Es ist eigentlich so einfach, Rassismus zu verstehen. Alle hören dieselben Worte. Dennoch macht es einen großen Unterschied, wer zuhört - oder anders gesagt: ob jemand von der Botschaft betroffen ist oder nicht. Wer nicht direkt angesprochen ist, muss die Botschaft entschlüsseln, er muss das Gesagte richtig einschätzen. Bei rassistischer Hetze haben sich viele Menschen viel zu lange nicht die Mühe gemacht, dies zu tun und die möglichen Folgen in Betracht zu ziehen. Andere rollen mit den Augen, winken ab, verharmlosen. Weil sie es sich leisten können.
Doch wer gemeint ist, hört die Zwischentöne, verharmlost nicht, zieht die Botschaft nicht ins Lächerliche, sondern denkt an die möglichen Konsequenzen des Gesagten. Wer gemeint ist, hört nicht weg. Menschen, die es erlebt haben, Rassismus ausgesetzt zu sein, denken an Eltern, Geschwister, Freunde, die zum Gebet in die Moschee gehen - oder abends auf einen Tee in die Shisha-Bar. Und die vielleicht nicht mehr wiederkommen. Wie in Hanau.
Die zehn Opfer sind zehn Menschen mit unterschiedlichen Talenten und Geschichten. Doch neun von ihnen hatten eines gemeinsam: den Migrationshintergrund. Jene Migration, die Innenminister Horst Seehofer 2018 als "Mutter aller Probleme" bezeichnete; und über die der frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen sagte: "Ich bin vor 30 Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen." Diese Menschen waren und sind für die Sicherheit von Minderheiten in Deutschland verantwortlich.
Migranten sind keine homogene Gruppe
Der rechte Terror von Hanau ist für Menschen mit Migrationsgeschichte keine Überraschung. Er ist das Gegenteil. Er ist eine Saat, die aufging. Die AfD hat den Diskurs um Migration und Islam radikalisiert, aber nicht begonnen. Sie hat zugesehen, wie diese Saat gedeiht. Sie hat die braune Erde, in der sie keimt, gedüngt und weitere Samen ausgebracht. Doch seit Jahrzehnten führen Politiker aller Parteien und viele Medien in Deutschland die immer gleichen Debatten: Sind wir ein Einwanderungsland? Gehört der Islam zu Deutschland? Das sind keine ergebnisoffenen Fragen, die man stellt, weil man sie in einer freien Gesellschaft eben stellen darf und weil man Interesse an einer fruchtbaren Diskussion auf Augenhöhe hat. Das sind Fragen, die spalten und ausgrenzen - die Gräben aufreißen, die sich schwer wieder schließen lassen. Das sind Fragen, die Antworten vorwegnehmen.
Diese Debatte hatte immer dieselbe Grundannahme: die Vorstellung von Migranten und Muslimen als vermeintlich homogene Gruppe. Ohne Individualität. Stattdessen als "Fremde" markiert. Und so sprechen Politiker und einige Medien erneut mit entlarvender Gedankenlosigkeit von "fremdenfeindlichen Motiven" des rechten Terroristen in Hanau. Damit verkennen sie die Realität - und übernehmen das rechte Narrativ. Menschen mit Migrationsgeschichte gehören längst dazu, sie gehören zur Mitte der Gesellschaft und werden von dieser doch infrage gestellt. Sie werden entfremdet - und fühlen sich zunehmend fremd im eigenen Land.
Rechte Täter setzen verbale Gewalt in reale Gewalt um. Sie sehen sich als Problemlöser. Der Terrorist von Hanau sprach von einer Halbierung der Bevölkerungszahl, er schrieb: "Es muss getan werden." Das sind keine isolierten Fantasien, sondern längst konkrete Forderungen. Dieses Narrativ stammt aus rechtsextremen Kreisen. Es kommt nicht aus dem Nichts.
Viele Politiker waren zu lange beschäftigt, den rechten Rand einzubinden. Die AfD trieb sie vor sich her. Dabei übersehen Politiker der bürgerlichen Mitte ihre Verantwortung für Minderheiten. Menschen, die anders aussehen und heißen, eine andere Religion haben, sind die wirklich besorgten Bürger - nicht diejenigen, die menschenfeindliche Parteien wählen. AfD-Wähler verdienen spätestens nach Halle und Hanau kein Verständnis mehr. Und ihre Partei keine schleichende Normalisierung in den Parlamenten.