Trend Hobby Horsing:"Jeder weiß, dass das hier keine echten Pferde sind"

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Beim Reitturnier nehmen die Teilnehmerinnen die Hürden auf Steckenpferden. (Foto: Robert Haas)

Beim Hobby Horsing galoppieren die Reiterinnen nicht auf Tieren, sondern auf Stecken. Warum sich das Phänomen derzeit rasant verbreitet.

Von Max Fluder

Es rumpelt. Fast wie bei einem Donnergrollen. Wenn es einen Sound gibt, der dieses Reitturnier am besten beschreibt, dann ist es das dumpfe Aufschlagen der Füße auf dem Boden. Ja, Füße, keine Hufe. Dazu gleich mehr. Fünf Mädchen sind am Eingang des Dressurvierecks, die Morgensonne scheint schräg durch die Dachfenster. Alle hintereinander reiten sie ein. Vollführen auf Kommando Figuren wie die Volte oder Grüßen. Wenige Momente dauert so ein Durchlauf, dann ist auch schon alles wieder vorbei, fängt das Bewerten an. Geschaut wird nach Stilsicherheit. Und Eleganz.

Was hier an diesem Sonntag in der Halle eines Münchner Sportvereins, dem MTV in der Isarvorstadt, stattfindet, ist ein Reitturnier - zumindest fast. Denn statt auf Pferden wird auf Steckenpferden geritten. Kinder und Jugendliche galoppieren, traben, springen mit Pferd und Zügel fest in der Hand durch die Halle. Die Sprache wie auch die Disziplinen - etwa Zeitspringen, Stilspringen und Dressur - sind dem Reitsport entnommen, dem mit lebenden Pferden.

Hobby Horsing ist der Name für diesen Sport, angelehnt an die englische Bezeichnung für Steckenpferd. Er kam vor einigen Jahren in Finnland auf und hat sich langsam nach Deutschland ausgebreitet, erst im Norden, jetzt auch in München. Und ja, es ist ein Sport. Das ist denen wichtig zu betonen, die Hobby Horsing betreiben. Und denen, die es trainieren. Wie Ria Koch, sie veranstaltet das Turnier und nennt den Sport "ballett-artig".

Vielleicht stellt man sich Hobby Horsing tatsächlich wie einen Tanz vor. Immerhin geht es darum, die Bewegungen eines Pferdes so gut es nur geht mit dem eigenen Körper nachzuahmen. Den Galopp etwa, oder das Traben. Die Beine müssen dafür bei jeder Bewegung angewinkelt werden, es geht um Stilsicherheit und Sprungkraft, Konzentration und Koordination. Ein Bonus: Man kann sich sein Hobby Horse so kreativ gestalten, wie man es möchte.

Ria Koch veranstaltet ein großes Hobby-Horsing-Turnier. Als "Fablehorse" verkauft sie Zubehör. (Foto: Stephan Rumpf)

Rund um den Sport ist ein kleines Ökosystem entstanden: Ria Koch etwa betreibt "Fablehorse", eine Marke für alles rund ums Hobby Horse. In ihrem Atelier in einem Dachgeschoss in der Münchner Innenstadt - Koch ist Maßschneiderin - gibt es nun also einen Raum, den sie ihr "kleines Gestüt" nennt. Hier sind gerade Shadow, Smokey Eyes, Stella und viele weitere Pferde ausgestellt - alle handgemacht. Sie haben Nüstern, einen individuellen Fellverlauf, Mähnen. "Spielerisch, aber realitätsnah", sagt Koch. "Jeder weiß, dass das hier keine echten Pferde sind." 200 Euro kosten sie.

Für den Sport gibt es einiges an Zubehör. Ria Koch verkauft es unter ihrer Marke "Fablehorse". (Foto: Stephan Rumpf)
Jedes der Pferde hat einen Namen. (Foto: Stephan Rumpf)

Es gibt auch Zubehör. "Ställe" etwa, also kleine Holzregale und Vorrichtungen, in denen man sein Pferd abstellen kann. Aber auch Zügel, Anstecker, Notizbücher und Kleidung - alles mit dem "Fablehorse"-Logo. "Ich möchte den Sport hier fördern", sagt Koch. Und den Sportlerinnen - es sind nahezu ausschließlich Mädchen und junge Frauen - Mut machen.

Beatrix Jäger, 19 Jahre alt, ist seit 2018 beim Hobby Horsing dabei. Sie sei schon immer ein aktiver Mensch gewesen, sagt sie, und der Sport habe sie gepackt. Zurzeit macht sie auf dem Matthof, einem Gestüt im Landkreis München, eine Ausbildung zur Pferdewirtin. Dort hat sie im vergangenen Jahr den Sport auch Kinder und Jugendliche im Rahmen eines kleinen Turniers ausprobieren lassen. Hobby Horsing und lebende Pferde - das schließt sich nicht aus, auch wenn manche das glauben. Jäger sagt: "Die meisten finden es ein bisschen komisch, warum man ein Pferd nachmacht, wenn man doch auch in echt reiten kann. Ich finde schon, das ist ein großer Unterschied." Es sei ein Sport für sich, sagt Jäger, und einer, der ihr Freude macht, dazu.

"Wenn ich mit meinem Hobby Horse durch den Englischen Garten gehe, dann bekomme ich skeptische Blicke ab", sagt die 19-Jährige. Aber damit weiß sie umzugehen, sie bekommt auch viel positives Feedback. Und wenn sie mit ihren gleichaltrigen Freundinnen unterwegs ist, ist das noch weniger ein Thema. Sie sagt: "Es steigert vielleicht sogar das Selbstbewusstsein, weil das ja ein außergewöhnlicher Sport ist."

Auch Ria Koch weiß, dass manche, die den Sport betreiben, "sich immer noch ein wenig schämen, weil sie ausgelacht wurden." Berührungsängste, die sind beim Hobby Horsing auf jeden Fall gegeben. Auf der Pferd International, einer Pferdemesse in Riem, auf der Koch mit "Fablehorse" präsent war, habe sie beobachtet, wie Kinder sich ihre Steckenpferde anschauen wollten. Doch jeweils intervenierten die Eltern: "Wir reiten richtige Pferde." Der Sport verbreitet sich trotzdem immer weiter, vor allem im Netz.

Man kann die Rolle des Internets in der Welt des Hobby Horsing nicht unterschätzen. Viele stoßen erst auf den Sport, weil sie ein Video davon im Netz sehen und sich denken: "Hey, das will ich auch machen." So war es bei der Tochter von Ria Koch, die im Corona-Lockdown auf ein solches Video stieß. Und so war es bei Beatrix Jäger, die 2018 ein Hobby-Horsing-Video von einer Freundin gezeigt bekommen hat.

Und dann ist da ein anderer, vielleicht sogar ein noch bedeutenderer Faktor: Die Zahl derer, die in ihrer Freizeit auf Steckenpferden reiten, wächst zwar rasant. Aber noch ist sie recht klein, was das Finden von Gleichgesinnten erschwert. Doch online geht das. Man vernetzt sich, es entstehen Freundschaften. Jäger, die sich auf Instagram hobby_horsing_muenchen nennt, hält so Kontakt zu anderen Hobbyreitern in der Region. Sie sagt: "Es ist super cool zu sehen, dass das auch andere machen. Da kann man sich gegenseitig unterstützen und nach Tipps fragen."

Ria Koch sagt, über das Hobby Horsing seien Freundschaften entstanden. So ein Turnier, das sei "schon eine fast familiäre Situation". Zu ihrer Veranstaltung in München sind mehr als 80 Teilnehmer angemeldet, auch welche aus Franken und aus Österreich. 80 Teilnehmer, das ist viel für Hobby Horsing. Sehr viel sogar.

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