Muslime in München:"Zu meinen Söhnen habe ich gesagt, geht erst einmal nicht Döner essen"

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Kandidaten im Gespräch (von links): Moderator Tarek Baé, Serdar Duran, Ender Beyhan-Bilgin, Achim Waseem Seger, Marian Offmann, Mahmut Türker. (Foto: Florian Peljak)

Der Münchner Muslimrat lädt zur Diskussion über Kommunalpolitik ins islamische Gemeindezentrum. Doch nach dem Anschlag von Hanau dominieren vor allem die Sorgen von Einwanderern um ihre Sicherheit.

Von Wolfgang Görl

Als die Fragerunde eröffnet war, meldete sich eine Frau und sagte: "Nach Hanau habe ich Existenzängste, und ich habe auch Angst um meine Kinder. Zu meinen Söhnen habe ich gesagt, geht erst einmal nicht Döner essen." Die Frau ist Muslimin wie fast alle, die an diesem Samstagabend zur Podiumsdiskussion gekommen waren, zu welcher der Münchner Muslimrat ins islamische Gemeindezentrum in der Schanzenbachstraße eingeladen hatte. Die Frage, wie sicher sich Muslime und andere Menschen mit Migrationshintergrund noch fühlen können, gehörte zu den zentralen Themen der mitunter sehr emotional geführten Debatte. In diesem Punkt herrschte Einigkeit: Sicher fühlt sich keiner mehr.

Vor Beginn der Gesprächsrunde sprach der Moderator, der Berliner Journalist Tarek Baé, ein Bittgebet für die in Hanau ermordeten Menschen und deren Angehörige. Und er stellte gleich mal eine Frage in den Raum, die die Stadtratskandidaten auf dem Podium unterschiedlich beantworteten: "Wer vertritt uns eigentlich in der schwierigen politischen Situation seit dem Aufkommen der AFD?" Den etablierten Parteien, so war der Diskussion zu entnehmen, schlägt da Misstrauen entgegen, das die Vertreter von CSU, SPD und FDP wiederum abzubauen versuchten.

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Für die Sozialdemokraten saß Marian Offman auf dem Podium, derzeit der einzige jüdische Münchner Stadtrat und zudem ein Mann, der mit seinem Einsatz für die Interessen der Muslime hohes Ansehen in der türkischen Community erworben hat. Für die CSU will Serdar Duran in den Stadtrat, ein gebürtiger Münchner, den seine Partei auf Platz 32 der Kandidatenliste gesetzt hat. Dass Menschen mit Migrationshintergrund meist auf hintere Listenplätze gesetzt werden, hat die einstige Sozialdemokratin Ender Beyhan-Bilgin bewogen, die Liste Fair (Freie Allianz für Innovation und Rechtsstaatlichkeit) zu gründen. Ebenfalls auf dem Podium: Der Rapper und Betriebswirt Achim Waseem Seger, der für die Liste Mut antritt, und Mahmut Türker, FDP.

Türker bedauerte, dass viele Münchner Muslime - in der Stadt leben mehr als 100 000 - nicht zur Wahl gingen. "Da müssen wir alle zusammenwirken, dass das Potenzial ausgeschöpft wird." Die Formulierung brachte ihm den Tadel einer Zuhörerin ein, die sich verbat, als "Potenzial" bezeichnet zu werden. Fair-Kandidatin Beyhan-Bilgin empfahl, die Muslime sollten nicht auf die Parteien warten, sondern ihre Sache selbst in die Hand nehmen: "Wir wollen, dass in München nicht über uns geredet wird, sondern mit uns." Und wie andere Redner beklagte auch sie, dass sämtliche Gebetsräume in der Münchner Innenstadt geschlossen werden mussten und die Kommune keinen Ersatz anbiete.

Den Vorwurf an die Stadt wies Marian Offman umgehend zurück: Die Gebetsräume hätten aus feuerpolizeilichen Gründen geschlossen werden müssen, und der Stadt selbst sei es rechtlich nicht gestattet, Gebetsräume zu vermieten. Auch mit Blick auf die Sicherheitslage fügte Offman hinzu: "Es muss gelingen, dass sich die islamischen Verbände zusammentun und gemeinsam ein islamisches Zentrum errichten."

"Wer kriegt es hin, mir das Gefühl zu geben, dass ich in Sicherheit lebe?"

Tatsächlich aber, das war nicht zu überhören, gibt es unter den Münchner Muslimen verschiedene Fraktionen, so wie es ja auch in der Natur der Sache liegt, dass die sogenannten Menschen mit Migrationshintergrund alles andere als eine homogene Gruppe sind. So finden etwa die Konflikte in der Türkei auch in München ihren Widerhall. Beyhan-Bilgin beklagte, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter gemeinsam mit Cetin Oraner, den sie offenbar als PKK-Sympathisanten betrachtet, auf dem Odeonsplatz der Opfer des rechtsextremistischen Terroranschlags von Hanau gedacht habe. Offman wies den Vorwurf mit dem Argument zurück, es sei eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass der OB an der Gedenkkundgebung teilnehme: "Wir wussten vorab nicht, dass die Veranstalter die Kundgebung marxistisch-leninistisch instrumentalisieren würden."

Generell traten in Anbetracht der Hanauer Mordserie kommunalpolitische Probleme in den Hintergrund. Eine der Zuhörerinnen sagte: "Jedes Mal, wenn ich in die Moschee gehe, habe ich Angst, erschossen zu werden. Ich will wissen, wer kriegt es hin, mir das Gefühl zu geben, dass ich in Sicherheit lebe." Keiner der Kandidaten auf dem Podium wagte die Behauptung, er habe ein Patentrezept. Achim Waseem Seger sagte: "Wir brauchen Sensibilisierung in allen Gesellschaftsteilen. Wir müssen rausgehen und mit den Menschen sprechen."

Offman erntete Applaus mit der Forderung, der Staatsschutz müsse dazu übergehen, die muslimischen Gemeinden zu schützen, anstatt diese misstrauisch zu beobachten. CSU-Kandidat Duran ließ wissen: "Wir haben alle Angst. Und wir müssen etwas tun. Wir müssen unser Gesicht zeigen, wir müssen etwas fordern, aber wir müssen auch etwas liefern." Ender Beyhan-Bilgin klang da schon fast ein wenig resigniert: "Alle haben wir ein mulmiges Gefühl. Aber ich habe auch kein Rezept, wie wir sicher leben können."

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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