Fotos vom alten Haidhausen:"Es war düster, viele Häuser waren schwarz"

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Schwer beladen in der Kirchenstraße: Zwei Kohlenlieferanten im Winter 1982. (Foto: Herbert Liebhart)

Der Fotograf Herbert Liebhart hat über Jahrzehnte hinweg den Wandel des einstigen Glasscherbenviertels zum schicken Stadtquartier dokumentiert. Seine Aufnahmen zeigen ein Haidhausen, das heute fast verschwunden ist. Nun sind sie in einer Ausstellung zu sehen.

Von Patrik Stäbler

Als Herbert Liebhart seinen Eltern vor 45 Jahren eröffnet, dass er von Berg am Laim nach Haidhausen umziehen will, da reagieren diese entsetzt. "Nach Haidhausen? In dieses Glasscherbenviertel?", fragen sie den Sohn entgeistert. Schließlich hat das heute so hippe Haidhausen damals einen üblen Ruf - und das nicht zu Unrecht, sagt Liebhart. "Es war düster, viele Häuser waren schwarz, und nur einfache Leute haben dort gelebt." Doch dann wurde Haidhausen 1976 zum Sanierungsgebiet, peu à peu aufgehübscht und von einem der schummrigsten zu einem der schicksten Stadtviertel.

Diesen extremen Wandel hat der gebürtige Münchner Herbert Liebhart nicht nur miterlebt, sondern auch dokumentiert - mit seiner Kamera. Denn sie ist die ständige Begleiterin des Fotografen, der seit einem halben Jahrhundert Streifzüge durch sein Viertel unternimmt, um Gebäude und Geschäfte abzulichten, Leute und Leben, den Alltag und das Außergewöhnliche. Seine Aufnahmen zeigen ein Haidhausen, das heute größtenteils verschwunden ist. "Diese Bilder, die sind mein Leben", sagt der 75-Jährige und blickt hinüber zu einer Reihe von gerahmten Fotografien, die hier im Haidhausen-Museum an der Wand hängen - darunter eine aus dem Jahr 1982, die einen grauhaarigen Kohlenhändler zeigt, der schwer beladen in der Kirchenstraße durch den Schnee stapft.

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Dieser eindrückliche Schnappschuss gehört zu den circa 100 Schwarz-Weiß-Bildern, die von Sonntag an in der Ausstellung "Verschwundene Welt - Haidhausen von 1973 bis 1995" zu sehen sind. Die Schau führt auf bemerkenswerte Weise vor Augen, wie es dereinst in dem Viertel zugegangen ist. Statt der hübschen Cafés von heute sieht man auf Liebharts Bildern rustikale Stehausschänke, statt edler Boutiquen einfache Milchgeschäfte, und auf den Straßen verkehren statt Finanzjongleuren mit Smartphone am Ohr damals Lieferanten mit Bündelholz .

Eine andere Welt: Die Ecke Wiener Platz/Chorherrstraße im Jahr 1980. (Foto: Herbert Liebhart)
An der Ecke Preysing-/Wolfgangstraße befand sich 1982 statt des heutigen Kriechbaumhofes eine Öl- und Kohlenhandlung. (Foto: Herbert Liebhart)

Wer schon länger in Haidhausen lebt, dem wird vieles bekannt vorkommen: etwa die Überreste des Bürgerbräukellers, der 1979 abgerissen wurde, die Rauchschwaden über der Hofbräu-Brauerei, die 1987 in Brand geriet, oder die Coca-Cola-Werke an der Steinstraße, wo Passanten durch die Schaufenster beobachten konnten, wie die leeren Flaschen übers Fließband rollten. Zwischendrin zeigen Fotos allerlei Etablissements, die wahlweise dem Lauf der Zeit oder den explodierenden Mieten in Haidhausen zum Opfer gefallen sind: das "Brotzeitstüberl bei Erna", das weithin bekannte Stripteaselokal "Blauer Engel" sowie Dutzende kleiner Geschäfte von der Pferdemetzgerei bis zum Hutladen am Wiener Platz.

"Das Zusammenleben der Menschen, wie es früher mal war, gibt es heute nicht mehr"

"Die Läden, Betriebe und Gaststätten sind fast alle verschwunden", sagt Herbert Liebhart - und schon sein Blick verrät, was er davon hält. Denn einhergehend mit diesem Wandel habe sich auch die Bewohnerschaft Haidhausens verändert, findet er. "Es ziehen nur noch Leute her, die wahnsinnig viel Geld haben - aber keine Zeit, um sich mal zu unterhalten. Das Zusammenleben der Menschen, wie es früher mal war, gibt es heute nicht mehr." Schuld daran hätten vor allem die hohen Mieten, sagt Liebhart. "Wenn ich heute in die Breisacher Straße schaue, kosten die günstigsten Wohnungen dort 25 Euro den Quadratmeter." Als er 1978 hier einzog, habe der Preis weit unter zehn Mark gelegen.

Gar noch günstiger war es in den 1960er-Jahren, als Haidhausen das Armenhaus Münchens war. Damals lebte Herbert Liebhart bei seinen Eltern in Berg am Laim, wo er als zehnjähriger Bub seine erste Kamera vom Opa geschenkt bekam. "Das da vorne ist sie", sagt er und zeigt auf eine Vitrine, in der ein quadratischer Apparat liegt. Mit dieser 65 Jahre alten Boxkamera habe alles angefangen. "Das Fotografieren hat mich sofort gefesselt", sagt Liebhart. Nach einer Ausbildung zum Reproduktionsfotografen machte er sich mit 21 Jahren selbständig und avancierte bald zu einem der gefragtesten Fotografen der Stadt.

Asphalt und Kopfsteinpflaster: Der Orleansplatz mit dem alten Ostbahnhof im Jahr 1981. (Foto: Herbert Liebhart)

Liebharts Aufnahmen wurden mehrfach bei Wettbewerben ausgezeichnet; für sein Werk hat er den Ehrenpreis der Stadt München erhalten. In Haidhausen unterhielt der Fotograf früher ein 1000 Quadratmeter großes Atelier mit 30 Beschäftigten, wo unter anderem Musikproduzent Ralph Siegel regelmäßig im Rolls-Royce vorfuhr, für den Liebhart für die Plattencover von Dschingis Khan, Nicole und Co. fotografierte. Zeitweise richtete er in seinem "Dia Direkt" auch eine Kneipe ein und veranstaltete dort Fotoausstellungen; obendrein gehört Liebhart seit 35 Jahren dem Bezirksausschuss Au-Haidhausen an. Bei alledem habe er jedoch stets die Zeit für seine geliebten Streifzüge gefunden, sagt der 75-Jährige. "Ich bin ständig im Viertel unterwegs und habe Street-Life-Fotografie gemacht, noch bevor es diesen Begriff überhaupt gab."

Mit den Jahren und Jahrzehnten ist Liebharts Haidhausen-Archiv immer umfangreicher geworden; heute umfasst seine Sammlung circa 12 000 Negative. Und diese wären wohl unsortiert geblieben, hätte 2020 nicht eine Pandemie die Welt zum Innehalten gezwungen. "Dank Corona hatte ich Zeit, um meine Bilder durchzugehen", erzählt Liebhart. Das Ergebnis ist nicht nur jene Ausstellung im Haidhausen-Museum, sondern auch ein Bildband mit 388 Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Begleitet werden sie von Texten des Autors und Heimatforschers Hermann Wilhelm, der Liebharts verschwundene Welten kenntnisreich einordnet.

Noch heute streift der Fotograf mit seiner Kamera durch Haidhausen - wiewohl er das Viertel an vielen Stellen nicht mehr wiedererkennt. Passend dazu hat Liebhart vor Jahrzehnten ein Foto aufgenommen, das nun ebenfalls Eingang in die Ausstellung gefunden hat. Das Bild zeigt ein Yamaha-Motorrad ohne Vorderrad vor einer tristen Hauswand. Darauf hat jemand die Worte gesprüht: "Oh mein Gott!"

Die Ausstellung "Verschwundene Welt - Haidhausen von 1973 bis 1995" mit Fotografien von Herbert Liebhart wird an diesem Sonntag um 14 Uhr mit einer Vernissage eröffnet. Anschließend ist die Schau bis zum 29. Februar zu den Öffnungszeiten des Haidhausen-Museums zu sehen: montags bis mittwochs von 17 bis 19 Uhr sowie sonntags von 14 bis 17 Uhr.

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