Es ist eine Frage der Perspektive. 5000 Menschen sind am Samstag zum Baden an den Riemer See gekommen, schätzt die Wasserwacht. Also echt voll. Na ja, sagt Michael Stadler, am Wochenende davor seien es drei-, viermal so viele gewesen, also: echt richtig voll, und das in Corona-Zeiten. Fragt man Michael Stadler, den obersten Wasserwachtler am See, ob die Leute Abstand halten, schüttelt er bloß den Kopf.
Ein ganz normaler, heißer Samstag zu Pandemiezeiten, halb vier an dem See zwischen Messestadt und Stadtgrenze im ehemaligen Buga-Park. Noch sind die Mülleimer aufnahmebereit. Ganz im Westen, wo ein Steg übers Wasser führt, ziehen unzählige Fische zwischen Röhricht ihre Bahnen, richtig große sind darunter. Für Badegäste ist der flache Kiesstrand im Osten da, die Besucher haben aber längst das gesamte Nordufer, zur Messestadt hin, in Beschlag genommen. Hier sitzt Emre, 19, er will nur seinen Vornamen nennen, mit zwei Freunden auf einem großen Tuch. Sie kommen regelmäßig, wenn sie im Sommer nicht gerade in der Heimat sind, in der Türkei. Neben ihnen steht eine Wasserpfeife, über ihnen die Sonne. Schatten gibt es kaum an diesem See, die meisten Bäume wirken schwindsüchtig. Gerade recht so, sagt Emre und grinst, er wolle ja Farbe kriegen.
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Um die Freunde herum ist der Corona-Abstand locker gewahrt. So ist es oft: Was aus der Ferne und auf Fotos wie ein großer Menschenknäuel wirkt, ist aus der Nähe betrachtet virusgerecht. Zumindest, wenn "nur" 5000 Leute da sind. Emre und Freunde haben sich etwas abseits gesetzt, mitten drin müsse nicht sein, sagt er. Mitten drin, da geht es auch an diesem Samstag eng zu, da versammeln sich Gruppen um Tische, zum Essen, zum Kartenspiel. Junge Männer deponieren Getränke im See - in ein paar Stunden dürfte der Inhalt auf 24,5 Grad Celsius abgekühlt sein. Diese Wassertemperatur ist zumindest an der Wasserwachtstation vermerkt. Überall ist Musik, alle paar Meter eine andere. Einer hat sich einen Mini-Ghettoblaster umgehängt und flaniert mit Freunden auf den geraden Asphaltwegen, die an die Landebahnen des früheren Flughafens erinnern.
Der kleine Steg am nördlichen Ufer ist mit einer Kette abgesperrt, zwei Piktogramme sagen: Betreten verboten! Ins-Wasser-Springen verboten! Allein, der Steg ist voller junger, springender Leute. Michael Stadler, weißes Shirt, rote Hose, Vorsitzender der Wasserwacht Riem, sagt, das Springen sei lebensgefährlich. Aber warum? Weil das Wasser dort nicht tief genug ist. Erst im Juli sei ein junger Mann nicht mehr aufgetaucht. Minutenlang sei er unter Wasser gewesen, ehe ihn Wasserwachtler retteten. Vielleicht wäre eine Erklärtafel für die Badenden eine gute Investition? Stadler nickt. Zuständig sei die Stadt München. Corona-Einsätze hat die Wasserwacht nicht, wie auch, dafür an diesem Tag bislang einige Insektenstiche und eine Platzwunde (aber ohne Schlägerei). Immer wieder, sagt Stadler, kämen Leute mit Sonnenstich, manchmal so viele, dass sie schon ein kleines Lazarett aufbauen müssen. Wer Schatten braucht, sollte diesen See meiden.
Sechs Uhr, viele Gäste gehen heim. Die wenigen Mülleimer sind jetzt mehr als voll, drum herum türmt sich weiterer Abfall, und wo vorhin noch Decken lagen, auf den Wiesen, liegt jetzt Unrat. Flaschensammler haben so viel zu sammeln, dass sie sich auf Plastikflaschen konzentrieren, die sind leichter und bringen mehr.
In der Ecke des Kiesstrands sitzen zwei Familien, aus Trudering und Feldkirchen kommen sie, der Riemer See ist Stammland für sie, ist ja so nah. Nein, Corona-Sorgen haben sie nicht, "man kann ja gucken, wo man sich hinsetzt", sagt Hilary Pioro. An ihrem Platz ist der Abstand zum nächsten Handtuch locker einzuhalten. Und Peter Koziol sagt, dass das Corona-Verhalten am Strand nicht anders sei als im Alltag: Wer Distanz wolle, kriege sie. Dass drüben Halligalli sei, das verstehe sie schon, sagt Evelyn Koziol, "die Jugendlichen haben echt gelitten" die letzten Monate. Da sei es kein Wunder, wenn sie jetzt feiern wollten. In ein, zwei Wochen wollen die beiden Familien in den Urlaub, auf einen Campingplatz nach Kroatien. Ob das klappt, angesichts der steigenden Coronazahlen? Na ja, sagen sie, sonst halt wieder: Riemer See.
Um sieben ist Polizei zu sehen, mehrere Mannschaftswagen stehen am See, fahren mal hierhin, mal dorthin. Ganz offensichtlich eine Präventionsmaßnahme. Langsam leert sich das Ufer, nur die Partyzone nicht. Hier wird es langsam lauter, fröhlicher. Eine Gruppe Uniformierter geht hinein, ein Polizist und ein Gast unterhalten sich, stecken ihre Köpfe zusammen. Zu verstehen ist nichts, aber der Polizist wirkt energisch, als ob er die Spielregeln für den Abend erklärt. Aber, alles gut, kein Stress: Beamter und Partymann verabschieden sich per Handschlag. Am Sonntag heißt es dann bei der Polizei: Im Sommer treten solche "Vermassungseffekte" nun mal auf an den Seen, aber: nichts passiert.
Auf den Stufen des Nordufers brennen jetzt winzige Grills, Wasserpfeifen dampfen, Männer üben sich im Posen. Mitten drin fällt ein älterer Mann auf, Badehose, bleiche Haut. Er schaut sich um, findet eine Red-Bull-Dose, trinkt sie aus, nimmt sie mit. Schaut sich weiter um, findet eine Chipstüte, isst sie leer. Dann zieht er eine Badekappe auf, steigt ins Wasser und schwimmt gen Süden ans andere Ufer.