Iris Berben und das Ukrainische Tagebuch:"Es ist, als würde ich träumen"

Lesezeit: 2 min

Iris Berben (re.) liest aus dem "Ukrainischen Tagebuch" von Oxana Matiychuk (li.). SZ-Kulturkorrespondentin Sonja Zekri moderiert den Abend im Lustspielhaus. (Foto: Marc Hoch)

Sie habe keine richtigen Worte dafür, wie es ihr und dem Land rund drei Monate nach Beginn der Invasion gehe, sagt Oxana Matiychuk. Im Münchner Lustspielhaus liest Iris Berben aus dem "Ukrainischen Tagebuch" der SZ-Kolumnistin. Ein anrührender, bisweilen sogar heiterer Abend.

Von Laura Hertreiter und Cornelius Pollmer

Oxana Matiychuk spricht an diesem Abend in München auch über die wachsende Kriegsmüdigkeit des Westens, aber sie tut dies vor einem sehr wachen Publikum im ausverkauften Lustspielhaus. Seit Beginn der russischen Invasion berichtet die Literaturwissenschaftlerin und Kulturmanagerin in ihrem "Ukrainischen Tagebuch" für die Süddeutsche Zeitung fast täglich aus ihrer Heimat. Am Sonntagabend nun sitzt sie in der Reihe "SZ im Dialog" auf der Bühne mit der Schauspielerin Iris Berben, die aus Matiychuks Texten liest, und der SZ-Kulturkorrespondentin in Berlin, Sonja Zekri, die den Abend moderiert.

"Ich habe keine richtigen Worte", sagt Oxana Matiychuk auf die nur scheinbar einfache Frage, wie es ihr und dem Land gut drei Monate nach Beginn der Invasion gehe. Es sei kaum möglich zu benennen, "was wir erlebt haben" - und umso surrealer muss es für Matiychuk sein, eine Auszeit vom Krieg in einer so herausragend friedlichen Stadt wie München zu erleben: "Es ist, als würde ich träumen - und ich muss ständig eine Maske tragen."

Da lacht das Publikum im Lustspielhaus das erste und lange nicht das letzte Mal. Auch das macht diesen Abend, dessen Erlös der Ukraine zugutekommt, so besonders und anrührend. Neben konzentrierter Aufmerksamkeit für die Schrecken des Krieges ist Platz für Heiterkeit, für Melancholie, für ungeschützte Ratlosigkeit. Das geht nur mit Vertrauen und Wertschätzung, beides ist auch zwischen Oxana Matiychuk und Iris Berben in besonderer Weise zu spüren.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Berben, deren Film "Triangle of Sadness" gerade in Cannes ausgezeichnet worden ist, sagt, die Texte von Matiychuk "gehen ja so tief, weil sie so menschlich sind" - und dann liest sie trotz angeschlagener Stimme diese Texte mit einer Emphase, die selbst größte Schauspielerinnen nicht spielen könnten. Es ist vielmehr echtes Empfinden.

Oxana Matiychuk am Sonntag in München. (Foto: Marc Hoch)

Oxana Matiychuk sagt, das Schreiben des Tagebuches - immer zwei Stunden lang am Vormittag - sei keine Therapie, aber es verschaffe ihr doch Erleichterung. Außerdem sei sie überwältigt von den zahlreichen Rückmeldungen auf ihre Texte, die schon Medikamententransporte und Spendenaktionen ausgelöst haben. Solches zu koordinieren, wie auch das Schreiben und die Hilfsarbeit bei sich in Czernowitz, all diese "vielen Aufgaben helfen, sich abzulenken und nicht zusammenzubrechen", sagt Matiychuk: "Ich bin in einer glücklichen Situation und dadurch, dass ich etwas tun kann, bin ich in einer besseren Situation."

Die ersten Wochen des Krieges seien zwar gewesen "wie unter Dauer-Adrenalin zu stehen" - doch dann "ist der Krieg tatsächlich zur Routine geworden, so schrecklich das auch klingen mag". Alles fühle sich "für mich schon lange an wie eine Betäubung - eine Betäubung, die wirken muss, damit man den Krieg aushalten kann".

Anders verhält es sich mit der wachsenden Kriegsmüdigkeit des Westens. Sie glaube und sehe zwar, dass diese Kriegsmüdigkeit "ganz natürlich" sei, sagt Oxana Matiychuk. Aber das heißt ja nicht, dass man sie einfach so hinnehmen muss. Sie jedenfalls sei da weiterhin pragmatisch. "Wir brauchen nicht so sehr Mitleid", sagt Matiychuk - und spricht dann über die nötige Verstärkung der Front im Osten der Ukraine, unter anderem mit Mehrfachraketenwerfern: "Wir brauchen weiterhin die Solidarität. Und wir brauchen jede Spende."

Die Folgen der Kolumne "Ukrainisches Tagebuch" lesen Sie hier .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Dobryy Den, Dachau
:"Ich finde es ziemlich beeindruckend, wie gewissenhaft die Deutschen Müll sortieren"

Anna Huryn ist aus der Ukraine nach Dachau geflohen. Die 21-Jährige berichtet wöchentlich über ihr Ankommen im Landkreis. In der zehnten Folge berichtet sie von der Wissenschaft der Mülltrennung.

Kolumne von Anna Huryn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: