Ein sichtlich mitgenommener Gentleman, der wegen einer G-7-bedingten Straßensperrung aus dem Auto direkt auf die Bühne musste, bringt als Vorband von den Fantastischen Vier einen Punkt an, weswegen dieses Jubiläumskonzert ein besonderes ist: "G 7, was für n' Gedöns, Mann, was für n' Gedöns."
Newsletter abonnieren:München heute
Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.
Die Maxvorstadt befindet sich am Freitagnachmittag vor dem Konzert im Ausnahmezustand: Fanta 4 und G 7, Gewitterwolken und Menschenmassen treffen aufeinander. Bis auf die Kreuzung Brienner Straße/Augustenstraße stehen die wartenden Fans der Hip-Hopper Schlange, um ihre Tickets für das erste der beiden "Für immer 30 Jahre Live"-Jubiläumskonzerte der Fantastischen Vier auf dem Königsplatz einzulösen. Dazwischen: Straßensperren, viel Security-Personal, die ersten Biere, einige Menschen werfen besorgte Blicke in den Himmel. Denn viele trauen dem trockenen Wetter nach dem starken Gewitter am Nachmittag nicht.
"Ihr seid der Weizen und die morgen sind die Spreu"
Der Auftritt der Fantastischen Vier beginnt fulminant: Mit einer leicht abgewandelten Jubiläumsversion des bekannten "Nun, da sich der Vorhang der Nacht von der Bühne hebt"-Intros von ihrem Song "MfG - Mit freundlichen Grüßen" eröffnen Smudo, Michi Beck, Thomas D und And.Ypsilon das erste ihrer beiden Konzerte auf dem Königsplatz. Innerhalb von Sekunden springen die Tausenden Fans, Regen setzt ein, der Wind bläst wie aufs Stichwort zu den Zeilen "bevor wir fallen, fallen wir lieber auf" und scheint die hüpfenden Menschen noch ein Stück höher zu heben. Auf den Leinwänden werden neben den Aufnahmen des gerade stattfindenden Konzerts alte Liveaufnahmen abgespielt, schließlich handelt es sich um die Jubiläumstour, die eigentlich schon 2020 stattfinden sollte und pandemiebedingt mehrmals verschoben wurde. Am Freitagnachmittag bangten einige Fans in den sozialen Medien, ob man sie wieder vertrösten werde - ein heftiges Gewitter am Nachmittag, anschließend ein paar Stunden regenfrei und nun beginnt es pünktlich zum ersten Song zu schütten.
Dies tut der ausgelassenen Stimmung zunächst keinen Abbruch, Instrumente und Elektronik auf der Bühne werden schnell mit Planen abgedeckt. Der Königsplatz feiert zu "Was geht", die Euphorie wird noch größer, als Takte aus Beyoncés "Crazy in love" dazu eingespielt werden. "Nice Leute, das gefällt mir", sagt Thomas D nach dem Song "und bevor wir vom Blitz getroffen werden, natürlich nur vor Euphorie, wollen wir danke sagen", und die Gruppe performt "Danke" aus dem Album "Für dich immer noch Fanta Sie". Es zieht sich durch den ganzen Abend, dass das Wetter Eingang in die eingeübten, aber geschmeidig vorgetragenen Songmoderationen findet, mal ironisch mit "hier im schönen Monaco, wo immer die Sonne scheint", mal derb: "Wahnsinn, ihr habt durchgehalten, eure Karten zwei Jahre behalten, und jetzt pisst es wie Kacke vom Himmel."
Es ist tatsächlich erstaunlich, dass sich nur wenige Fans dazu entscheiden, den zusehends schlammiger werdenden Königsplatz zu verlassen. Die Besucher am Samstag werden vom Sonnenschein verwöhnt, am Freitag dagegen motiviert die Band ihre Fans zum Durchhalten: "Ihr seid der Weizen, und die morgen sind die Spreu, 26 Grad und Sonne kann ja jeder! Ihr seid wahre Picknicker."
Auch den vier Schwaben peitscht der Regen ins Gesicht, trotzdem tanzen und springen Smudo, Michi Beck und Thomas D vorne auf der Bühne herum, als sei es ein normales Konzert, Andreas Rieke alias And.Ypsilon steht stoisch hinter seinem mit einer Plane bedeckten Aufbau, was die anderen drei ironisch kommentieren, als sie sich auf Stühlen niederlassen. "Falls ihr euch fragt, was Andy dahinten macht, der kocht uns ein Süppchen" - "ein Pilzsüppchen". Und die ersten Takte von dem drogen-inspirierten "Tag am Meer" erklingen.
Die Fantas liefern ab, wie man es von ihnen gewohnt ist. Die Show ist eng durchgetaktet, aber keinesfalls seelenlos, die Evergreens der Band von "Die da?!" bis "Troy" haben nichts an ihrem Witz oder Aussagekraft eingebüßt. Als Thomas D allein auf der Bühne steht, sich sein Shirt auszieht und mit nacktem Oberkörper "Krieger" performt, fliegen G7-Hubschrauber übers Publikum und erinnern daran, dass auf diesem Kontinent derzeit ein realer Krieg stattfindet.
Die Fantastischen Vier können auf eine beeindruckende Bandkarriere zurückblicken: Seit mehr als drei Jahrzehnten sind sie in gleichbleibender Formation musikalisch aktiv, machten deutschen Hip-Hop groß, gründeten eine Plattenfirma, veröffentlichten zahlreiche sehr erfolgreiche Alben. Neben ihrer Gruppe haben die Mitglieder eigene, nicht nur musikalische, Projekte. Michi Beck und Smudo saßen einige Jahre lang im Coachsessel der Castingshow The Voice of Germany und auch mal in der Kinderversion des Formats - was einige der sehr jungen Fans im altersmäßig sehr breit aufgestelltem Publikum erklären dürfte -, Smudo machte zuletzt mit der Corona-Warn-App Luca Schlagzeilen und Thomas D war Anfang der Nuller-Jahre das Gesicht des Fitnessprogramms Fighter Fitness, was vielleicht auch einer der Gründe ist, weshalb er bei "Krieger" seinen nackten Oberkörper präsentiert.
Zudem ist Thomas D in den Bereichen Veganismus, Klima- und Umweltschutz engagiert, weshalb es viele Fragezeichen gab, als 2019 bekannt wurde, dass die Tickets zu der "Für immer 30 Jahre Live"-Tour unter dem Motto "Exklusiv für alle" bei dem Discountriesen Aldi verkauft wurden. Das Argument der Band, dass Ticketverkäufe damit demokratisiert werden sollten, überzeugte im Zeitalter des Internets nicht alle Kritiker, nachvollziehbarer war der Punkt, dass unseriöse Verkäufe über Zweit-Ticket-Plattformen so vermieden werden sollten.
Der neueste Coup soll FantiTown werden: Für diesen virtuellen Club werben die Fantastischen Vier vor dem Konzert in einem Video. Dabei fallen Worte wie "exklusiv" und "Vorteile". In diesem digitalen FantiTown sollen die Fans durch verschiedene Räume wandern und das Universum der Band noch intensiver erleben können. Gelockt wird damit, dass man dieses Konzert dort auch im Stream ansehen könne - bevor man es überhaupt sieht, wird schon das digitale Wiedererleben des Konzerts angekündigt.
Zum Ende des Konzerts betonen die Fantastischen Vier dann aber das, was doch nur live geht: Mit der Zugabe des Songs "Zusammen" verneigen sie sich erst musikalisch, bevor sie sich verbeugen und dann vor ihren Fans auf die Knie gehen: "Das vergessen wir euch nie." Und auch das Publikum ist nachhaltig beeindruckt. Ein Mann im Regenponcho, der etwa im Alter der Fantastischen Vier sein dürfte, ruft seiner Begleitung nach dem Konzert ungläubig-euphorisiert zu: "Wahnsinn, was die alten Säcke noch für eine Power haben!"