Sommer in München:Wenn sogar der Wedekindplatz zum Party-Hotspot wird

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Die Münchner zog es im Sommer schon immer nach draußen, nun aber beschleunigt Corona auch diese Entwicklung: Immer mehr öffentliche Orte entwickeln sich zu Party-Hotspots - selbst solche, von denen das früher undenkbar war.

Von Dominik Hutter

Jetzt also auch der Wedekindplatz. Party-Hotspot, Treffpunkt der Massen an lauen Sommerabenden. Auf den noch immer recht neu aussehenden Steinbänken rund um den Brunnen wird Bier getrunken und Pizza aus dem Karton gegessen. Bis spät in die Nacht. Es läuft Musik. Gleich daneben, auf dem Gehweg der Occamstraße, erinnert die schiefe Laterne der Schwabinger Gisela ans alte Szeneviertel, die legendäre Boheme. Dies hier, das bierselige Open-Air-Treiben im Schatten hübscher Altbauten, ist das neue Schwabing. Das neue München. Man darf sich da nichts vormachen: Vor einigen Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, den Wedekindplatz stundenlang als Abhäng-Location zu nutzen. Hier ging man nachts mal eben vorbei. Auf dem Weg in die nächste Kneipe, zum ortsansässigen Burgerbrater oder in den Englischen Garten. Allenfalls eine Pizza von gegenüber wurde dort verzehrt. Und legt man noch ein paar Jahre drauf, gilt dies auch für den Gärtnerplatz, an dem es inzwischen allabendlich so zugeht, als hätte jemand einen Hauch Ramblas nach München geholt.

So viel Sommergefühl wie derzeit herrschte vermutlich noch nie in der Stadt, die sich doch so gerne ihrer - aus deutscher Perspektive - südlichen Lage rühmt. Wer mag, kann problemlos eine ausgedehnte Open-Air-Tour durch die abendlichen Straßen unternehmen. Von Treff zu Treff. Schon seit einigen Jahren gibt es den Sundowner-Treff unter den schmiedeeisernen Bögen der Hackerbrücke: Man klettert einfach auf den langen Querbalken, hat idealerweise einen Aperitiv dabei und schwärmt dann vom Sonnenuntergang über den Gleisen gen Pasing. An schönen Abenden hängen regelmäßig mehrere Dutzend Beinpaare von der Brückenkonstruktion herab, der romantische Ausblick mit Industrie-Touch hat sich bei Genießern fest etabliert.

Innenstadt
:Ballermann im Kopf

Was derzeit nachts auf Münchens Plätzen geschieht, wird gern als "Ballermann-Party" verunglimpft. Doch passt der Begriff? Ein Blick ins Handbuch für Bierkönige gibt eine eindeutige Antwort.

Glosse von Max Ferstl

Und danach? Es gibt ja nicht nur den Gärtner- und Wedekindplatz. Längst haben Münchner Freiluft-Fans auch innerstädtische Flächen wie den Weißenburger Platz in Haidhausen für sich entdeckt. Dass es sich um den Kiosk an der Reichenbachbrücke drängt als wäre dies die Pforte zum Glück, steht wahrscheinlich schon in jedem München-Reiseführer. Nebst Isar und Englischem Garten, das sind ja die Klassiker. Neu in dieser Saison: Die vielen, also wirklich richtig vielen Stühle und Tische an Stellen, wo bisher Autos geparkt waren. Die Parkplatz-Boazn sind jetzt schon legendär, sie haben sich in Windeseile über alle Ausgehviertel ausgebreitet - von der Maxvorstadt über Schwabing, Haidhausen und das Westend bis ins Glockenbachviertel. Beschwerden hört man erstaunlicherweise selten, obwohl doch Hunderte Parkplätze weggefallen sind. Aber das neue mediterrane Lebensgefühl scheint bei den Münchnern anzukommen. So ganz neu ist sie übrigens nicht, die Idee mit den Kneipentischen auf Höhe Rinnstein. Die Straßen von Lyon waren auch schon vor Corona voll mit solchen Holzkonstruktionen - schon deshalb, weil auf den schmalen Gehwegen sonst gar kein Platz wäre für Kir, Côtes du Rhône oder Foie Gras unter freiem Himmel. Die Münchner orientieren sich lieber an Wien, im Rathaus hat sich der Begriff Schanigärten etabliert.

Das neue Open-Air-Glück auf der anderen Seite der Bordsteinkante ist eine direkte Folge von Corona, ein Geschenk der Stadt an die darbenden Wirte. Aber die Pandemie beschleunigt, wie so oft, nur eine Entwicklung, die ohnehin schon in Gange war: die Umwandlung des sommerlichen Münchens in ein mediterranes Großlokal. Kaum ein Wirt, der keine Freischankfläche bei den Behörden beantragt hat. Und wer keine ergattert, kann in den Sommermonaten eigentlich zusperren. Praktisch niemand will mehr einen warmen Augustabend im Kneipeninneren verbringen. Und seit Corona die Clubs dichtgemacht hat, gilt dies auch für den sehr späten Abend. Klar, dass dies für die üblichen Probleme sorgt: Anwohner beschweren sich über Lärm, es gibt alkoholbedingten Knatsch, und so mancher hübsche Platz verwandelt sich über Nacht in eine Müllhalde.

Nur: Wie soll man das vernünftig regeln, wenn nun mal ein nicht unwesentlicher Teil der Münchner Bevölkerung ins Freie strebt? Kann es klappen, irgendeinen Platz, der dann ja wohl eher abgelegen wäre, bewusst zur Ersatz-Partyzone zu erklären, um die Wohnviertel zu beruhigen? Als kommunale Feierzone sozusagen. Wo sich doch selbst an der weitläufigen Isar, die ja nicht gerade zu den dicht bewohnten Flecken der Stadt gehört, die Nachbarn beklagen. Und staatlich verordnete Amüsieradressen nicht gerade den Ruf des Megacoolen genießen.

Das alles war nicht immer so. Selbst zu Zeiten, in denen Münchens Nachtleben noch von einem Sperrstunden-Korsett gequält wurde, verlagerte sich das Geschehen nach Kneipenschluss nicht auf den Gärtner- oder Wedekindplatz. Die lagen still da, während das ausgesperrte Feiervolk zur nächsten WG-Adresse weiterzog. Oder in eine der raren Absturzkneipen. Den riesenhaften und heute nicht mehr existierenden Mathäser Weißbierkeller am Hauptbahnhof etwa, in dem in angestaubter Wirtshausatmosphäre der Alleinunterhalter am Keyboard Mitgröl-Schlager zum Besten gab. "Frau Meier hat gelbe Unterhosen an" zum Beispiel.

In den Achtziger und Neunzigerjahren zählte vielleicht noch das "Adria" an der Leopoldstraße zu den beliebten Freilufttreffs spätnachts. Nicht die Tische des gleichnamigen italienischen Restaurants, sondern der Straßenverkaufsstand, an dem es Lasagne und überbackene Maccaroni aus der Aluschale gab. Und Schnittpizza mit Pilzen oder Schinken - das Mittelstück, bitte. Nach dem Imbiss im Stehen direkt vor der Verkaufstheke, der durchaus auch länger dauern konnte, ging es dann aber zurück in die Häuser. In die Spätvorstellung im "Türkendolch" vielleicht oder ins "Charivari", das auch nach ein Uhr noch Bier ausschenkte.

Klar, Isar und Englischer Garten waren schon immer für Spätsitzer attraktiv. Der Monopteros galt bereits in den Sechzigerjahren als bekannte Kiff- und Abhängadresse. Die Freifläche zu seinen Füßen trug zeitweise den Scherznamen EP-Wiese - benannt nach den vielen selbstgegrabenen Löchern, die als Erdpfeife dienten. Auch nächtliches Trommeln und andere laute Musikdarbietungen sind keine Erfindung der letzten Jahre. Und die Isar war auch schon lange vor der Renaturierung der ideale Ort zum nächtlichen Grillen, Feiern und Biertrinken. Nur waren dort bei weitem nicht so viele Leute versammelt wie heute. Isar-Abende hatten eher etwas Entrücktes, Meditatives.

Und die Münchner blieben unter sich. Inzwischen zieht das Open-Air-Nachtleben vor allem an Wochenenden auch Umland-Bewohner an, die selbst einmal an angesagten Spots wie Isar oder Gärtnerplatz mitmischen wollen. Allerdings stehen ja auch die einst üblichen Anlaufpunkte der Abendunterhaltung aktuell nicht zur Verfügung. Die meisten Clubs und Bars rund um Müller- und Sonnenstraße haben geschlossen, fallen also als Feier-Orte aus. Deutlich zu erkennen ist die Tendenz, sich bevorzugt dort aufzuhalten, wo alle anderen auch schon sind. Dann kann man auf Instagram oder Twitter der Welt vermelden, dass man selbst an jenem angesagten Ort war, dem aus dem Internet.

Und so rückt die angeblich nördlichste Stadt Italiens tatsächlich ein Stück weit gen Süden - was den Freiluftfaktor angeht jedenfalls. Zugegeben: Wer schon einmal eine Januarnacht auf dem kleinen Platz vor der Bar "Freni e frizioni" in Roms Stadtteil Trastevere genossen hat, weiß, dass es nördlich der Alpen in puncto mediterranes Lebensgefühl noch Luft nach oben gibt. Von dem - vor Corona - ausufernden Treiben auf den Straßen spanischer Großstädte ganz zu schweigen. Selbst im norditalienischen Trient kann es passieren, dass auf der Piazza del Duomo nur noch wenige Open-Air-Tische frei sind. Trotz später Stunde und kalter Jahreszeit. Davon ist München dann doch noch ein wenig entfernt.

Aber es bleibt unübersehbar, dass sich auch in hiesigen Breitengraden immer mehr ins Freie verlagert. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass nach wie vor viele Münchner ein ungutes Gefühl haben, wenn sie sich an einen Tisch im Inneren des Lokals setzen sollen. Aber Corona ist eben sozusagen nur der Turbo, der die ohnehin wachsende Lust auf freien Himmel verstärkt hat. Man mag gar nicht daran denken, wie es wird, wenn im Herbst die Tische und Stühle von den Parkplätzen geräumt werden und die Autos wieder ihre angestammten Plätze einnehmen. Dann ist es erst einmal wieder vorbei mit dem mediterranen Rausch mitten in der Corona-Krise. Und es herrscht Stille an Gärtner- und Wedekindplatz.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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