Pasing:Sommer im Serail

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In der Pasinger Fabrik beginnt wieder die Opernsaison. Auf dem Programm steht Mozarts berühmte "Türkenoper". Regisseur Stefan Kastner inszeniert das Singspiel in ungewöhnlicher Kulisse ganz ohne Orientkitsch

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Pedrillo (Michael Etzel; links) und Belmonte (Joan Ribalta), versuchen an Osmin (Marcus Weishaar; Hintergrund) vorbeizukommen. (Foto: Florian Peljak)

Der Marmorkuchen hat eine glänzende Schokoglasur, die nun heftig schwitzt und sich langsam verflüssigt. Stefan Kastner setzt zwar immer wieder die Gabel an, doch dann kommt er doch nicht zum Essen. Weil er viel zu höflich ist. Ständig ist noch eine Frage zu beantworten, noch ein Gedanke zu Ende zu führen. Ein wenig hat man ein schlechtes Gewissen, den Regisseur um seine Pause zu bringen im Biergarten der Pasinger Fabrik. An diesem Nachmittag gibt es drinnen in der Wagenhalle die erste Orchesterprobe für die neue Opern-Produktion. Mozarts "Die Entführung aus dem Serail" hat am Donnerstag, 27. Juni, Premiere. Und wie immer in dieser Phase rennt nun allen die Zeit davon. Stefan Kastner allerdings wirkt recht entspannt für jemanden, der ein Hausdebüt vor sich hat. Als Regisseur wohlgemerkt, den Tenor Stefan Kastner kennen die Freunde der Pasinger Oper bereits aus zig Inszenierungen. Und im Moment ist seine Bindung ans Haus noch enger, weil er im Fabrik-Team für die Sparte Theater und Literatur zuständig ist.

Die Probe drinnen in der Halle hatte auch mit Gebäck begonnen. Mürbteig diesmal: Noch bevor das kleine Orchester mit Andreas Pascal Heinzmann am Pult die erste Note der Ouvertüre spielt, wird's auf der Bühne gemütlich. Konstanze trägt einen Apfelkuchen auf, mit viel Sahne und mit Rosinen, weil es das Geburtstagskind so mag, Bassa Selim. Wer jetzt schon glaubt, in der falschen Oper zu sein, abwarten, es wird alles noch viel erstaunlicher.

Während sich also Konstanze, Bassa, Osmin und das übrige Personal der Mozart-Oper über den Kuchen hermachen, schwebt vom Schnürboden eine Lein-wand herab und schiebt sich zwischen Bühne und Zuschauerraum. Film ab, Ouvertüre los! Der Videotrailer erzählt in raschen Sequenzen, "was bisher geschah" und bereitet auf ein ungewöhnliches Setting vor: Belmonte, bei Kastner ein britischer Lord, steht unschlüssig vor der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Er sucht nach seiner Gattin, Lady Konstanze, der Tortenfee von eben. Die ist ihrem berühmten Professor, dem Kuchenfreund Bassa, nach Sizilien in eine Künstlerkolonie gefolgt. Dort, in einer Art Andy-Warhol-Factory am Fuße des Ätna, wird Bassa (nur sein Künstlername, denn er stammt ja eigentlich aus Weilheim) von seine Meisterklasse wie ein Guru umschwirrt. Dort erreicht den Bildhauer-Star Fanpost von Heinrich Böll und die Nachricht vom Biennale-Preis. Belmonte nun will seine Frau aus diesem "Sommer in Orange" zurückholen und besteigt einen DB-Zug gen Süden. Die Schiffspassage über die Meerenge von Messina wird noch in Lira bezahlt. Wir sind in den Achtzigern, vor dem Euro, vor 9/11. Das Bühnenbild von Valerie Dziki, die aktuell auch für das Festspielwerkstatt-Projekt "Adam und Eva" an der Staatsoper tätig ist, liefert dazu einige Überraschungen. Achtung, an den Tischreihen rechtsseitig!

Keine Pumphosen oder Aladin-Schuhe und schon gar keine IS-Fahnen: Regisseur Stefan Kastner lässt seine "Entführung aus dem Serail" im Künstler-Milieu spielen. (Foto: Florian Peljak)

Er habe so gar keine Lust auf "Türkenoper" gehabt, sagt Stefan Kastner in der Probenpause. Also verzichtet seine Inszenierung konsequent auf schon reflexartige tagespolitische Vergegenwärtigung des Stoffes nach dem Muster "böser nahöstlicher Potentat hält sich drei gekidnappte Europäer als Geisel". Es sind keine erdoğanistischen Anspielungen zu erwarten, keine schwarzwehenden IS-Fahnen oder Steinigungsbilder. Zum Glück auch kein Orientkitsch in Form von Pumphosen, Aladin-Schuhen oder Schleiertänzen, wie ihn die Bayerische Staatsoper noch immer im Repertoire hat. Die "Entführung" im Künstler-Milieu spielen zu lassen, schien Kastner attraktiv. Als Student habe er etwas hineinschnuppern können in die Münchner Kunst-Akademie. "Das war alles noch viel cooler als bei uns Sängern, ich wollte das schon lange mal in einer Theaterproduktion verarbeiten." Als Regisseur und Autor gibt der gebürtige Berg am Laimer, Jahrgang 1963, seinen Stücken gerne mal eine München-Aura. In "Die Sphinx von Giesing" etwa, Uraufführung 2015 im Hofspielhaus, wird unter dem Platz des FC Giesing das Grab einer Pharaonentochter vermutet, weshalb das Denkmalamt den Spielbetrieb einstellen lässt.

Schräge Einfälle, Klamauk, Situationskomik, all das gibt es in dieser "Entführung", für die Stefan Kastner ein spielfreudiges Sänger-Ensemble gefunden hat. Der Regisseur hat nur die Sprechpassagen angetastet, an der Substanz von Mozarts Musik wird im Arrangement des bewährten Teams Jörg-Oliver Werner und Andreas P. Heinzmann respektvoll wenig gerüttelt. Aber wird Kastners Inszenierungsidee aufgehen? Die Probenpause ist zu Ende, er nimmt seine Mamorkuchen-Ruine mit in die Wagenhalle. Nun muss sich eine bittere Psycho-Note in dieses heitere Spiel einschleichen, wenn Selim Bassa, verrückt vor Eifersucht, seine Folterandrohung ausspricht und das Geschehen auf Konstanzes berühmte "Martern aller Arten"-Arie zusteuert. Stefan Kastner, man ist fast sicher, hat auch dafür die passenden Bilder gefunden.

Mozarts "Die Entführung aus dem Serail", Premiere am Donnerstag, 27. Juni, 19.30 Uhr, in der Wagenhalle der Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, Infos unter www.pasinger-fabrik.de, Tickets an der Abendkasse, unter Telefon 82 92 90 79 oder unter www.muenchenticket.de.

© SZ vom 24.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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