Neuhauser Kindertagesstätte:"Wir stehen vor einer Mammutaufgabe"

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Als sie Ende 2022 die Kündigung erhielten, hofften die "Hirschgarten-Zwerge" noch, dass sie andernorts werden weiterspielen können. Diese Hoffnung hat sich für die Kita zerschlagen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Dilemma der Hirschgarten-Zwerge wiederholt sich in der Stadt derzeit immer wieder - womit Elterninitiativen in München derzeit vor allem zu kämpfen haben.

Von Ellen Draxel

Julia Zehmisch muss dieser Tage ihr ganzes Organisationstalent in die Waagschale werfen. Die Mutter eines dreijährigen Sohnes und einer neun Monate alten Tochter ist im Vorstand des Neuhauser Vereins Hirschgarten-Zwerge, die Elterninitiative sucht dringend neue Räume für ihren Kindergarten. Ansonsten droht ihr nach elf Jahren das Aus. Denn im Sommer flatterte der privat geführten Kita überraschend die Kündigung ins Haus. Zwar stehen die 18 Mädchen und Jungen nicht sofort auf der Straße, bis Ende 2023 dürfen sie noch in ihren angestammten Räumen an der Wotanstraße bleiben.

Doch die Zeit, eine Alternative für die Zeit danach zu finden, drängt. Aus drei Gründen: Zum einen befürchten die Eltern, dass sich das engagierte Erzieher-Team anderweitig bewerben könnte, sollte die momentane Unsicherheit weiterbestehen. "Und wir sind heilfroh, dass wir die Vier trotz Corona und Erziehermangel noch haben", sagt einer der Väter, Wenzel Meurer. Zum anderen dauert es etwa ein halbes Jahr, eine mögliche neue Gewerbeimmobilie herzurichten. Und auch die Eltern selbst müssen planen können: Ist keine Lösung in Sicht, werden sie ihre Kinder spätestens im April in anderen Einrichtungen anmelden müssen. "Wir stehen deshalb gerade vor einer Mammutaufgabe", sagt Zehmisch. "Und das frisst einen Großteil unserer Freizeit."

Vor einer Mammutaufgabe: Julia Zehmisch, Vorstandsmitglied im Trägerverein. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Alle 13 Elternpaare sind derzeit sozusagen als Task Forces im Einsatz, um Baufirmen und Makler anzufragen, zu inserieren und zu recherchieren, sich mit der Stadt, dem Kleinkindertagesstätten-Verein und dem Mieterverein zu beraten. Es gilt, die Politik ins Boot zu holen und Flyer zu verteilen, 750 an der Zahl. Auch andere Kitas hat der Verein bereits angefragt, ob es dort vielleicht aufgrund von Personalmangel Leerstände in den Räumlichkeiten gibt. Aber selbst wenn, weiß Zehmisch, "wären auch das nur Übergangslösungen".

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Der Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg, dem Eltern jetzt ihre Probleme schilderten, will die Vermieterin kontaktieren und sie bitten, die Eigenbedarfskündigung noch einmal zu überdenken. Geprüft werden soll zudem eine mögliche Nutzung leerstehender Räumlichkeiten an der Wotanstraße 72 und von Räumen im Neubau des ehemaligen Goethe-Instituts an der Dachauer Straße 122. Die Lokalpolitiker wollen auch den Oberbürgermeister einschalten, weil sie "im Stadtbezirk immer wieder Probleme dieser Art haben".

Denn die Situation der Hirschgarten-Zwerge ist kein Einzelfall. "Wir haben auch andere Initiativen, die ums Überleben kämpfen", sagt Susanne Kloth vom Kleinkindertagesstättenverein KKT. Sei es der Räumlichkeiten wegen oder aufgrund von Personalmangel. Etwa 270 Vereine sind bei dem Dachverband gemeldet, deren Kindergruppen in der Regel in Gewerbeimmobilien untergebracht sind. "Gewerbemietverträge aber unterliegen keinem besonderen Schutz, das ist das Problem", erklärt KKT-Vorstandsmitglied Ursula Baumgärtner. "Wenn da der Vermieter kündigt, war's das halt."

In Schwabing hat eine Initiative aufgeben müssen, in Oberföhring stand es Spitz auf Knopf

Baumgärtner weiß aktuell von einer weiteren Initiative in Forstenried, die ebenfalls eine neue Bleibe sucht. Und eine Schwabinger Elterninitiative hört sogar ganz auf, weil dort Räume und Personal fehlen. Wie schwierig die Personalsituation derzeit ist, zeigt sich am Beispiel des Kinderhauses an der Spervogelstraße in Oberföhrung. Die Elterninitiative dort, 1976 gegründet und damit eine der ältesten in München, stand bis vor wenigen Tagen mit dem Rücken zur Wand, suchte händeringend Fachkräfte. "Seit September fehlten uns zwei Bufdis, eine Assistenzkraft, ein Erzieher oder eine Erzieherin", erzählt Linda Portmann. "Und von Januar an wären es dann zwei und im Herbst sogar drei Erzieher gewesen." Für das Kinderhaus, betont die Mutter, die seit 16 Jahren mit der Einrichtung verbunden ist, wäre dieser Mangel "wirklich existenziell" geworden.

Auch aus finanzieller Sicht, denn für ausgebildete Pädagogen erhalten die privaten Initiativen dringend benötigte Fördergelder von der Stadt. Mittlerweile sind die Oberföhringer Eltern aber "zum Glück" nur noch auf der Suche nach einer Assistenzkraft mit Tagespflegequalifikation, nach vier Monaten haben sich zwei Personen gefunden, die den Fachkräfteschlüssel wieder nach oben ziehen werden. "Dieses Mal", konstatiert Portmann, "sind wir noch haarscharf davongekommen".

Allein bei den 450 städtischen Kitas sind 350 Fachkraftstellen nicht besetzt

Der Personalmangel, bestätigt Andreas Haas, Sprecher des städtischen Bildungsreferats, sei "die zentrale Herausforderung für alle Träger". Und im vergangenen Jahr habe sich die Lage "in der Tat noch einmal weiter verschärft". Allein bei den rund 450 städtischen der insgesamt 1450 Kindertageseinrichtungen in München sind aktuell 350 Fachkraftstellen und rund 100 Ergänzungskraftstellen nicht besetzt, das entspricht 13 beziehungsweise 6,8 Prozent der Stellen. Um hier dagegen zu steuern, hat die Kommune bereits ein ganzes Bündel an Maßnahmen geschnürt, angefangen von Marketing-Kampagnen über Anwerbeprämien bis hin zu Zulagen und einen Zuschuss für den öffentlichen Nahverkehr. Leistungen, die das Erziehungspersonal in den Elterninitiativen ebenfalls bekommt, wie Baumgärtner versichert.

Dennoch haben es die privaten Träger oft schwerer, lastet bei diesem Betreuungsmodell doch zusätzlich zur gesamten Organisation nun auch noch die Suche nach Personal und Räumlichkeiten auf dem extrem angespannten Mietmarkt in München auf den Schultern der Eltern. Dass die Mütter und Väter dieses Engagement ehrenamtlich neben ihren sonstigen Jobs und der Familie aufbringen, findet Susanne Kloth vom KKT "unglaublich". Wenzel Meurer sieht es pragmatisch: "Die Schließung von Vereinen wie den Hirschgarten-Zwergen", sagt der Vater, "bedeutet nicht nur, dass München weitere Kindergartenplätze verliert. Sie bedeutet auch den Verlust von Arbeitsplätzen, Freundschaften und ehrenamtlicher Tätigkeit in unserer Stadt."

Die Neuhauser freuen sich daher über jede Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie in ihrem Stadtbezirk oder in Laim (Infos an kontakt@hirschgartenzwerge.de). Gebraucht werden mindestens 130 Quadratmeter, idealerweise mit Garten oder zumindest in der Nähe öffentlicher Grünflächen.

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