Es sind eineinhalb Stunden vergangen, man hat längliche Ausführungen übers Auto und den Verkehr der Zukunft gehört, als eine Besucherin im Publikum beklagt, dass sie die Ausreden leid sei, warum es nicht vorangehe mit Klimaschutz und Mobilitätswende. Dann stellt sie die vielleicht zentrale Frage an diesem Abend: "Wo ist Ihr Mut?"
Vor sich, auf der Bühne der Münchner Volkshochschule, erlebt sie eines der seltenen Zusammentreffen eines Vertreters des Verbands der Autoindustrie (VDA), der gerade die IAA veranstaltet, mit Menschen, die sich qua Beruf oder Berufung für die Mobilitätswende engagieren. "Wie lange fahren wir noch Auto - fossil?"
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Nach einem turbulenten Auftakt am Samstag bleiben die Proteste am Sonntag ohne größere Zwischenfälle. Die Autoindustrie zeigt sich mit ihrer Messe zufrieden. Der Liveblog zum Nachlesen.
Es sitzen da drei Herren unterschiedlicher Graustufen. Moderator Helmut Paschlau, als Ehrenamtlicher bei "Protect the Planet" eine Art graue Eminenz der für Klimaschutz kämpfenden Zivilgesellschaft, hat eingeladen und erzählt, dass er gerade in Washington auf dem Gebäude der dortigen Umweltbehörde ein riesiges Plakat gesehen habe, das sich mahnend an die Bürger richte: "Das größte Problem ist Ihr Auto."
Das könnte der Auftakt für eine lebendige Auseinandersetzung über die Münchner Kluft sein: Hier der Anspruch, 80 Prozent des Verkehrs schon in zwei Jahren emissionsfrei abzuwickeln (E-Autos zählen für die Statistik als emissionsfrei), dort die Tatsache, dass die Pkw-Zulassungszahlen steigen und steigen. Die aus Hamburg zugeschaltete Katja Diehl, Autorin und Verkehrsaktivistin, sichtbar und hörbar die Jüngste der Runde, macht einen pointierten Anfang. Sie sei keine Autohasserin, aber überzeugt, dass man dem Auto Privilegien entziehen müsse, um die Verkehrswende zu schaffen: Wo sinnvoll, müsse man Parkplätze in sichere Radwege umwandeln, und ganz generell das Auto-Tempo in Städten reduzieren. Diehls Credo: "Jeder sollte das Recht haben, nicht auf ein eigenes Auto angewiesen zu sein."
Und dann? Dann referieren die Vertreter des Status Quo. Andreas Rade, VDA-Geschäftsführer, erklärt mit Powerpoint-Hilfe und Statistiken, dass der Pkw weiterhin das zentrale Verkehrsmittel der Deutschen sei, und die deutsche Autoindustrie schon mitten in der Transformation sei, vom Verbrenner zu Elektro: "Das ist wirklich ein großer, großer Schritt", und darauf solle man bitte auch stolz sein. Er selbst wohne in Berlin, Prenzlauer Berg, und fahre im Alltag praktisch nur Fahrrad, vor allem in die Arbeit. Rade plädiert dafür, die Verkehrsmittel zusammen zu denken, sodass es für jeden Zweck das richtige gebe.
Es folgt Mobilitätsreferent Georg Dunkel, als Münchner "Stadtminister" eine Mischung aus Verwalter der Verkehrswende und Verkehrspolitiker. Seine Kernaussage ähnelt der seines Vorredners: Die Stadt tue schon sehr viel für umweltfreundlichen Verkehr und sie täte gerne noch mehr, aber das verhindere der Bund. Er gebe den Kommunen nicht genügend Kompetenzen, etwa für Tempo-30-Zonen. Die oft formulierte Kritik an der Geschwindigkeit der Münchner Verkehrstransformation versucht Dunkel zu entkräften: "Wir würden gerne bei viele Planungen viel, viel schneller sein", jedoch müsse man akzeptieren, dass die Planung eines neuen Radwegs Jahre dauere. Immerhin, der Anstieg des Radverkehrs um 30 Prozent, sagt Dunkel, "das ist eine sehr schöne Entwicklung".
Während Auto-Vertreter Rade ruhig und selbstbewusst wirkt, kommt Verkehrsverwalter Dunkel ruhig und zaghaft rüber. Wie will, fragt der Moderator, die Stadt in Zeiten der Klimakrise die Bürger überzeugen vom Sinn der Verkehrswende? Wo bleibt die Kampagne für die Wende? "Gute Frage", antwortet Dunkel. Man müsste erst mal "sehr, sehr gut politisch diskutieren", ehe man eine solche Kampagne starte. Solange der Freistaat der Stadt nicht mal erlaube, die derzeit jährliche Anwohner-Parkgebühr von 30 Euro zu erhöhen - was brächte da eine Kampagne?
E-Mobilität ja, aber auch Alternativen zum Auto schaffen
Es ist Katja Diehl, die via Bildschirm versucht, der Diskussion der Männer in München etwas Drive zu geben: "Wir haben steigende Emissionen", stellt sie zum Verkehrssektor fest. Es brauche Politikerinnen und Politiker, die nicht auf die nächste Wahl schauen, sondern das Notwendige tun. E-Mobilität ja, aber auch Alternativen zum Auto schaffen.
Als die Leistungsbilanz aus Industrie und Verwaltung sich in einer Mischung aus Larmoyanz (Rade: noch immer viel zu wenig Ladesäulen im öffentlichen Raum) und Eigenlob (Dunkel: So schlecht ist München dabei doch gar nicht) einpendelt, grätscht die Hamburgerin dazwischen. Sie wolle nicht, dass auch im E-Zeitalter die Straßen ein riesiger Parkplatz blieben, auch noch voller Ladesäulen. Der Autoverkehr müsse reduziert werden, auch aus sozialen Gründen. Schließlich seien es vor allem Menschen mit wenig Geld, die an den großen Straßen lebten und unter Lärm und Schmutz litten.
Nach diesem Plädoyer für Klima- und Menschenschutz fragt die Frau im Publikum den Stadtminister nach seinem Mut, in der Verkehrspolitik voranzugehen, etwas auszuprobieren. Dunkel antwortet mit Verweis auf den "Baumüberschuss" auf einigen Straßen, die man im Sinne des Radentscheids umbaue, auf die "Sommerstraßen" mit Bäumen für ein paar Wochen, und dass es aufgrund der vielen Rohre und Leitungen unterm Asphalt so schwierig sei, Platz für neue Straßenbäume zu finden.
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Und der Mut? Dunkel geht darauf nicht ein. Stattdessen fragt er seinen Nebenmann vom Industrieverband, ob er einen Wunsch äußern dürfe. Er darf. Man brauche, so Dunkels Wunsch, für urbane Räume Lösungen, um die Zahl der Autos zu reduzieren. Das Publikum applaudiert.
Von dort kommen auch ein paar bissige Anmerkungen. München solle doch von anderen Städten lernen, die eine zukunftsfähige Mobilität bereits jetzt kreativ praktizierten, Kopenhagen etwa oder Utrecht. "Ich glaube schon", sagt Dunkel, "dass wir kreativ vorgehen." Ja, er lerne von anderen Städten, aber er könne nicht alles kopieren. München sei "auf dem absolut richtigen Weg".
Es ist wieder Katja Diehl, die dem gediegenen Gespräch über eines der größten politischen Streitthemen abschließend noch einmal Leben einhaucht. Es sei alles sehr technisch, was in solchen Runden diskutiert werde. "Ich habe Bock, was zu gestalten." Es sei immer besser, "zu gestalten als gestaltet zu werden." Sie wolle jedenfalls eine Welt, in der Begegnungen von Menschen auch auf der Straße wieder selbstverständlich seien, und in der Kinder selbstbestimmt unterwegs sein könnten. "Das geht nicht in einer Welt, in der das Auto dominiert."