"Das ist schön":Was fehlt, stiften die Dichter

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Ort der Imagination: Wandinschrift im "Import Export" im Münchner Kreativquartier. (Foto: Antje Weber)

Warum der Kultursommer in München durch Lyrik noch besser wird.

Von Antje Weber, München

Eigentlich müsste dieser Text mit einem Gedicht beginnen. Einem Regengedicht, einem Gelegenheitsgedicht. Es würde - wenn Gedichte überhaupt von etwas handeln müssen - von einer fast verpassten Gelegenheit erzählen; von 44 Lyrikerinnen und Lyrikern, die im Kreativquartier ihre Wortschöpfungen vortragen, während man selber, nun ja, im Regen wartend 44 Lyriker imaginiert. In der Anlieferungszone irgendeiner Firma auf einer der Ausfallstraßen Münchens; sie besitzt eine überdachte Einfahrt, immerhin. Da steht man, während einer der heftigen Schauer dieser Wochen prasselt, mit Rad, und ratlos.

Passt irgendwie zum Lebensgefühl dieses Sommers, denkt man. Alles erscheint erneut möglich, Minister Sibler sperrt die Kultur wieder auf, 500, nein 1500 Menschen dürfen draußen wieder rein, nein raus, und wie viele nochmal drinnen? Und dann will man sich endlich dem Live-Erlebnis hingeben, und es bedeutet: sich dem prasselnden Leben aussetzen. Kurz ertappt man sich dabei, sich wieder einen Live-Stream herzuwünschen; wer hätte gedacht, dass das so schnell geht. Häppchen vor dem Bildschirm, Beine hoch, Ton leise, wenn es nervt - oder abschalten, auf Wiedersehen. Wascht mir die Seele, ihr Dichter, aber macht mich nicht nass.

Die Regenwolken treiben, die Gedanken ziehen mit ins Kreativquartier. Und irgendwann geht auch dieser Schauer vorüber, steht das Fahrrad doch vor dem Import Export, sitzen die Dichterinnen und Dichter auf schnell abgewischten Bänken unter Schirmen und lesen abwechselnd auf einer überdachten Bühne; in ihren gemeinsam in Kooperationen erarbeiteten Texten ist vom "Pandämonium" die Rede, vom "Unmutsplasma", das abfließt, von "Wellenpaketen" und ihrer "Gruppenbeschleunigung". Ja, dabei sein zu können, Wörter oder Blicke auszutauschen, das ist schon schön. "Lo que me falta me lo imagino", hat dort jemand auf Spanisch auf eine Toilettenwand gekritzelt; was mir fehlt, das stelle ich mir vor. In diesem Moment fehlt sich nichts, wie der Bayer sagt. Und was diesen Text hier angeht - das Letzte, was fehlt, ist noch ein Gedicht. Kann sich jeder selbst ausdenken, bei Gelegenheit. Wäre ja noch schöner.

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