Roberto Farnetani muss raus. Also nicht er selbst, sondern seine italienische Feinkost-Firma aus ihrem Lager in Allach. Von dort beliefert sie im Großhandel ihre Kunden, zu denen etwa einige der prominenten Hotels im Zentrum gehören. Doch der Eigentümer des Lagers wolle seine Flächen künftig anders nutzen und Wohnungen bauen, sagt Farnetani. Seit er und seine Söhne das wissen, sind sie auf der Suche nach einem neuen Standort. Bisher vergeblich. "Es gibt keine Gewerbeflächen mehr", sagt der Seniorchef. Die Uhr tickt, in zwei Jahren müssen sie umziehen. Im schlimmsten Fall muss das Lager raus aus der Stadt aufs Land. "Wir müssten dann leider Gottes wegziehen, weil wir hier keine Chance haben", sagt Roberto Farnetani.
Weg aus München, der Stadt, in der es wirtschaftlich doch eigentlich so gut läuft. Ein Fünftel der bayerischen Wirtschaftsleistung entsteht hier, die ohnehin schon niedrige Arbeitslosenquote ist weiter gesunken. Knapp 900 000 Menschen arbeiten im Stadtgebiet - so viele wie noch nie. Und das sind lediglich die Sozialversicherungspflichtigen.
Der Zucker im Espresso ist noch gar nicht aufgelöst, da ist Roberto Farnetani schon längst bei dem Thema, das ihn am meisten beschäftigt. "Die Stadt muss Gas geben, muss die Leute in Bewegung bringen", wünscht er sich. Nicht nur überall Wohnungen bauen, sondern auch etwas für die Firmen machen und Gewerbeflächen ausweisen. Von der Empfangscouch in der Zentrale in Pasing geht es hinauf in den neuen Besprechungsraum, die Farnetanis haben sich gerade um ein Stockwerk vergrößert. Das Geschäft läuft, da gibt es keinen Grund zur Klage. Aber wenn Roberto Farnetani aus dem Fenster schaut, sieht er auch hier, was ihm und vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen zu schaffen macht.
Früher lag die Peter-Anders-Straße in einem Gewerbegebiet. Nun wachsen auf den benachbarten Flächen Wohnblöcke in die Höhe. Nicht einer oder zwei. Etwa 2400 Wohnungen sollen dort in Pasing entstehen, heißt es in der Projektbeschreibung der Stadt. "Wo sich ein Gewerbegebiet befand, sollen einmal 5500 Menschen wohnen und etwa 800 arbeiten." Das ist gut für den italienischen Feinkostmarkt, den Farnetani im Erdgeschoss zusätzlich betreibt. Doch er fragt sich, wo künftig seine Angestellten im Lager arbeiten sollen. Im Raum Augsburg etwa oder in Odelzhausen? Wie sollen sie hinkommen, kann er sein Personal halten? Was kostet der tägliche Stau auf den Straßen an Zeit, Geld und Nerven?
Sein Sohn Federico kommt herein, er soll mit seinem Bruder das Unternehmen übernehmen. "München hat ein Luxusproblem. Die Stadt ist zu attraktiv", sagt er. Der Druck auf die Mieten setze einen Mechanismus in Gang, unter dem das Familienunternehmen wie so viele andere leidet. "Industriegebiete werden in Wohngebiete umgewandelt." Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner nervt es, wenn er sich im Stadtrat anhören muss, dass das Gewerbe angeblich das Wohnen verdränge. "Das ist Humbug. Diese Konkurrenz um die Flächen wird herbeigeredet. Wir müssen zu einer Symbiose kommen", fordert er.
Die Stadt müsse ausgewogen planen, wenn vor lauter Wohnungen keiner mehr mit seinen Gewerbesteuern die Infrastruktur bezahle, könnte es ungemütlich werden, prophezeit er. Konstant mehr als zweieinhalb Milliarden Euro Steuern pro Jahr haben die Unternehmen zuletzt an die Stadt bezahlt. Das kommt zum wesentlichen Teil von Konzernen wie BMW; aber die Münchner und ihre Wirtschaft haben immer davon profitiert, dass eine Mischung aus groß und klein, aus produzierendem Gewerbe und Dienstleistern, dem Standort Stabilität verlieh und Arbeitsplätze sicherte. Wandel gehört dazu, die Stadt rüstet sich für die Zukunft - große Digitalunternehmen wie Microsoft, Google und wohl auch Apple sichern sich Standorte. Die Hightech-Unternehmen wiederum kämpfen um die besten Mitarbeiter und entdecken das attraktive München als Argument im "War of Talents", wie es Baumgärtner ausdrückt. Doch die Stadt will auch kleine Start-ups anlocken, für Vielfalt sorgen, um nicht von Wohl und Laune ein paar großer Konzerne abhängig zu sein.
Gerade in Krisen macht sich eine gesunde Mischung bemerkbar. Deshalb waren und sind auch Unternehmen wie die Farnetanis ein Garant für den Wohlstand. Auch wenn sie selbst unter der Prosperität und der daraus resultierenden Flächenknappheit leiden, die Wirtschaft abwürgen dürfe die Stadt auf keinen Fall, warnt Federico Farnetani. "Das Wachstum soll nicht gebremst werden, sondern anständig geplant." So wie es der Vater begonnen hat und die Söhne nun fortsetzen wollen. Der Betrieb hat sich seit 1982 vom Garagenhandel mit Chianti zu einem florierenden Betrieb mit 4000 Produkten entwickelt. Etwa 40 Mitarbeiter beschäftigt die Familie. Sie hat jüngst einen Wirtschaftspreis der Stadt gewonnen.
Auf der großen Fotomontage zum 25-jährigen Firmenjubiläum strahlt Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) in die Kamera. Unternehmer wie die Farnetanis stolpern nicht naiv über die Flächennot in der Stadt, sie haben sich bereits im Jahr 2015 und 2016 bei der Ausschreibung auf dem sogenannten Junkersgelände beworben. Es sah nicht schlecht aus, doch dann kam zuerst eine dort lebende Wander-Eidechse dazwischen, dann eine mögliche Bodenbelastung aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Farnetanis wissen noch von keiner zeitlichen Perspektive, wann es dort weitergeht. Sie ahnen aber, dass es für sie knapp werden könnte. Zu knapp.
SZ im Dialog
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Auch Florian Fendt und Manfred Kneifel können sehen, dass die Zeit drängt. In der Nachbarschaft ihres Unternehmens, der Münchner Suppenküche, wächst das neue Volkstheater in die Höhe. Ein Symbol für den Wandel im Schlachthofviertel, dem auch ihre Produktionshalle zum Opfer fallen wird. Hier in der Zentrale werden nicht nur die Gerichte für den Stand am Viktualienmarkt gekocht, sie haben die Suppenküche ausgebaut zu einem mittelständischen Betrieb mit mehreren Restaurants, Food-Service und mehr als 100 Mitarbeitern. Sie wissen noch nicht genau, wann sie ihre Zentrale räumen müssen, doch vorsorglich sind sie auf der Suche nach einem Alternativstandort. "Wir können aber momentan nicht hoffen, dass in der Stadt was abfällt", sagen sie am Telefon. Also orientieren sie sich ins Umland, wie so viele ihrer Lieferanten oder Handwerker, mit denen sie zusammenarbeiten.
Die beiden Geschäftsführer wissen, dass die Stadt selbst keine Flächen mehr hat. Auch die geplante neue Großmarkthalle in der Nachbarschaft wird für die Suppenküche als produzierenden Betrieb keine Alternative sein. Fendt und Kneifel sagen, dass die Stadt sich durchaus kümmere, appellieren aber auch an die Politik, wieder mehr die Kleinen und die Mittelständler in den Fokus zu nehmen, die ihren Betrieb nicht in ein beliebig hohes Bürogebäude verlegen können. Der Schwerpunkt der Förderung habe in den vergangenen Jahren allzu sehr auf stillem Gewerbe und Büronutzung gelegen. Nur wenn sich das ändert, kann der Wunsch der Suppenküche und auch der im Münchner Westen seit fast 40 Jahren heimischen Farnetanis in Erfüllung gehen. Sie wollen einfach nur ein Münchner Unternehmen bleiben.