Nahverkehr in Corona-Zeiten:"Fahrgastzahlen und Einnahmen sind wieder im freien Fall"

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Viel Platz auf dem Bahnsteig: Wegen der Corona-Pandemie sind die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr deutlich zurückgegangen. (Foto: Robert Haas)

Die Pandemie setzt dem MVV schwer zu, 2020 sank die Zahl der Fahrgäste um 40 Prozent. Trotzdem soll der öffentliche Nahverkehr verbessert werden - etwa mit einem Bus-Ring und zusätzlichen Handy-Apps.

Von Andreas Schubert, München

Das Jahr 2020 hatte für den Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) optimal begonnen. In den ersten zwölf Wochen nach der Tarifreform im Dezember 2019 verzeichnete der Verbund 19 000 neue Abonnenten, das entsprach einer Steigerung von sechs Prozent. Am Donnerstag aber zeichnete MVV-Chef Bernd Rosenbusch ein düsteres Bild. Denn durch die massiven Einbrüche wegen der Corona-Pandemie ist der öffentliche Nahverkehr in seiner Existenz gefährdet, wenn für dieses Jahr kein neuer Rettungsschirm kommt. "Die Finanzierung des Verkehrs ist nicht gesichert", sagte Rosenbusch.

Auf das gesamte Jahr 2020 gerechnet, sank die Zahl der Fahrgäste und somit der Einnahmen um 40 Prozent. Während des ersten Lockdowns im April zählte der MVV nur ein Fünftel der Fahrgäste im Vergleich zum Vorjahr. Im Herbst, noch vor dem zweiten Lockdown, hatten sich die Fahrgastzahlen mit etwa 70 Prozent wieder einigermaßen erholt, mehr war etwa wegen der abgesagten Wiesn und der ausgefallenen Messen nicht drin. Das Minus des vergangenen Jahres lag bei 380 Millionen Euro, der vom Bund aufgelegte und vom Freistaat ergänzte Rettungsschirm deckte immerhin 90 Prozent der Verluste. Dennoch verblieb den Gesellschaftern im Verbund, also den Landkreisen, der Stadt München und dem Freistaat ein Selbstbehalt von insgesamt 40 Millionen Euro.

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Der Rettungsschirm für 2021 sei noch in der Diskussion, sagte Rosenbusch am Donnerstag. Allerdings werde er dringend benötigt. "Seit Anfang November sind die Fahrgastzahlen und Einnahmen wieder im freien Fall", sagte Rosenbusch. Aktuell liege die Auslastung bei etwa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kosteneinsparungen sind nach Angaben des MVV-Chefs nicht möglich. Dazu müsste man das Programm herunterschrauben, Fahrzeuge verkaufen und Personal einsparen, wodurch die Verkehrswende auf Jahre einen großen Rückschlag erleben würde.

Parallel zu den ohnehin schon hohen Kosten steigen die Ausgaben für Hygiene, Ersatz für kranke Busfahrer oder Lokführer. Denn nach wie vor fährt der MVV das volle Programm. Dies ist politisch erwünscht, um die Corona-Infektionsgefahr zu senken. Denn würde das Angebot eingeschränkt, würden sich nur mehr Menschen in die verbliebenen Busse und Bahnen quetschen, Abstandhalten wäre in überfüllten Verkehrsmitteln so gut wie unmöglich. Dass eine Verknappung zu vollen Zügen führt, ist etwa zu beobachten, wenn wegen einer Störung S-Bahnen ausfallen.

Weil die Auswirkungen der Pandemie nicht ewig anhalten werden, arbeitet der MVV weiter an einer Verbesserung des Angebots. So wird die Erweiterung des Verbunds weiter betrieben. Und von Dezember an soll ein Bus-Ring aus sieben tangentialen Expresslinien die einzelnen Landkreise miteinander verbinden, was einerseits die Reisezeiten verkürzen und andererseits die S-Bahn entlasten wird. In den Regionalbussen werden zudem mittels Sensoren die Fahrgäste gezählt. Anhand dieser Daten werden dann Prognosen zur Auslastung einiger Linien zu bestimmten Uhrzeiten erstellt, die sich mit der MVV-App abrufen lassen. Echtzeit-Daten über die Auslastung brächten nichts, so Rosenbusch. Denn theoretisch könnte die App zwar einen leeren Bus anzeigen. Wenn auf diesen an der Haltestelle aber schon 100 Leute warten, habe der Fahrgast wenig von der Information.

Auch der Test für den elektronischen Tarif "Swipe + Ride", der nach Kilometern Luftlinie abgerechnet wird, läuft weiter. Aktuell nehmen 5000 Nutzerinnen und Nutzer daran teil, "wir würden uns aber noch mehr wünschen, vor allem in den Landkreisen", sagte Rosenbusch. Bei diesem einfach zu bedienenden E-Ticket wischt der Kunde beim Einsteigen einmal in einer App auf seinem Smartphone nach rechts, beim Aussteigen wieder nach links. Vergisst er Letzteres, merkt die App dennoch, dass die Fahrt zu Ende ist. Weitere Verbesserungen soll es auch bei den anderen Handy-Tickets geben. Schon im Dezember könnten auch die Abo-Tickets auf dem Smartphone gespeichert werden. Außerdem soll sich die Fahrgastinformation weiter verbessern. So integriert der MVV in seiner App eine Sprachsteuerung, die Anzeige von Park-and-Ride-Möglichkeiten und anderer Mobilitätsangebote wie Leihroller und -räder.

An eine massive Erhöhung der Ticketpreise, um die Ausfälle zu kompensieren, werde derzeit nicht gedacht, sagte Rosenbusch. Ihm geht es darum, wieder mehr Fahrgäste zu gewinnen. Dazu gehört auch eine Informationskampagne über Zeitkarten- sowie Aboangebote, über die Möglichkeiten, die der öffentliche Nahverkehr bei Freizeitfahrten ins Umland bietet - und über die Sicherheit im ÖPNV auch während der Pandemie. Ein Werbeplakat zeigt etwa einen jungen Mann mit hipper Frisur, seine Botschaft: "Ich bin Wiedereinsteiger! Weil die Bahn sauberer ist als meine WG."

© SZ vom 12.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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