Universität in München:Ein Professor wie du und ich

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"Es ist toll, eine Tafel im Büro zu haben", sagt Stefan Schreieder. (Foto: Robert Haas)

Früher wollte er Ski-Profi werden, dann ließen ihn die Mathe-Rätsel nicht mehr los. Bei seiner ersten Vorlesung haben LMU-Studenten ihren Professor Stefan Schreieder nach seinem Alter gefragt. Kein Wunder, er ist gerade mal Anfang 30.

Von Sabine Buchwald

Wer den Bundeswettbewerb für Mathematik gewinnt, kann mehr als andere Schüler. Oder ist hartnäckiger und fleißiger, vielleicht alles zusammen. Stefan Schreieder jedenfalls hat aus diesem frühen Erfolg für sein Leben nach der Schule etwas mitgenommen. Denn er hat damals gemerkt: "Wenn ich mir Mühe gebe, etwas zu lernen, werde ich schnell besser."

Seine Lösung für eine Matheaufgabe, mit der er den Bundeswettbewerb 2008 gewonnen hat, sei ziemlich umständlich gewesen, erzählt er. Die Musterlösung dagegen "kurz und elegant". Das habe ihn angestachelt, zu verstehen, wie man darauf kommt. Also hat er angefangen, noch während der Abiturzeit im König-Karlmann-Gymnasium in Altötting Grundlagenbücher der Mathematik zu lesen. Zum Beispiel das "Algebra-Buch" von Siegfried Bosch, das andere erst während ihres Studiums durchackern.

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Seit Sommer 2017 ist Schreieder Professor für Algebraische und Komplexe Geometrie am Institut für Mathematik der LMU. Er war noch keine 30, als er den Ruf dorthin bekam und damals der jüngste Professor der Ludwig-Maximilians-Universität wurde. Nach Auskunft der Universität ist er das wohl immer noch. Bei seiner ersten Vorlesung haben ihn Studenten nach seinem Alter gefragt, weil er aussah wie einer von ihnen. Halblange Locken, ein trainierter schmaler Körper, so sieht er auch nach zweieinhalb Jahren als Professor noch aus. Schreieder hat sich sein nettes, bubenhaftes Lächeln bewahrt. Und einen Blick, hinter dem man Neugier und Offenheit vermuten kann. Er sei nicht der fleißigste Schüler gewesen, aber ehrgeizig, das sei er sicherlich. Er macht eine Pause, sucht nach Worten, um diese Eigenschaft zu beschreiben und sagt dann: "Ich bin bereit, einen gewissen Aufwand zu betreiben."

In seinem überschaubaren Büro in dem kantigen Bau an der Theresienstraße, wo die LMU-Mathematiker untergebracht sind, dominiert groß und grün eine Tafel an der Wand. "Es ist toll, eine Tafel im Büro zu haben", sagt Schreieder. Wenn nur der Kreidestaub nicht wäre, der sich über Bücher und Schreibtisch legt. Der Mathematikprofessor vor der Tafel - ein Klischee. Schreieder grinst. Schnell etwas hinschreiben und wirken lassen, bis neue Gedanken kommen. Sogar in digitalisierten Zeiten sei das mit Kreide auf einer Tafel oder mit Stift auf Papier immer noch am praktischsten.

Schreieder ist wegen seines Alters näher dran an den jungen Leuten. Er könne sich noch ganz gut erinnern, wie es ihm selbst als Student ergangen sei, sagt er. Was er verwirrend oder schwierig fand. "Manches habe ich selbst erst vor acht Jahren gelernt", sagt er. Deshalb versuche er in seinen Vorlesungen auf die eine oder andere Schwierigkeit explizit hinzuweisen. Warum es aber so hohe Durchfallquoten in Mathematik, vor allem in den ersten Semestern, gebe, kann er nicht recht erklären. Ihm sei nicht klar, wem man die Schuld zuschieben sollte, sagt er. Vielleicht weil man nicht so recht abschätzen könne, was einen im Studium erwarte.

Er gehörte immer zu den Besten im Studium

Für viele Schüler ist Algebra und Geometrie zusammengefasst "Mathe" und ein Angstfach. Schreieder benutzt nicht ein einziges Mal die salopp klingende Abkürzung. Aber er bezeichnet Mathematik in der Schule als "eher kochrezeptmäßig". Zu wenig kreativ. Überspitzt formuliert könne man sagen: "Rechnen können die wenigsten Mathematiker gut." Schreieder wiegt seinen Kopf von rechts nach links und fügt hinzu: "Ich bin nicht derjenige, der beim Schafkopfen am schnellsten die Punkte zusammenrechnet."

Aber er gehörte immer zu den Besten im Studium. Deshalb folgte der Schritt zur Professur nach nur kurzer Zeit. Bonn gilt nicht erst seitdem Peter Scholze mit der Fields-Medaillen ausgezeichnet wurde in Deutschland als bevorzugter Ort der Mathematik. Schreieder hat hier bei Daniel Huybrechts promoviert und war danach zwei Jahre wissenschaftlicher Assistent, bis der Ruf auf eine Tenure-Track-Stelle in München kam. Eine sogenannte W2-Professur, befristet auf sechs Jahre.

Schreieder arbeitet zu Rationalitätsfragen, überlegt etwa, von welchen algebraischen Gleichungen man die Lösungen parametrisieren, also durch eine Formel ausdrücken könnte. Wenn er über etwas nachdenke, sei es wichtig, dass die Fragestellung präsent ist, erklärt Schreieder. Oft eben an der Tafel, an die er Gleichungen mit vielen Variabeln schreibt. Manchmal aber ist das, was ihn bewegt als Mathematiker, nur im Kopf präsent. Dann helfe das Unterbewusstsein mit, Lösungen zu finden. Mal schnell in einer Stunde zwischen zwei Uni-Veranstaltungen gehe das nicht so gut. Er brauche Zeit dafür, mehrere ruhige Stunden, am liebsten Tage. Ideen kommen ihm in jeder Lebenslage, mal am Schreibtisch, vorm Einschlafen, beim Joggen.

Überhaupt Sport: Als Kind hatte er von einer Karriere als Skiläufer geträumt, war etwa 2005 für die deutsche Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft im Carving dabei. So ein Leistungssport erfordert viel Training, viel Zeit - das ist nicht so leicht, wenn neben dem Skifahren eine weitere Leidenschaft besteht: die Mathematik. Am liebsten hätte er sofort mit dem Studium angefangen. Mit Attesten hat er vergeblich versucht, sich vor dem Zivildienst zu drücken. Dann wäre er womöglich noch schneller Professor geworden. Die neun Monate in einer Klinik für alkoholkranke Männer in der Nähe von Mühldorf haben ihn schließlich bestärkt, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Oft musste er Patienten zu Arztterminen fahren und dabei viel Zeit mit Warten verbracht. Er konnte überraschend viel Mathematik machen in dieser Zeit, sagt er. "Es war gut, etwas anderes zu sehen, das hat meine Motivation gestärkt, mich im Studium anzustrengen."

Das Studium ging 2008 für Schreieder endlich los an der LMU. Bereits nach drei Jahren war er mit Bachelor und Master fertig. Er würde jedem empfehlen, sagt er, für den Master den Studienort nicht zu wechseln. Weil man während des Bachelor-Studiums schon weiterführende Vorlesungen hören könne und so keine Zeit verliere. Zeit, die Schreieder für ein Jahr am Trinity College in Cambridge nutzte. Darauf folgte die Promotion in Bonn.

Die Leibniz Universität in Hannover wird seine nächste Station

In den Monaten in England hat er sich angewöhnt, mathematische Probleme auf Englisch zu denken. Daran sollten sich auch seine Studenten gewöhnen. Master- und Doktorarbeiten in der Mathematik werden nicht nur in Cambridge und an der LMU auf Englisch geschrieben. Gerade jüngere Begriffe gebe es oft auf Deutsch gar nicht, sagt Schreieder. Englisch ist außerdem die Sprache zwischen Dozenten und ausländischen Studierenden, die nicht allzu gut Deutsch sprechen.

Schreieder lebt gern in München. Hier sind die Berge vor der Tür und man kommt schnell mit dem Rad in die Natur. Altötting ist nicht weit, wo er zur Schule ging. Er wird seine regelmäßigen Kartenrunden mit den Studienfreunden vermissen, das weiß er. Und doch wird er München und die LMU verlassen. Nach diesem Wintersemester schon. Womöglich würde man hier seine Stelle entfristen, aber eine Beförderung bekäme er nicht. Von W2 auf W3 - das sei an der LMU in der Mathematik nicht vorgesehen, sagt Schreieder. Die Leibniz Universität in Hannover wird nun seine nächste Station. Sie mussten ihn mehrmals auffordern, sich zu bewerben. Und doch scheint er stolz zu sein, die Stelle bekommen zu haben. Sie spiele in einer ganz anderen Liga, sagt er. Finanziell und hierarchisch als Mathematik-Professor.

Einen Beruf, den er sich prinzipiell nicht besser vorstellen könnte. Weil man sich aussuchen könne, woran man arbeite. "Die Mathematik ist sehr befriedigend. Wenn man ein Problem gelöst hat, ist es für die Ewigkeit."

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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