Mietrecht:Ein Neffe als "Strohmann": Vermieter schiebt Eigenbedarf vor

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Sühel S. muss nicht aus seiner Wohnung ausziehen - der Eigenbedarf sei vorgeschoben, urteilte das Gericht. Auch Heike K. hat wieder Hoffnung. (Foto: Philipp Gülland)
  • Ein Eigentümer kündigt fünf von sieben Parteien in seinem Haus nahe der Theresienwiese - wegen Eigenbedarfs.
  • In zumindest einem Fall war das unzulässig, wie nun das Landgericht geurteilt hat. Es spricht von einem Neffen als "Strohmann".
  • Das Thema Eigenbedarfskündigungen werde an Brisanz zunehmen, prophezeien Mieteranwälte. Denn sie seien eine relativ einfache Art, Menschen aus Wohnungen zu bekommen und diese teurer neu zu vermieten.

Von Anna Hoben

Kündigungen wegen Eigenbedarfs bringen Mieter in München zunehmend in Bedrängnis. Nun hat der Mieterverein für eines seiner Mitglieder vor Gericht in einem solchen Fall einen Erfolg errungen: Der 41-jährige Sühel S. darf in seiner Wohnung bleiben. Die zuständigen Richter am Landgericht kamen in zweiter Instanz zu der Überzeugung, dass der Eigenbedarf für den Neffen des Eigentümers vorgeschoben war. Erst vor wenigen Wochen hatte das Amtsgericht im Fall eines 89-jährigen Mieters in Neuperlach entschieden, dass es ihm nicht zuzumuten sei, in seinem Alter noch einmal umzuziehen.

Sühel S. wohnt seit 2010 in einer Wohnung in der St.-Paul-Straße nahe der Theresienwiese: 63 Quadratmeter, drei Zimmer. Die Wohnung ist günstig, 471 Euro bezahlt S., dazu kommen noch die Heizkosten. 2017 kaufte der Immobilienunternehmer Christian B. das Haus, er besitzt mehrere Immobilien in München. B. habe ihn dazu bringen wollen, einen neuen Vertrag mit deutlich höherer Miete zu unterschreiben, sagt Sühel S. Als er ablehnte, habe B. ihm 5000 Euro für einen Auszug geboten - und gedroht, andernfalls Eigenbedarf anzumelden. S. ging nicht darauf ein.

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Jahrzehntelang war München für diesen Mann ein Versprechen - jetzt ist München ein Fluch. Zu Besuch bei Rudolf Kluge, 89, dem sein Mietvertrag wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde.

Im Jahr 2018 flatterte dann die erste Eigenbedarfskündigung ins Haus, ausgesprochen für die Eltern des Eigentümers. Diese starben jedoch beide einige Zeit darauf, kurz nacheinander. Am 30. Dezember kam der Vermieter dann persönlich vorbei. Er habe ihm ein gutes neues Jahr gewünscht, erinnert sich Sühel S. - und ihm die nächste Eigenbedarfskündigung in die Hand gedrückt. Diesmal für seinen Neffen. S. war nicht der einzige Betroffene; insgesamt fünf von sieben Mietparteien im Haus erhielten Kündigungen. Neben dem Neffen sollten etwa der Sohn, die Tochter und der Vermieter selbst einziehen. Zwei Mietparteien, darunter Sühel S., wehrten sich mit Hilfe des Mietervereins.

Das Amtsgericht wies in erster Instanz die Räumungsklage des Vermieters ab. Den Eigenbedarf bestritten Sühel S. und seine Anwältin Lisa Matuschek zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Dies taten sie erst im Berufungsverfahren vor dem Landgericht. Die Richter hätten sich viel Zeit genommen für eine genaue Beweisaufnahme, sagt Matuschek, und anschließend nach längerer Diskussion zunächst verkündet, dass sie sich nicht einig seien. Es hätte also auch anders ausgehen können. Schlussendlich wies die Kammer die Berufung des Eigentümers ab, ihr Urteil begründete sie ausführlich. Kern der Argumentation: Der Eigentümer wolle die Wohnung dem Neffen wohl allenfalls vorübergehend überlassen, bis er mit der Sanierung des Hauses beginne. Es sei davon auszugehen, dass der Neffe als "eine Art Strohmann" eingesetzt werde, "um den behaupteten Eigenbedarf durchsetzen zu können".

Sühel S. ist froh, dass er in seiner Wohnung bleiben kann. "Es war eine psychisch sehr anstrengende Zeit", sagt er. Eine weitere Nachbarin, Heike K., hat sich ebenfalls gewehrt; auch in ihrem Fall habe das Landgericht signalisiert, dass es die Berufung des Vermieters abweisen wolle, teilt ihr Anwalt mit. Lisa Matuschek prophezeit indes, dass das Thema Eigenbedarf weiter an Brisanz gewinnen werde - auch weil exorbitante Mieterhöhungen durch Modernisierung nicht mehr möglich sind. Eigenbedarfskündigungen seien eine relativ einfache Art, Mieter aus Wohnungen zu bekommen, sagt Volker Rastätter, Geschäftsführer des Mietervereins. Nach einer gewissen Zeit würden die Wohnungen oftmals deutlich teurer neu vermietet.

© SZ vom 10.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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