5. ILFest München:Das wahre Italien

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Der Einsturz der Autobahnbrücke Ponte Morandi bei Genua erschütterte im August 2018 Italien. In Ilaria Rossettis "Le cose da salvare" wird die Brücke zur Metapher für den Zerfall einer Gesellschaft. (Foto: Antonio Calanni/dpa)

Auch wenn die Deutschen glauben, alles über ihre südlichen Nachbarn zu wissen, ist das zumeist nur insalata mista aus Klischees. Das italienische Literaturfestival München will das ändern.

Von Jutta Czeguhn

Die Chronik einer Teufelsaustreibung, eine junge Frau, die sich gegen alle Widerstände in eine Männerdomäne wagt; ein Vater, der seine Kinder tötet, weil er sie nicht ernähren kann; ein Ehepaar in einem Milaneser Wohnsilo, das sich nie sieht, weil beide im Schichtdienst arbeiten. Sie hängen alle irgendwie zusammen, diese Geschichten, selbst über Epochen hinweg. Doch um die unsichtbaren Fäden zwischen den einzelnen Texten zu erkennen, braucht es den genauen Blick. "Con gli occhi aperti", wie Elisabetta Cavani sagt. "Mit offenen Augen" soll man den Werken der Autorinnen und Autoren begegnen, die sie für ihr mittlerweile fünftes "ILFest" - das Festival der italienischen Literatur - vom 5. bis zum 7. Mai nach München (Trafo, Neuhausen) geladen hat.

Für Giacomo Papi ist Literatur auch ein Dokument über die Zeit, aus der sie stammt. In seinem Buch "Italica. Il Novecento in trenta racconti (e tre profezie)" macht er die Stimmen von 30 Schriftstellerinnen und Schriftstellern der vergangenen 100 Jahre hörbar. (Foto: Maki Galimberti)

Denn diese Literaten haben viel zu erzählen über ein Land, das den Deutschen als Sehnsuchtsort gilt, das sie zu kennen glauben, das ihnen aber immer auch Rätsel bleibt. Ein Land, das sich selbst mitunter fremd wird und nicht erst seit dem Antritt der rechtsextremen Regierung Meloni in eine kulturell restaurative Phase driftet. 2024 nun wird Italien Gastland der Frankfurter Buchmesse, noch reichlich Zeit also für das Münchner Publikum, sich schon mal warm zu lesen.

Bis zur großen Messe werden die deutschen Verlage hoffentlich noch einige italienische Titel mehr in ihre Programme heben, so Elisabetta Cavani, die aus Bologna stammt und 25 Jahre lang in München ihre Buchhandlung "Ital-Libri" führte. Noch unübersetzt ist beispielsweise Giacomo Papis "Italica. Il Novecento in trenta racconti (e tre profezie)", mit dem das Festival am 5. Mai eröffnet. Eine Anthologie, in der der Journalist dreißig kurze Meisterwerke des 20. Jahrhunderts etwa von Natalia Ginzburg, Primo Levi, Elsa Morante oder Curzio Malaparte mit Statistiken, Parlamentsberichten und Zeitungsartikeln verwebt. Die reiche Sammlung wird erstaunlicherweise auch immer wieder zum Bezugspunkt für die anderen Bücher des Festivals.

Maria Grazia Calandrone liest beim ILFest aus "Dove non mi hai portata". In diesem erschütternden Buch versucht sie herauszufinden, warum ihre Eltern sie als Baby in Rom aussetzten und sich dann im Tiber ertränkten. Mit dem Werk ist die Autorin für den renommierten Literaturpreis Premio Strega nominiert. (Foto: Barbara Ledda)

Etwas für die beunruhigende Geschichte eines Exorzismus, die Fernanda Alfieri in "Veronica e il diavolo" , deutsch "Veronica und der Teufel" (wbg Theiss) erzählt. Es geht um Glauben und Aberglauben, um die unheilige Allianz von Kirche und Wissenschaft. Und um die Kontrolle des Frauenkörpers. An eine widerständige Frau erinnert Simona Baldelli in "Alfonsina e la strada" ("Die Rebellion der Alfonsina Strada", Eichborn). Alfonsina Strada trat 1924 beim Giro d'Italia an und absolvierte als bis heute die einzige Frau diese Männer-Fahrradrundfahrt, auf deren Etappen sie sich als Wahnsinnige und Nutte beschimpfen lassen musste.

An der bigotten italienischen Gesellschaft zugrunde gingen die Eltern von Maria Grazia Calandrone. Wie eine Detektivin rekonstruiert sie in "Dove non mi hai portata" das Schicksal der beiden, die sie, ihr Baby, 1965 aussetzten und dann gemeinsam Selbstmord begingen. Was ist uns wirklich wichtig? Diese Frage stellt Ilaria Rossetti in "Le cose da salvare". Der Einsturz einer Brücke wird in diesem Buch zur Metapher für den Zerfall einer Gesellschaft.

Alle Lesungen und Gespräche beim IL-Fest werden übersetzt. Wer sich der italienischen Sprache intensiver zuwenden will: In einen Workshop kann sich jeder an der Erstübersetzung einer Kurzgeschichten aus Giacomo Papis Anthologie "Italica" versuchen.

ILfest - Italienisches Literaturfestival München, Fr.,5., bis So., 7. Mai, Trafo, Nymphenburger Straße 171 a, Karten und Infos unter www.ilfest.de

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