OB-Kandidatinnen für 2026:Zwei Frauen, ein Ziel

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Die Bürgermeisterinnen Verena Dietl (SPD) und Katrin Habenschaden (Grüne) haben beste Chancen, als OB-Kandidatinnen anzutreten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Verena Dietl und Katrin Habenschaden laufen sich warm, um bei der nächsten Wahl Oberbürgermeister Dieter Reiter zu beerben. Doch der will womöglich das Feld gar nicht räumen.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Ein heißer Tag im Mai, gut 300 Schützinnen und Schützen sind im Alten Rathaus zum 71. Bayerischen Sportschützentag zusammengekommen. Im Foyer gibt es Leberkässemmeln, der Belag so dick geschnitten wie ein 500-Seiten-Roman. Münchens Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD), im violetten Dirndl, schüttelt Hände, bevor sie sich im Saal in der ersten Reihe niederlässt. Die Blaskapelle spielt, Einzug der Fahnenträger. Der bayerische Schützen-Chef Christian Kühn sagt, er freue sich über die "charmante Vertreterin" des Oberbürgermeisters.

Es folgt, in aller Ausführlichkeit, eine Begrüßung der besonderen Ehrengäste. Eine gute Stunde muss Dietl warten, bis sie dran ist. Es ist ein typischer Bürgermeisterinnen-Termin: ein Grußwort sprechen, aber vor allem anwesend sein, repräsentieren. Auf dem Weg zum Rednerpult stolpert sie, ein kurzer Schreckmoment. Aber sie fängt sich schnell, reagiert schlagfertig. "Guter Stand ist immer wichtig bei den Schützinnen und Schützen", sagt sie. "Den hab' ich jetzt wieder."

Ein typischer Bürgermeisterinnen-Termin: Bürgermeisterin Verena Dietl beim 71. Bayerischen Sportschützentag im Alten Rathaus. (Foto: Robert Haas)

Seit zwei Jahren ist die 41-Jährige Münchens Dritte Bürgermeisterin, zwei Jahre hatte sie Zeit, auch politisch in ihrem Amt einen festen Stand zu gewinnen. Und ein Ziel ins Visier zu nehmen. Langsam, aber stetig zeichnet sich ab, dass sie eines im Auge hat. Dass sie angefangen hat, sich warmzulaufen für eine mögliche Kandidatur zur Oberbürgermeisterwahl 2026. Ob bei den Schützen oder beim Termin mit dem bayerischen Wirtschaftsstaatsekretär Roland Weigert (Freie Wähler) in der Rid-Stiftung, hoch über der S-Bahn-Baustelle am Marienhof gegenüber vom Rathaus. Es geht um den Handel in der Innenstadt, eigentlich ein klassischer Termin für die Wirtschaftsbürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne).

Weigert und Dietl kennen sich nicht, spielen aber die Bälle routiniert hin und her. Der Staatssekretär begrüßt sie gleich als "stellvertretende Oberbürgermeisterin". Dietl hat sich gründlich vorbereitet. Als die Vorständin der Rid-Stiftung, Michaela Pichlbauer, die Bedeutung des Autos im Zentrum betont, gilt es, die Gastgeberin nicht zu düpieren und trotzdem Stellung für das politische Ziel autoarme Altstadt zu beziehen. Dietl bekommt das hin, ohne jemandem weh zu tun, und hat in jedem Fall einen neuen Fan gewonnen: Staatssekretär Weigert sagt irgendwann in Richtung Dietl, "dann sitzt sie als OB in zehn Jahren im Büro dort drüben".

Dietl hat das Kompliment unwidersprochen und lächelnd mitgenommen. Als sie kurz darauf in ihrem eigenen Büro sitzt, zweiter Stock, zentral über dem Marienplatz, sagt sie über ihre Ambitionen: "Mein Anspruch ist einfach, meinen Job gut zu machen." Was sie darunter versteht? "Ich bin ein Münchner Kindl und habe immer hier gelebt. Mein Anspruch ist es, München mitzugestalten. Dafür ist es wichtig, Zukunftsvisionen zu haben." Ist das schon eine Bewerbung fürs höchste Amt? "Die Frage muss die Partei beantworten. Es muss die aussichtsreichste Person sein."

Und das könnte in den Augen von Verena Dietl wohl durchaus Verena Dietl sein. Seit 22 Jahren ist sie bei den Sozialdemokraten, im Alter von 27 zog sie in den Stadtrat ein. Sie hat von den Jusos weg alle Ebenen durchlaufen, ist bestens vernetzt. Wenn die Partei über die Kandidatur entscheidet, dann redet sie als Vize-Stadtchefin ein gewichtiges Wort mit. Ohne ihren Einfluss wäre der neue SPD-Chef Christian Köning nicht so souverän ins Amt gekommen, heißt es in der Partei.

Manche vermuten ein Gegengeschäft: Vorsitz gegen Kandidatur. Offiziell wird das von allen Seiten bestritten, wer die SPD schon länger beobachtet, weiß aber um das hochsensible Beziehungsgeflecht im Apparat der Partei, das für Karrieren entscheidend sein kann. Mit Abstand die wichtigste Personalie ist im Selbstverständnis der Sozialdemokraten die Kandidatin oder der Kandidat fürs Rathaus. "Das Oberbürgermeisteramt war in den letzten Jahrzehnten bis auf eine Ausnahme immer in sozialdemokratischer Hand. Ich werde alles dafür tun, dass es auch so bleibt", sagt Dietl.

Als Bürgermeisterin für Wirtschaft zuständig: Katrin Habenschaden bei der Eröffnung des Moderna-Standorts in München. (Foto: Florian Peljak)

Ein paar Türen weiter im Rathaus sitzt eine Frau, die wohl alles dafür tun wird, dass sich diese Tradition ändert. Fragt man bei den Grünen nach der Mission für die nächste Kommunalwahl, dann hört man in der Duz-Partei nur: mit der Katrin das OB-Amt holen. Freund und Feind in der Politik erwarten, dass die 44 Jahre alte Katrin Habenschaden nach dem ersten Versuch 2020 wieder antritt. Die Zweite Bürgermeisterin ist das unbestrittene Gesicht der grünen Lokalpolitik in der Stadt, sie kümmert sich strategisch geschickt um Umwelt und Wirtschaft, um für eine breite Schicht von Müncherinnen und Münchnern wählbar zu sein.

Auf ihre Ambitionen für 2026 angesprochen sagt Habenschaden, sie tendiere dazu, erneut zu kandidieren. Aber zuerst wolle sie dies mit ihrer Familie und mit der Partei besprechen - die entscheide schließlich. Die Sommerpause wolle sie auch dazu nutzen, alles genau durchzudenken. Ihre eigene Entscheidung solle dann noch in diesem Jahr fallen. Wie sehr sie das höchste kommunalpolitische Amt reizen würde, das will sie aber jetzt schon deutlich machen: "Die Gestaltungsmöglichkeiten sind als Oberbürgermeisterin natürlich größer", sagt sie. "Ich bin jemand, der die Dinge gern vorantreibt." Wie auch immer das Kandidaten-Tableau in vier Jahren aussehen werde: "Ich erwarte, dass der Wahlkampf härter wird, weil Dieter Reiter nicht mehr antritt."

Beginnt nun ein Wettlaufen zwischen den beiden Bürgermeisterinnen? Diesen Eindruck wollen die beiden vermeiden. "Persönlich haben wir ein sehr gutes Verhältnis", sagt Habenschaden über Dietl, man tausche sich regelmäßig bei einem gemeinsamen Mittagessen aus. "Politisch sehe ich natürlich große Unterschiede zwischen Grünen und SPD." Auch die mögliche Konkurrentin im Jahr 2026 bezeichnet das Verhältnis als gut. "Wir lassen uns gegenseitig unseren Raum und haben Respekt füreinander, sprechen uns gut ab, damit das Bündnis funktioniert", sagt Dietl. Dass sie sich schnell in die Quere kommen, glaubt sie nicht. "Sie hat ein ganz anderes Profil als ich." Vorerst soll also zumindest die Sacharbeit im Vordergrund stehen. "Wahlkampf kann bis zum Ende der Amtsperiode warten."

Während Habenschaden aber nur noch formal erklären muss, dass sie Lust und Motivation hat, wäre eine Kandidatur für Verena Dietl kein Selbstläufer. Manchen in der Partei ist sie zu brav bisher, politisch nicht bissig genug. Und in der SPD wurden bisher schon zwei Männer genannt, die man sich ebenfalls als Kandidaten vorstellen könnte. Vor allem Kämmerer Christoph Frey wird Interesse nachgesagt, und in Andreas Mickisch, der bald das Amt des Personalreferenten antritt, sehen manche Sozialdemokraten das Lockere im Umgang mit Menschen, das sie an den jetzigen OB Reiter erinnert. Und wie sieht es bei der CSU aus? In der Partei heißt es, dass Fraktionschef Manuel Pretzl das erste Zugriffsrecht auf die OB-Kandidatur habe - wenn er denn wolle. Aber erst einmal liegt der Fokus auf der Landtagswahl, die für die CSU als Schicksalswahl gilt.

Offiziell liegt auch bei der SPD die Kandidatenfrage noch in weiter Zukunft. "Wir bereiten uns alle auf den Landtagswahlkampf vor", sagt der Münchner SPD-Chef Christian Köning. München sei "besonders relevant" für die bayerische Sozialdemokratie. Für die OB-Kandidatenkür werde man dann nach der Landtagswahl 2023 ein Verfahren finden müssen.

OB Reiter entwickle nach der zähen Zeit der Pandemie gerade wieder große Lust an seinem Amt, ist im Rathaus zu hören - vielleicht auch über das Jahr 2026 hinaus. (Foto: Stephan Rumpf)

Möglicherweise ist bis dahin aber das Verfahren gar nicht mehr entscheidend. Denn es gibt Gedankenspiele in der SPD, die das bisher erwartete Tableau an Kandidaten hinwegfegen könnten. OB Reiter entwickle nach der zähen Zeit der Pandemie gerade wieder große Lust an seinem Amt, ist im Rathaus zu hören. Und zwar in einem Ausmaß, das locker bis über das Jahr 2026 hinaus reichen könnte. Kann er ja, mag die Konkurrenz sagen, aber er erfüllt die Voraussetzungen nicht mehr. In Bayern dürfen berufsmäßige Bürgermeister am Beginn der Amtszeit noch nicht 67 Jahre alt sein. Und Dieter Reiter, geboren am 19. Mai 1958, wäre beim nächsten Mal fast 68.

Doch just in diesem Herbst könnte die SPD im Landtag einen neuen Vorstoß unternehmen, die Altersgrenze für berufsmäßige Bürgermeister aufzuheben. "Wir sind schon dabei, mit unserem kommunalpolitischen Sprecher Klaus Adelt alles dafür vorzubereiten", bestätigt SPD-Landtagsfraktionschef Florian von Brunn. Die Sozialdemokraten alleine sind in der Vergangenheit schon einmal gescheitert in diesem Bestreben. Doch auch bei den Freien Wählern und den Grünen könnte es Sympathien für eine Neuordnung von Altersgrenzen in der Politik geben, ist zu hören. Und vor der Kommunalwahl ist zudem noch eine Landtagswahl - wer weiß, wie die ausgeht?

Könnte der SPD-Kandidat also 2026 plötzlich wieder Dieter Reiter heißen? Er selbst könnte sich das vorstellen, hört man im Rathaus. Und ein wichtiges Münchner SPD-Mitglied sagt: Wenn Reiter antreten dürfte und wollte, dann werde er der Kandidat. "Selbstverständlich."

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