampf um den öffentlichen Raum, Auto versus Mensch. Reiter erzählt, dass er viel Bürgerpost bekomme und ihn nach zehn OB-Jahren nichts mehr überrasche, heutzutage habe ja alles "Aufregerpotenzial". Selbst der Versuch, die unscheinbare Kolumbusstraße für ein paar Monate in eine Zone für die Menschen zu machen. Temporär wichen Parkplätze, was nicht funktioniert habe, bilanziert Reiter. Er wolle sich von Empörung aber nicht die Freiheit zum Ausprobieren nehmen lassen. Und wenn was nicht ankomme bei den Bürgern, "dann muss es wieder weg".

Ganz einfach könnte für Reiter auch die Verkehrspolitik sein. In zehn Jahren, so sein Ziel, sollten nur noch halb so viele Autos wie heute in der Altstadt herumkurven. Kaum eine andere europäische Großstadt leiste sich so viel Verkehr in der City. Fürs Radwegenetz solle das Mobilitätsreferat, statt Straßen teuer und langwierig umzubauen, einfach Routen mit gelben Streifen markieren. Schnell und simpel. Und noch was sagt der Auto-OB im "Konfliktraum": "Man darf auch g'scheiter werden."

Die Ausstellung ist bis zum 6. März in der Rathausgalerie zu sehen, täglich 13 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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