Ehrenamtliches Helfen mit Worten:Der Schlüssel zum Glück

Inga Sauer ist 78 Jahre alt und erzählt Geschichten, in Altenheimen und am liebsten in Schulen - etwa beim Projekt "Werkstatt der Generationen"

Von Kathrin Aldenhoff

Inga Sauer hat in ihrem Leben schon so viele Geschichten gehört, schon so viele Geschichten erzählt. Doch die Stelle mit dem Grashüpfer, die entlockt der 78-Jährigen spontan ein kurzes hohes Lachen. Als die drei Schüler ihre Geschichte bis zum Schluss vorgelesen haben, sagt sie es ihnen: dass ihr diese Stelle so gut gefallen habe. Dass da ein Junge, der sich in einen Bären verwandeln kann, einen Schatten gesehen hat und Angst hatte - aber dann sah, dass es nur ein Grashüpfer war. "Wie seid ihr denn darauf gekommen?", fragt sie die drei Kinder, zwischen sechs und neun Jahre sind sie alt. Die zucken mit den Schultern, lächeln.

Diese Fantasie, von der hatte Inga Sauer vorher geschwärmt. Seit acht Jahren kommt die Rentnerin regelmäßig in die Montessorischule an der Balanstraße, etwa drei Mal im Monat. Sie ist eine von mehr als 40 Ehrenamtlichen des Programms Werkstatt der Generationen, das Teil des Schulalltags ist. Das Ziel ist, Kinder und ältere Menschen zusammenzubringen - so dass sie voneinander lernen. Und füreinander Verständnis entwickeln. Die älteste Teilnehmerin sei 109 Jahre alt gewesen, erzählt Anke Könemann, die das Programm organisiert und leitet. Die Dame sei aber nicht in die Schule gekommen, sondern die Schüler zu ihr.

Ehrenamtliches Helfen mit Worten: Wenn Inga Sauer von Wölfen und Prinzessinnen erzählt, hören die Kinder gebannt zu.

Wenn Inga Sauer von Wölfen und Prinzessinnen erzählt, hören die Kinder gebannt zu.

(Foto: Catherina Hess)

Inga Sauer war als freiberufliche Cutterin beruflich viel unterwegs. Als sie arbeitslos wurde, war ihr klar: Sie will etwas für andere tun und so fing sie an, sich in einem jüdischen Altenheim zu engagieren. Dass sie mit ihrem Engagement am Ende auch viel für sich tut, ist vielleicht einer der Gründe, warum sie schon so lange ehrenamtlich arbeitet.

An diesem Donnerstagvormittag kommt Inga Sauer um 10.45 Uhr in die Lapislazuli-Klasse. Und weil diese Klasse nach dem blauen Stein benannt ist, trägt Inga Sauer ihren, den ihr eine Freundin vor 20 Jahren aus Afghanistan mitgebracht hat, an einem blauen Band um den Hals. Und zwar jedes Mal, wenn sie in diese Klasse kommt. Das sei Tradition, sagt sie. Und dass die Kinder das sofort merken, wenn sie ihn mal nicht trägt. In der Lapislazuli-Klasse lernen Schüler von der ersten bis zur dritten Klasse gemeinsam. 24 Kinder sitzen am Boden im Kreis, als die 78-Jährige in dicken Wollsocken den Kreis betritt und sich auf einen Stuhl zwischen sie setzt. Weil die Erstklässler sie noch nicht kennen, stellt sie sich kurz vor. "Ich bin die Inga. Natürlich dürft ihr mich duzen, ich duz' euch ja auch." Sie sagt dann noch, dass sie nicht verheiratet ist, keine Kinder hat und keine Enkelkinder. Dann geht's los: Der Klassenlehrer hat fünf Bilder für sie ausgesucht: ein Schloss, einen Wolf, ein Gespenst, einen Wald, einen Schlüssel. Sie guckt sie sich an, zeigt sie den Kindern. Und dann fängt sie an, daraus eine Geschichte zu machen.

Inga Sauer erzählt von einer Prinzessin, deren Vater sich solche Sorgen um sie macht, dass er sie in ihrem Zimmer einsperrt. Davon, dass die Prinzessin sich so sehr wünscht, einmal etwas anderes zu sehen. Von einer Zofe, die einen Schlüssel für den Schlossturm findet, in dem ein Gespenst die Prinzessin erschreckt. Und von einem Waldspaziergang, bei dem die Prinzessin einem Wolf begegnet. Und vor dem sie keine Angst hat, denn sie weiß ja gar nicht, was ein Wolf ist.

Ehrenamtliches Helfen mit Worten: Inga Sauer hat eine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin gemacht.

Inga Sauer hat eine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin gemacht.

(Foto: Catherina Hess)

Die Kinder sitzen ganz still, blicken Inga Sauer an, einem Jungen steht der Mund offen. Als die Prinzessin dem Wolf begegnet, entfährt ihm ein lautes "Oaaaahh!". Und als die Prinzessin wohlbehalten zurück im Schloss und Inga Sauers Geschichte beendet ist, klatschen alle.

"Ihr seid das Sahnehäubchen", hatte Anke Könemann vorher zu Inga Sauer gesagt. Das Besondere, das Extra - das, worauf sich die Schüler freuen. Das zeigt sich auch später, als die Kinder in Dreiergruppen ihre eigene Geschichte schreiben. Und immer wieder ein Kind zu Inga Sauer kommt, sie anstupst, sie an der Hand nimmt und zum Gruppentisch führt, um ihr eine Frage zu stellen, ihr ein Bild zu zeigen, eine Überschrift vorzulesen.

Inga Sauer hat das gelernt, hat ein Jahr lang eine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin gemacht. Hat auf Bühnen Geschichten erzählt, in Altenheimen für Demenzkranke, an Weihnachten in Altenservicezentren. Aber die besten Zuhörer, sagt sie, das seien die Kinder. Sie liebt es, ihnen in die Augen zu sehen, während sie erzählt. Zu beobachten, wie sie mitfiebern. Und sie liebt es, die Geschichten der Kinder zu hören. Nach fast zwei Stunden zieht Inga Sauer ihre Schuhe wieder an und verlässt das Klassenzimmer. Die Kinder sind da längst hinausgelaufen in die Pause. Sie geht mit einem Lächeln.

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