Prozess um Filmtheater Sendlinger Tor:Nach 110 Jahren nun der finale Abspann?

Lesezeit: 3 Min.

Das Kino am Sendlinger Tor - zeigt natürlich auch "Rehragout-Rendezvous". (Foto: Wolfgang Maria Weber/imago)

Das Münchner Landgericht gibt der Räumung des Filmtheaters am Sendlinger Tor statt: Die Kündigung aus dem Jahr 2019 sei formal richtig und aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll gewesen. Doch noch wollen die Betreiber nicht aufgeben.

Von Katharina Haase

Als am 17. Oktober 1913 mit einer Adaption von Shakespeares "Die Herrin des Nils" die erste Aufführung im Filmtheater Sendlinger Tor über die Leinwand flimmerte, notierte der Stadtchronist Ernst von Destouches: "Seit heute ist München um ein Lichtspieltheater ersten Ranges, in vornehmer, gediegener Ausstattung, reicher". Der damals noch 700 Personen fassende Vorführungsraum sei mit "allen Neuerungen und Komfort ausgestattet", so Destouches, der das "amphitheatralisch ansteigende Parkett" und die "spledite effektvolle Beleuchtung" hervorhob. Carl Gabriel, Erbauer und Betreiber des Theaterbaus am Sendlinger Tor feierte schnell so große Erfolge mit seinem Kino, dass am 14. September 1915 sogar royaler Besuch in Gestalt von König Ludwig III. das Lichtspielhaus aufsuchte.

Doch nun, rund 110 Jahre nach der feierlichen Eröffnung, zu der man nur mit goldener Ehrenkarte zugelassen war, steht das Filmtheater am Sendlinger Tor womöglich endgültig vor dem Aus. Am vergangenen Freitag gab das Landgericht München I der Klage der Verpächter auf Räumung und Herausgabe des Kinos statt. Erste Streitigkeiten um den Mietvertrag gab es bereits 2014. Im Mai 2019 wurde schließlich die Kündigung des Pachtvertrags bis Ende Juni 2020 schriftlich übermittelt. Gegen diese hatten sich die aktuellen Betreiber, Fritz und Christoph Preßmar, bislang zur Wehr gesetzt. Im aktuellen Verfahren wollten sie die Verlängerung des Pachtvertrags bis Juli 2025 durchsetzen.

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Bereits seit kurz nach Kriegsende im Jahr 1945 betreibt die Familie Preßmar das Kino. Das Gebäude wurde im Jahr 1946 an die ursprünglichen Hausbesitzer, die Familien Winkelmann und Kramer, in deren Namen Birte Winkelmann agiert, zurückgegeben. Der aktuelle Pachtvertrag stammt aus dem Jahr 1956 und sieht statt einer festgesetzten Miete eine Umsatzbeteiligung an den verkauften Kinotickets vor, die auf eine Mindestsumme von 5000 Euro festgelegt wurde. Viel zu wenig, befindet Winkelmann, die zwischenzeitlich eine Summe von 240 000 Euro an Pacht im Jahr forderte. Dies sei jedoch "völlig illusorisch", so Fritz Preßmar, der höchstens die Hälfte der Summe für realistisch befindet.

Die Kündigung des Pachtvertrags im Jahr 2019 war auf einer Versammlung aller Miteigentümer beschlossen worden, von denen jedoch zwei ihre Zustimmung im März 2021 schriftlich zurückzogen. Zu spät, wie nun geurteilt wurde. Nach Bewertung eines Gutachtens, das über einen Sachverständigen der Industrie- und Handelskammer eingeholt wurde, kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine marktgerechte Pacht um ein Drittel höher liegen müsse, als die aktuell gezahlten jährlichen Umsatzanteile. Der Beschluss zur Kündigung im Jahr 2019 sei deshalb wirtschaftlich vernünftig, auch unter Berücksichtigung eines zwischenzeitlichen Leerstands zur Suche eines neuen Pächters. Dieser sei jedoch, so die Überzeugung des Gerichts, ohnehin nicht schwer zu finden.

Kinobetreiber wollen Berufung gegen das Urteil einlegen

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es gilt die einmonatige Berufungsfrist, beginnend nach Zustellung des vollständig abgefassten Urteils. "Wir werden uns mit unserem Anwalt besprechen und in jedem Fall Rechtsmittel einlegen", sagt Christoph Preßmar auf Anfrage. Die Kläger könnten jedoch auf eine vorläufige Vollstreckung des Urteils, auch im laufenden Berufungsverfahren, bestehen.

Das Filmtheater liegt nicht nur der Pächterfamilie am Herzen. Mehr als 10 000 Münchnerinnen und Münchner unterschrieben bis Februar 2021 eine Online-Petition zum Erhalt des Kinos, die die Familie Preßmar ins Leben gerufen hatte. Darunter waren auch namhafte Persönlichkeiten wie Alt-OB Christian Ude, der ehemalige Ministerpräsident Horst Seehofer und die Oscarpreisträgerin Caroline Link. Die Petition wurde anschließend an Oberbürgermeister Dieter Reiter sowie Ministerpräsident Markus Söder und an den Landtag übermittelt. Die Münchner SPD hatte ebenfalls angekündigt, sich für den Erhalt des Kinos stark machen zu wollen. Ein Unterfangen, mit dem die SPD-Stadtratsfraktion bereits bei den Traditionshäusern Gabriel Filmtheater und den Kinos an der Münchner Freiheit gescheitert war.

Aufgrund des Denkmalschutzes des Gebäudes sieht die Lage beim Filmtheater Sendlinger Tor allerdings etwas anders aus. Er könnte es erschweren, einer Umnutzung der Räumlichkeiten stattzugeben. Einen neuen Kinobetreiber zu finden, der die hohe Summe an Pacht zahlt, die von Verpächterseite gefordert wird, war bislang erfolglos. Mehrere Bewerber haben ihr Interesse im Laufe der vergangenen Jahre zurückgezogen.

Gut 400 Besucher fasst das Kino, das im Inneren an ein Opernhaus erinnert. (Foto: Stephan Rumpf)

Für die Familie Preßmar steht ein Lebenswerk auf dem Spiel. Das Kino, das heute noch rund 400 Besucher fasst und wie ein kleines Opernhaus gestaltet ist, hat unter ihrer Leitung schon die erste große Kinokrise in den 1960er-Jahren überdauert, als sich die Zahl der Lichtspielhäuser in Deutschland von rund 7000 auf etwa 3800 nahezu halbierte. Doch das Filmtheater etablierte sich immer mehr als feste Institution in München und überdauerte mit großen Produktionen wie "Indiana Jones", "Dirty Dancing" oder "Das Boot" auch die Flaute der 80er-Jahre, bis in den Neunzigern der erneute Aufschwung kam. 1997 wurde das Kino komplett renoviert und nach zweimonatiger Schließung modernisiert wiedereröffnet. Seitdem hatte das Filmtheater auch Widrigkeiten wie der Corona-Pandemie oder der Dauerbaustelle am Sendlinger Tor getrotzt.

Eine Besonderheit sind auch heute noch die großen, handgemalten Kinoplakate der gezeigten Filme. Regelmäßig finden in dem Kino Premieren mit viel prominentem Zulauf statt. Es zählt nach wie vor zu den umsatzstärksten Kinosälen Deutschlands und wird regelmäßig in den Listen der beliebtesten und besten Kinos der Bundesrepublik geführt. Immer wieder wurde das Filmtheater mit Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2023 durch die Stadt München für das besondere Kinoprogramm. Der Preis soll, so hieß es von Seiten der Stadt, die Erhaltung der Münchner Programmkinos unterstützen. Das Fortbestehen des Filmtheaters Sendlinger Tor in seiner derzeitigen Form liegt wohl vorerst in den Händen eines Richters am Oberlandesgericht.

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