Filme und Performance:Kulturrevolution aus Kunzelmanns Keller

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Wiedersehen nach mehr als 50 Jahren: Mitglieder des Kollektivs "Subversive Aktion" kamen 2018 in München zusammen. Das Kunstprojekt "Boykottiert die Systeme!" zeigt nun Filme von diesem Treffen der ehemaligen Aktivisten (v.l.) Bernd Rabehl, Hersch Fischler, Volker Böckelmann, Wolfgang Gessner, Manfred Blößer, Birgit Daiber, Hanna Blößer und Rodolphe Gasché. (Foto: Matthias Reichelt)

Die 68er-Bewegung hat eine Münchner Vorgeschichte - davon erzählt das Kunstprojekt "Boykottiert die Systeme!" von Julia Wahren und Rudolf Herz.

Von Jutta Czeguhn

"Der Worte sind genug gewechselt, was not tut, ist einzig die Aktion oder wir müssen eine Welle von Mikrorebellionen starten", schreibt Dieter Kunzelmann am 5. November 1963 an den Künstler HP Zimmer. Was wenige Jahre später in die Studentenbewegung mündet, beginnt es vielleicht hier mit diesem geradezu formvollendet höflichen Brief des notorischen Spontis und späteren Links-Terroristen? "Erlaube ich mir, Dich zu einem ersten informativen Gespräch am Sonntag, den 10. November 1963, 20 Uhr, in meinen Keller einzuladen". In Kunzelmanns Kellerwohnung an der Schwabinger Bauerstraße 24. Für Rudolf Herz und Julia Wahren ist sie so etwas wie die chaotische Keimzelle für das, was später auf den Straßen Berlins stattfinden und die ganze Republik erfassen sollte: Der Vormärz von '68, der antiautoritäre Aktivismus, er hat seine Wurzeln zum guten Teil im künstlerischen Milieu der Schwabinger Bohème. An drei Aktionstagen, vom 22. bis 24. Juli, lassen Herz und Wahren mit ihrem Kunstprojekt "Boykottiert die Systeme!" diesen subversiven Spirit der frühen Sechzigerjahre aus der Flasche.

Man hat sich mit Rudolf Herz und Julia Wahren am Café Münchner Freiheit bei der Bronzestatue vom Monaco Franze verabredet. Was wohl der Helmut Fischer so getrieben hat in den Sechzigern, wurmt sich ein Gedanke ins Ohr, während man dort auf die beiden wartet - und bleibt als Fragezeichen über der Espresso-Tasse hängen. Für die gaudigemütliche, in Teilen noch tiefbraune Münchner Mehrheitsgesellschaft damals waren die Kunzelmänner dieser Welt linke Krawallbrüder. "Geht doch nach drüben!" war wohl noch das Netteste, was man ihnen nahelegte. Wie blickt die Gesellschaft heute auf die Aktivisten von damals? Wie sehen sie sich selbst? Herz und Wahren, die nun Platz genommen haben am Tisch neben dem Monaco, erzählen davon, wie sie die über die ganze Welt verstreuten Mitglieder von Kunzelmanns Zelle "Subversive Aktion" ausfindig gemacht und nach München geholt haben für ihr Kunstprojekt, das sich aus Filmen, Performance, einer großartigen Website und 2023 einer Ausstellung in der Villa Stuck zusammensetzt. Eines wird rasch klar, um Nostalgie geht es hier nicht. Vielmehr um Vergegenwärtigung einer noch nicht auserzählten Geschichte.

Rudolf Herz und Julia Wahren haben für ihr Kunstprojekt "Boykottiert die Systeme!" nach den revolutionären Strömungen der frühen Sechzigerjahre in München geforscht. Ausgangspunkt ist die legendäre Künstlergruppe "Spur" auf diesem Foto. (Foto: Matthias Reichelt)

Julia Wahren ist Musikerin, Rudolf Herz Medienkünstler, Bildhistoriker und seit diesem Jahr Honorarprofessor an der Münchner Kunstakademie. Und genau dort, bei der 1957 gegründeten Künstlergruppe "Spur", haben sie zu forschen begonnen: Für die Spur-Leute wird Kunst zur Kundgebung im öffentlichen Raum. Eine Zeit lang wenigstens. Denn irgendwann wird sich der Kunstmarkt laut Herz die Spur-Künstler einverleiben, und das Politische trägt nur noch als eine Art "Geschmacksverstärker" zur Legendenbildung bei. Dieter Kunzelmann, Theoretiker der Gruppe und immens begabt in der Erregung öffentlicher Ärgernisse, stört da nur. So wird der bärtige Kauz aus dem Schwabinger Keller zur Powerstation seines eigenen kulturrevolutionären Kleinkollektivs namens "Subversiver Aktion", die nach etlichen spektakulären Provokationen ebenfalls im Streit implodiert, so dass sich der, so Herz, wirkmächtige "Kotzbrocken" und notorische Prozesshansel Kunzelmann nach Berlin zu Rudi Dutschke verdrückt, als Haschrebell umherschweift und 1969 als Kopf der Berliner "Tupamaros" den Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Westberlin verantwortet.

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Kunzelmann ist der große Abwesende, als sich acht ehemalige Subversive im Sommer 2018 in München nach 50 Jahren wiederbegegnen. Ihr einstiger Mastermind hatte ihnen kurz zuvor den Gefallen getan, die Welt für immer zu verlassen. Ungestört können sie nun diskutieren, über ihre Vergangenheit und ihre heutigen Gedanken zur Revolution. Zusammen mit der Enkelgeneration, Studenten aus Herz' Akademie-Seminar "Kunst und Revolte", die das alles filmisch begleiten. Im Werkstattkino, Fraunhoferstraße 9, sind am Sonntag, 24. Juli, 11 Uhr, Kurzfilme über dieses Treffen zu sehen, in denen etwa Manfred Blößer seine Gedanken zum antiklerikalen Graffito "Die Kirche rülpst in Agonie" 1964 in St. Ursula teilt, Gretchen Dutschke-Klotz über ihre verstörende Begegnung mit den Münchner Linksradikalen spricht oder Dieter Kunzelmann, 2017, als "staatlich geprüfter Grabpfleger" über einen Berliner Friedhof fegt.

Dem Bamberger Mief entkommen, pflegte Dieter Kunzelmann in seiner Münchner Kellerwohnung an der Bauerstraße 24 - das WC befand sich im Hof - das Leben eines revolutionären "Privatgelehrten". Der Keller, in dem gezielte Verwahrlosung programmatisch war, wurde zum Treffpunkt der Schwabinger Kunst-Avantgarde. (Foto: Gino Dambrowski)

Für Birgit Daiber, eine von sieben Frauen in der 28 Mitglieder starken, patriarchalisch-autoritär aufgestellten Gruppe, war Kunzelmann ein von Allmachtsfantasien trunkener "hässlicher Zwerg". Die spätere Europa-Abgeordnete der Grünen (dann Die Linke) wird am Freitag, 22. Juli, zur Fremdenführerin in die subversive Vergangenheit. Treffpunkt ist um 18 Uhr der Brunnen am Geschwister-Scholl-Platz. "Gaudi an die Macht" heißt es am Samstag, 23. Juli, 13 Uhr, vor dem Brunnen am Rindermarkt, wo es laut Julia Wahren zu einem sehr lustigen Reenactment des Spur-Gaudi-Manifestes kommen wird ("Boykottiert alle herrschenden Systeme u. Konventionen, indem Ihr sie nur als missratene Gaudi betrachtet") mit Schauspielern und experimenteller Volksmusik. Die drei "Boycott-Tage" enden am Sonntag, 24. Juli , 15 Uhr, am Königsplatz. Dort wird an die Pläne der Subversiven Aktion erinnert, die Documenta 1964 in Kassel zu sabotieren, wo die früheren Spur-Kollegen ausstellten. Es gab dazu eine ganze Liste von Ideen, sie wurden jedoch nie umgesetzt. Vielleicht können sie im Documenta-Jahr 2022 ja ganz anregend sein.

Boykottiert die Systeme!, Kunst zum Vormärz von '68, Aktionstage, Fr., 22. - So., 24. Juli, Führung, Performances Eintritt frei, Werkstattkino Eintritt 5,50 Euro, www.boykottiertdiesysteme.org

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