Klassische Musik in Grundschulen:Wenn das Publikum grunzt und lacht

Lesezeit: 3 min

Die Kinder der Grundschule an der Burmesterstraße folgen mit Begeisterung den Abenteuern des Odysseus beim Kinderkonzert in der Turnhalle. (Foto: Florian Peljak)

Zwei Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks touren mit dem Kinderkonzert "Odyssee" durch Grundschulen, um die Kleinen an ihre Kunst heranzuführen. Das macht offensichtlich Eindruck.

Von Kathrin Aldenhoff

Die Grundschulkinder grunzen mit Begeisterung. Auf der Bühne hat Circe gerade Odysseus' Gefährten zu Schweinen verzaubert, und fast 250 Schülerinnen und Schüler in der Turnhalle quieken und grunzen. Sie sitzen auf blauen Turnmatten, auf Bänken und Sprungkästen, kommentieren mit lauten Ahs und Ohs, wenn die Harfenistin Magdalena Hoffmann und Thomas Reif mit der Geige plötzlich in blaues Licht getaucht werden und lachen, wenn Thomas Reif mit dem Bogen seine Geige knurren lässt, um zu untermalen, dass Odysseus und seine Gefährten hungrig sind.

Thomas Reif und Magdalena Hoffmann vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks touren durch Grundschulen, um Kinder für die Musik zu begeistern. (Foto: Florian Peljak)

Es ist Montagvormittag, und die Kinder der Grundschule an der Burmesterstraße bekommen Besuch von zwei Musikern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Zwei Vorstellungen geben Magdalena Hoffmann mit ihrer Harfe und Thomas Reif mit seiner Geige hintereinander in der Turnhalle für jeweils die halbe Schule. Sie erzählen musikalisch, mit Worten und Spiel aus dem Leben von Odysseus und von seinen Irrfahrten. Von dem riesigen Zyklopen, von Circe und den Sirenen.

Das Kinderkonzert Odyssee hat Magdalena Hoffmann vor einigen Jahren geschrieben. Ihre Mutter hat ihr als Kind oft die Geschichte von Odysseus vorgelesen, hat sie für seine Abenteuer begeistert. "Mir ist es am allerwichtigsten, diese Begeisterung zu vermitteln", sagt die 31-Jährige. "Alles, was zu mehr Musik in Schulen - überhaupt im Leben - führt, finde ich super."

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Thomas Reif spielt, geht durch die Reihen hindurch, die Kinder sollen die Geige ganz aus der Nähe sehen und hören. Als Magdalena Hoffmann an ihre Harfe ein großes Pappauge heftet - das Auge des Zyklopen - und von einem Stab erzählt, den Odysseus anspitzt und über dem Feuer härtet, da stehen viele Kinder auf, sie wollen ganz genau sehen, was da passiert auf der Bühne. Eine Lehrerin steht auf, geht leise herum und bringt die Kinder dazu, sich wieder zu setzen.

Besonders diese Szene mit dem Zyklopen hat es den Kindern angetan. "Wie Odysseus ihm das Auge ausgestochen hat, das war super!", sagt Viertklässler Arthur. Das findet Erstklässler Oskar auch, witzig war das, sagt er. Drittklässlerin Jana fand die Musik schön, so schön, dass sie fast eingeschlafen wäre, sagt sie. Und dass eine Freundin von ihr auch Harfe spielt. Ayla erzählt, sie habe zum ersten Mal solche Musik gehört, dass das große Instrument Harfe heißt, wusste sie nicht. Und Zweitklässler Pablo sagt, seine Mutter habe eine Bratsche. Seit sein kleiner Bruder auf der Welt sei, spiele sie aber nicht mehr. Was er eigentlich ganz gut findet, sagt er, denn: Jetzt hat sie mehr Zeit für ihn.

Alle Kinder rudern mit ihren Armen durch die Luft

Die Grundschule an der Burmesterstraße im Norden Münchens hatte sich um das Konzert beworben, auch weil den Kindern genau solche Eindrücke nach zwei Jahren Pandemie fehlen, sagt Schulleiterin Ulrike Arndt. Besonders für die Kinder, die nicht mit ihren Eltern ins Konzert gehen, sei so etwas sehr wertvoll. "Hier sind echte Menschen, die echte Musik machen. Das spricht viele Kinder an und macht ihnen Lust auf mehr."

Eine Woche sind die beiden Musiker auf Schultour in Bayern unterwegs, sie spielen in fünf Grundschulen, insgesamt vor mehr als 1800 Kindern. "Für viele wird es einer der ersten Kontakte zum Beispiel mit einer Harfe sein", sagt Maxie Neumann-Cosel aus der Abteilung Education des Bayerischen Rundfunks. "Das ist kein alltägliches Instrument." Mit den Schultouren soll die Musik zu den Kindern kommen, die sonst nur mit großem Aufwand ein Konzert besuchen könnten; auch sie sollen daran teilhaben. "Wir versuchen, die Schulen auszuwählen, an denen es nicht selbstverständlich ist, dass Musik stattfindet."

Als Odysseus und seine Gefährten aus der Höhle des Zyklopen entkommen sind, rudern sie fort von der Insel. Alle Kinder rudern mit ihren Armen durch die Luft, sie rufen und lachen und klatschen immer wieder. Nach einer Dreiviertelstunde ist die Vorstellung vorbei, die Kinder toben nun erst einmal auf dem Pausenhof. Und Thomas Reif, für den das sein erstes Schulkonzert war, stellt fest: Anstrengend ist es schon, vor so einem großen Kinderpublikum zu spielen. Anstrengender als vor dem üblichen Konzertpublikum. Und nicht nur deshalb, weil die Uhrzeit, zu der das Konzert stattfindet, für ihn ungewöhnlich ist: Morgens um zehn Uhr, da fange er sonst langsam an zu üben, sagt der 30-Jährige.

"Es ist schon anstrengend, die Kinder immer wieder zur Ruhe zu bringen", bestätigt auch Magdalena Hoffmann. "Aber es macht auch sehr viel Spaß, wenn sie mitgrunzen." Sie hat schon Übung darin, Kinder zur Ruhe zu bringen. Ihr Stück hat sie an vielen Schulen in Tirol gespielt. Seit Kurzem spielen die beiden es zusammen, wollen gemeinsam Kindern Momente schenken, in denen sie Instrumente und Musik aus der Nähe erleben. "Das ist etwas völlig anderes als sonst", sagt Thomas Reif. "Aber die Energie ist super, besser als wenn die Leute im Publikum nichts machen."

Gegrunzt hat in den großen Sälen, in denen er mit dem Symphonieorchester gerade auf der Europatournee gespielt hat, jedenfalls niemand im Publikum.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDachau
:Glocken, die den Kirchturm kaputtläuten

Erst nervt das Gebimmel die Nachbarn im Home-Office, dann vibriert das halbe Gotteshaus. Jetzt bröselt der Kirchturm von Mariä Himmelfahrt in Dachau.

Von Miriam Dahlinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: