Politik in München:Die Rathauskoalition ist aus der Balance geraten

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Oberbürgermeister Dieter Reiter (rechts) griff die Grünen scharf an: Der Vorschlag eines Tempo-30-Limits sei unnütz, der Alleingang "äußerst unprofessionell". (Foto: Stephan Rumpf)

Grün und Rot bilden im Rathaus eine Koalition, pflegen mitunter aber eher ein Gegen- als ein Miteinander. Das zeigt sich an den jüngsten Diskussionen um eine stadtweite Tempo-30-Regelung.

Kommentar von Anna Hoben

Etwa 27 Stunden würde es dauern, mit Tempo 30 von München nach Buxtehude zu fahren - kleiner Scherz am Rande. Dort, im Norden Deutschlands, wurde im November 1983 die erste Tempo-30-Zone eingerichtet. Gut 37 Jahre später hat in München ein Vorstoß der Grünen, in der Stadt flächendeckend Tempo 30 einzuführen, zu einem Koalitionsstreit geführt.

Die Grünen verschickten ihre Idee für die Bewerbung als Modellkommune in einer Pressemitteilung - ohne mit ihrem Koalitionspartner gesprochen zu haben. Die SPD reagierte mit schweren verbalen Geschützen: Man unterstütze keine "Anti-Auto-Ideologie", teilte der Fraktionschef mit, von einem angeblich "blinden Autohass" bei den Grünen war die Rede. Oberbürgermeister Dieter Reiter sprang seiner Fraktion zur Seite und griff die Grünen scharf an: Der Vorschlag sei unnütz, der Alleingang "äußerst unprofessionell".

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Die harschen Erwiderungen zeigen, wie angefressen die SPD war wegen des grünen Alleingangs. Wie sehr sie und die ganze Koalition aus der Balance geraten sind. Es kulminierte in diesen heftigen Reaktionen etwas, das sich seit Längerem entwickelt hatte. Immer wieder war seit dem Start der Koalition im vergangenen Frühjahr eine Fraktion gekränkt: weil der Partner ohne Absprache vorgeprescht war oder eine Idee als die eigene verkauft hatte, obwohl mehr als eine Partei beteiligt war. Dazu kommt offenbar ein geschwächtes Selbstbewusstsein bei den Sozialdemokraten, die im Rathaus nur noch die drittstärkste Kraft darstellen und als Juniorpartner regieren.

Sicher, bei einem Thema von so grundlegender Bedeutung wäre es zielführender für die Sache gewesen, sich vorher abzusprechen. So wurde das Inhaltliche - bei dem die beiden Parteien gar nicht weit voneinander entfernt sind - überdeckt von Befindlichkeiten. Und von der SPD bleibt hängen, dass sie in München die Autofahrerversteherin gibt. Dabei unterstützt sie in anderen Städten die Forderung nach einem generellen Tempo 30, in Freiburg etwa oder in Düsseldorf. Im Münchner Rathaus hätte sie den Alleingang der Grünen auch gelassener hinnehmen und zu einem späteren Zeitpunkt für sich nutzen können. Denn letztlich brauchen die Grünen ihren Koalitionspartner, stärkste Kraft hin oder her.

So haben vorerst beide Parteien keinen Punkt gemacht. Sie müssen sich jetzt zusammenraufen und wieder die Sachpolitik in den Vordergrund stellen, statt Befindlichkeiten zu pflegen.

© SZ vom 05.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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