Mohr-Villa in Freimann:"Ich bin hier hergekommen, weil ich hier frei bin"

Lesezeit: 4 min

Juma Hamisi stammt aus Tansania und ist ein Ass im Rollstuhltennis. Gerne würde er nun für das deutsche Team spielen. (Foto: Stephan Rumpf)

In der Mohr-Villa treffen sich einmal im Monat Geflüchtete und Einheimische, um gemeinsam zu malen, zu töpfern oder einfach nur zu reden. Seit zehn Jahren gibt es den Kunsttreff - ein Besuch.

Von Benjamin Stolz

Jonathan Ishimwe steht über ein leeres Blatt Papier gebeugt und zieht mit Holzlineal und Filzstift saubere schwarze Linien, die seinem neuen Bild einen Rahmen geben. Letztes Mal, so zeigt er es auf seinem Handy-Bildschirm, zeichnete er einen Adler, der auf einem Fahrradsattel landet oder gerade abhebt. Heute will er einen Regenbogen malen. "Einen Regenbogen, aber anders", nimmt sich der 26-jährige Mann aus der Demokratischen Republik Kongo vor. Vor acht Monaten kam er mit einem Boot von Libyen nach Europa.

Jonathan Ishimwe malt ein Spinnennetz, das später in den Farben des Regenbogens leuchten soll. (Foto: Stephan Rumpf)

Ishimwe besucht regelmäßig "Mohr-Villa ist bunt", ein freies Atelier der Freimanner Kultureinrichtung. Dort treffen sich Menschen mit und ohne Fluchterfahrung einmal im Monat, um gemeinsam kreativ zu sein oder einfach nur zu plaudern. 2022 jährt sich die Gründung des Kunsttreffs zum zehnten Mal.

Serena Widmann ist von Anfang an dabei und hat den Treff zu einem der Aushängeschilder im Programm der Mohr-Villa gemacht. "Ich kann immer noch nicht malen", sagt sie scherzend, doch darum geht es gar nicht. "Viele, die herkommen, haben vielleicht gar keine Lust zum Malen. Es gibt hier keinen Kunst-Drill", meint Mitstreiterin und Kunstpädagogin Marlene Pruss.

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Widmann und Pruss kümmern sich um die Grundausstattung, stellen Tische auf, verteilen Papier, Malkreide, Stifte und Tonklumpen. Sie kochen Tee und legen Musik auf. "Das ist kein therapeutisches Malen", stellt Widmann klar, "wir wollen einfach Spaß haben." Widmann will Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind und nun in verschiedenen Stadien der deutschen Asylbürokratie festhängen, zu ein bisschen Alltagsflucht verhelfen. Beim Malen, sagt sie, erzählen einige der Besucher von der Familie, von der Heimat und von der Flucht. Oft malen sie Fische und Boote.

Beim Kunsttreff wird auch gemeinsam getöpfert. (Foto: Stephan Rumpf)

Nachdem Jonathan Ishimwe über das Mittelmeer nach Deutschland kam, war er traumatisiert und konnte eine Zeitlang nicht mehr sprechen. "Zuhause war ich Lkw-Fahrer", erzählt er. Lange Fernfahrten führten ihn nach Uganda, nach Kenia, nach Daressalam am Indischen Ozean. "Manchmal bleibst du irgendwo stecken, musst fürs Passieren bezahlen. Du wirst ausgeraubt, bestohlen, bekommst die Korruption zu spüren. In meinem Job gab es viele Probleme." Wenn er in Deutschland eine Arbeitserlaubnis bekommt, möchte er irgendwann als Mechaniker arbeiten oder wieder als Lkw-Fahrer.

Teresa Meza töpfert. Die Peruanerin, die am Anfang der Pandemie nach Deutschland kam, ist nervös. Am nächsten Tag hat sie ein Bewerbungsgespräch. Wenn alles glatt läuft, dann darf sie bald eine Ausbildung zur Altenpflegerin machen. "Ich muss jetzt geduldig sein. Ich habe schon zwei Jahre lang gewartet", sagt sie, während sie mit den Händen einen grau-braunen Tonklumpen knetet und wieder zerreißt, knetet und wieder zerreißt. "Ich bin hier hergekommen, weil ich hier frei bin", sagt sie. In ihrem Heimatland war Meza Sekretärin. In Deutschland sieht sie die Altenpflege als "die einzige Chance, die ich habe. Ich möchte nicht die ganze Zeit zu Hause bleiben."

Die Leitung des Mohr-Villa Freimann e. V. sieht in ihrem Programm nicht nur ein kulturelles Angebot, sondern eine notwendige Plattform, um sich trotz zwei Jahren Dauerkrise austauschen zu können. "Seit den ersten Lockdowns 2020 haben wir nicht mehr zugemacht", sagt Geschäftsführerin Julia Schmitt-Thiel. "Ein paar unserer Angebote sind psychosozial wichtig. Wir sehen uns als ein soziokulturelles Zentrum."

3500 Veranstaltungen und Treffen, vom Theater- über den Amateurfunkverein bis zum beliebten Reparaturcafé, finden normalerweise unter dem Dach des früheren Gehöfts an der Situlistraße statt. Momentan sind es nur gut die Hälfte der Termine. Nicht nur in der Mohr-Villa, sondern in ganz Freimann treffen Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen aufeinander, vor ein paar Jahren zählte man 95 verschiedene Nationen. "Widerstand erleben wir gar nicht", berichtet Julia Schmitt-Thiel. "Wenn überhaupt, dann bekommen wir positives Feedback."

Die Peruanerin Teresa Meza war in ihrem Heimatland Sekretärin. In Deutschland möchte sie nun Altenpflegerin werden. (Foto: Stephan Rumpf)

Im Kunsttreff "Mohr-Villa ist bunt" darf man kommen und gehen wie man möchte. An diesem Tag ist das Angebot mit 15 Leuten ausgebucht, 2-G-Plus vorausgesetzt. Das Interesse, generell am Austausch mit Geflüchteten, ist laut Widmann allerdings nicht konstant: "Es gibt immer wieder Hypes. 2015 wollten ganz viele kommen. Da waren oft auch mehr Einheimische als Flüchtlinge da, weil das alle toll fanden."

Die einzige Konstante seit Anbeginn der Aktion ist Widmanns Einsatz. "Das Ganze steht und fällt mit Serenas Engagement. Sonst würde keiner herfinden", sagt Marlene Pruss. Vor Kurzem hat der Verein Serena Widmann mit einem Preis für "Kultur und Respekt" ausgezeichnet. Neben dem Kunsttreff gibt Widmann auch noch Deutschkurse. In ihrem Handwerksbetrieb, den sie gemeinsam mit ihrem Mann führt, hat sie schon ein paar Geflüchteten eine Lehrstelle verschafft.

Etwas später als die anderen kommt Juma Hamisi dazu. Er bastelt einen Soldaten aus Ton, in dessen Gewehrlauf wie in Bernie Bostons berühmtem Antikriegsbild "Flower Power" eine Blume steckt. "Da ist eine Blume, weil das ein glücklicher Soldat ist", sagt Hamisi. Der 24-Jährige aus Tansania war in seinem früheren Leben ein Ass im Rollstuhltennis. Nach einem Unfall, bei dem er sein linkes Bein verlor, hat Hamisi in mehr als einem Dutzend Ländern gespielt und war eine Zeitlang der drittbeste Spieler Westafrikas.

Auf seinem Handy hat er einen Videobeitrag gespeichert, den die BBC über ihn gedreht hat. Selbstbewusst sitzt er darin der Kamera gegenüber und spricht über seine Pläne für die Zukunft. Doch die Umstände haben sich geändert. "Ich würde gerne für das deutsche Team spielen, aber man will mich nach Spanien abschieben", sagt Hamisi. Dort hat er zuerst um Asyl gebeten. Professionell spielen wie früher darf er nach acht Monaten in Deutschland immer noch nicht. "Mein Asylantrag ist in Bearbeitung. Ich habe keine Berechtigung, an Wettbewerben teilzunehmen."

Am 17. März eröffnet in der Mohr-Villa eine Ausstellung über zehn Jahre "Mohr-Villa ist bunt". Sie soll einen Querschnitt über die Bilder und Freundschaften geben, die dabei entstanden sind. "Ich habe sehr viele langjährige Kontakte gemacht", resümiert Widmann. Der künstlerische Rahmen macht für sie ein heilsames "mal nicht drüber Nachdenken" möglich.

Gut anderthalb Stunden später steht Jonathan Ishimwe wieder vor seinem nun bunten Blatt Papier. Der Regenbogen hat die Form eines Spinnennetzes und ist im Zentrum violett, dann dunkel-, dann hellblau. Da das Blatt aber rechteckig ist, haben nicht mehr alle Farben Platz. Die Situation ist verzwickt, aber nicht ausweglos. Ishimwe kann sich einfach ein frisches weißes Blatt vom Stoß nehmen. Ein Neuanfang für einen Regenbogen, der vielleicht bald in allen Farben leuchtet.

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