Hoher Stand an Krankschreibungen:Eine Infektwelle rollt durch München

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Taschentuchalarm: Derzeit liegen viele Menschen mit Husten, Schnupfen und Gliederschmerzen im Bett. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Sie kommen zu früh und sie kommen geballt - vor allem Atemwegserkrankungen setzen den Menschen zu. Wie es in den Arztpraxen aussieht und warum dem Immunsystem einige "Updates" entgangen sind.

Von Nicole Graner

Kaum sind die einen wieder gesund, haben am nächsten Tag andere eine Erkältung, hartnäckige Kopf- und Gliederschmerzen. Oder Corona. Die Büros sind oft fast leer, an der Kasse im Supermarkt wird in Taschentücher geschnäuzt und in den U-Bahnen tragen wieder mehr Menschen Masken. Der Krankenstand in der Stadt ist hoch. Die Zahl akuter respiratorischer Erkrankungen (ARE) wie Husten, Schnupfen und Fieber ist in der Bevölkerung laut Robert Koch-Institut (RKI) in der Woche vom 13. November an erneut gestiegen. Ärzte sprechen von einer Infektwelle. Eigentlich ganz normal für die Wintermonate. Aber: Sie ist viel früher gekommen als sonst.

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"Haufenweise", sagt Wolfgang Ritter, schreibe er im Moment Patienten und Patientinnen in seiner Praxis in Sendling krank. Normalerweise käme diese Welle erst im Januar, aber jetzt sei sie "einfach deutlich früher" da, so der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands. Vor allem viele junge Erwachsene seien krank. Ritter spricht von Patienten im Alter zwischen 15 bis 45 Jahren. Es seien Coronaviren und Rhinoviren als klassische Erkältungserreger, die gerade die vielen Atemwegserkrankungen auslösten. Das bestätigt auch das RKI. Derzeit werden in den stichprobenartig gemachten Laborproben zur Datenerhebung (Sentinel-Proben) hauptsächlich Rhinoviren (31 Prozent) und SARS-CoV-2 (20 Prozent) identifiziert. Für die kreisfreie Stadt München liegt die Infektionsrate, so das RKI, bei 48,8 Prozent. Sie errechnet sich aus der Anzahl aller gemeldeten Infektionen und der Zahl der Einwohner. Die Sieben-Tagesinzidenz liegt bei 16,7.

Die echte Grippe (Influenza) ist im Moment bislang nicht das Thema in den Arztpraxen. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) gibt in ganz Bayern für die Zeit vom 13. bis 19. November 45 Influenzafälle an, die von den Gesundheitsämtern an das LGL übermittelt worden sind.

Hat das lange Maskentragen also das Immunsystem geschwächt?

Gefühlt alle krank - die subjektive Wahrnehmung ist richtig. "Denn die Infektwelle ist nicht nur früher gekommen als sonst, sondern auch geballt", sagt Wolfgang Guggemos. Der Leitende Oberarzt der Infektiologie der München-Klinik Schwabing sieht das vor allem in zwei Dingen begründet. Zum einen hätten die Menschen drei Jahre lang Masken getragen, zum anderen Kontakte und Menschenansammlungen vermieden.

Hat das lange Maskentragen also das Immunsystem geschwächt? "Das ist ein Ammenmärchen", sagt Guggemos, der seit 31 Jahren in der München-Klinik arbeitet. "Unser Immunsystem ist genauso schlagkräftig wie immer und ist nicht überfordert". Aber alle zirkulierenden Viren hätte in den Coronajahren durch die Maske "keine Opfer" gefunden, jetzt fänden sie genügend.

Dem Immunsystem seien lediglich einige "Updates" abhandengekommen. In den Erkältungsmonaten vor Corona hätten sich die Menschen in den Wintermonaten, so erklärt der 59-jährige Oberarzt weiter, normalerweise auch immunisiert. Nicht alle sind also auf einmal krank geworden. "Jetzt aber erwischt es alle gleichzeitig", sagt Guggemos.

Kinder, vor allem Säuglinge, leiden oft unter dem RS-Virus. Husten, Fieber und Atemnot sind Symptome. (Foto: imago stock&people/imago/imagebroker)

Auch die Kinder leiden unter der aktuellen Infektionswelle. Wie die München Klinik mitteilt, hätten schon viele Kinder, darunter auch Säuglinge, intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Gehäuft würden Infektionen mit RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus), und anderen Atemwegserkrankungen auftreten. "Zwei neue Impfmöglichkeiten gegen RSV gibt es seit diesem Jahr", sagt Marcus Krüger, Chefarzt der Kinderintensivstationen der München-Klinik Schwabing und Harlaching, und hofft, dass es das RSV in circa fünf Jahren nicht mehr in der "Häufigkeit wie die letzten Winter" geben wird.

Gefühlt länger krank - das sieht Wolfgang Guggemos nicht so. An dieser Wahrnehmung würden sich gerade die Geister scheiden. Aktuelle Zahlen, wie lang die Krankschreibungen derzeit dauerten, haben die Krankenkassen, wie zum Beispiel die AOK in Bayern, bisher nicht. Erst nach der Quartalsabrechnung im Dezember würden diese laut der kassenärztlichen Vereinigung Bayern feststehen und dann ausgewertet werden.

Eine Woche Ruhe geben

Der Arzt Wolfgang Ritter jedenfalls schreibt seine Patienten in der Regel je nach Diagnose für drei bis fünf Tage krank. "In der Akutphase", sagt er, "muss man den Erkrankten herausnehmen. Man muss sich selbst, aber auch die anderen schützen." Und er plädiert für eine Woche "Ruhe geben". Guggemos rät zu einer saisonalen Covid-19-Auffrischimpfung, die besonders für Menschen mit Risikofaktoren zur "Winter-Routine" gehören sollte wie die Influenza-Impfung. Besonders gut, sagt er, sei, dass immer mehr Menschen verinnerlicht hätten, bei einer Infektwelle wie gerade jetzt bewährte Schutzmaßnahmen anzuwenden: also Masken anzuziehen.

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