Graffiti-Projekt:"Mehr Liebe, weniger Hass"

Lesezeit: 4 min

Mit roter Farbe sprühte Francesco Sormani "We are all one" an die Wand, wurde erwischt und musste 900 Euro Strafe zahlen. (Foto: Gino Dambrowski)

Nachdem ein Sprayer von der Polizei erwischt wird, fasst er einen Entschluss: Er will einen Tunnel voller Schmierereien verschönern - und das ganz legal.

Von Noah Drautzburg

Francesco Sormani erinnert sich noch gut an den Tag, an dem ihn ein Polizist beim Sprühen erwischte. Auf dem Weg zum legalen Sprayen im Werksviertel war das; in der Unterführung nahe dem Ostbahnhof, die Orleans- und Friedenstraße miteinander verbindet. Den Tunnel kennt er gut, er durchquert ihn auf seinem Arbeitsweg fast täglich. An den Wänden sind zahlreiche Graffiti. Keine Bilder mit künstlerischem Anspruch, sondern eilig hingeschmierte Satzfragmente, die rasch fertig werden mussten, bevor der nächste Passant in die Unterführung einbiegt. Darunter befinden sich Gewaltfantasien, Slogans aus der Ultra-Szene und schlicht Beleidigungen.

An jenem Tag Ende Juni hatte Francesco Sormani diesen Anblick satt. Er packte eine Sprühdose aus und schrieb in roter Farbe: "We are all one" - wir sind alle eins. Dahinter malte er ein Herz. Nach einigen Metern stoppte ihn ein zivil gekleideter Polizist. Der alarmierte seine Kollegen, so oft, dass diese schließlich mit vier Fahrzeugen anrückten. Zwei Stunden verbrachte der 24-jährige Sormani daraufhin auf der Polizeiwache, schließlich sollte er 900 Euro Geldbuße zahlen.

Streetart
:Münchens Graffiti-Szene ist viel aufregender als ihr Ruf

Bei einer Stadtführung kann man der - meist illegalen - Kunstform nachspüren. "Heute sehe ich Sachen, die mir vor 15 Jahren nie aufgefallen wären", sagt der Führer Martin Arz.

Von Katharina Federl

"Man kann natürlich sagen: Der Idiot hat sich erwischen lassen, also soll er zahlen", sagt Sormani. "Aber ich konnte das so nicht hinnehmen - neben diesem ganzen Dreck." Seine Strafe will er natürlich begleichen, vor allem aber hat Sormani seither ein Ziel: Er möchte den gesamten Tunnel umgestalten - unter dem Oberthema "Toleranz". Es gehe darum, diese Räume in der Stadt zurückzuholen, sagt Sormani, "und zwar nicht für irgendwelche Hassbotschaften, sondern für das, was wir wollen." Münchner Widerstandskämpfer gegen das Naziregime will er an den Wänden ehren, oder den durch rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA getöteten George Floyd.

Sormani arbeitet in einem Restaurant im Glockenbachviertel. Für seinen Plan erwies sich das als Glücksfall. In dem Lokal kommen Kreative aus ganz München zusammen. Und so hat der 24-Jährige mittlerweile rund ein Dutzend Künstler an der Hand, die allesamt die Unterführung auch ohne Honorar umgestalten würden. "Am Anfang habe ich gedacht, das Wichtigste wäre, das Geld rein zu bekommen", sagt Sormani. "Aber es geht vor allem darum, das Projekt 'legal' zu stempeln."

Und das ist ein langer, komplizierter Weg. Die Unterführung am Ostbahnhof ist im Besitz der Deutschen Bahn, und für die sind Graffiti in erster Linie ein Ärgernis. Allein im Jahr 2019 registrierte das Unternehmen nach eigenen Angaben bundesweit etwa 25 000 illegale Sprühaktionen und gab rund 13 Millionen Euro für die Beseitigung ihrer Folgen aus.

Dass man mit legalen Graffiti aber durchaus auch positive Erfahrungen machen kann, hat die Stadt München erkannt, die seit Langem immer wieder Flächen für professionelle Street Art bereitstellt. Kaum einer kann das so gut bezeugen wie der Künstler Loomit. Der heute 52-Jährige hatte in den Achtzigerjahren zunächst illegal mit dem Sprayen begonnen. Mittlerweile ist er zum Aushängeschild der hiesigen Street-Art-Szene geworden und kooperiert für neue Werke eng mit der Stadt. "Das funktioniert seit 20 Jahren wunderbar", sagt Loomit. "Meistens beschließen die Bezirksausschüsse, eine Unterführung umzugestalten, und laden sich entsprechend Künstler ein." Die Sprüher seien erwachsen und vernünftig, deshalb arbeite die Stadt auch gerne mit ihnen zusammen, sagt er.

Der bekannte Sprayer Loomit weiß, wie man mit der Stadt kooperiert. (Foto: Natalie Neomi Isser)

Dabei profitiert München nicht nur optisch von den Arbeiten. Die "Freigabe von Bauwerksflächen für konzeptionelle Bemalungen" habe sich als "wirksamste Prävention" bewährt, teilt das Baureferat mit. Zu Deutsch: Wo einmal ein echter Graffiti-Künstler am Werk war, wird die Wand kaum noch illegal beschmiert. Das kann man beispielsweise unter dem Friedensengel beobachten, wo Street Artists aus aller Welt vor knapp zehn Jahren eine Galerie geschaffen haben. Seitdem sind die Wände dort weitgehend unangetastet. Die Künstler erhalten eine der sonst so raren Flächen, die Stadt spart sich die Reinigungskosten - eine Win-win-Situation.

Auch die Deutsche Bahn teilt auf Anfrage mit, "einer legalen, künstlerisch ansprechenden Gestaltung ausgewählter und geeigneter Flächen nicht prinzipiell ablehnend" gegenüberzustehen. Einzelne Projekte gibt es bereits: Den Würmtunnel etwa stellte die Bahn 2014 für eine von der Stadt finanzierten Umgestaltung zur Verfügung, und auch in der Fußgängerunterführung am Ostbahnhof, in der Sormani erwischt wurde, durfte eine Künstlerin einzelne Abschnitte bemalen. Seit Kurzem nimmt die Bahn auch selbst gezielt Geld in die Hand, um Haltestellen kreativ gestalten zu lassen. Die S-Bahn-Station in Karlsfeld etwa ist so zum "Kunstbahnhof" geworden. Dennoch sagt ein Sprecher der Bahn, legale Graffiti gehörten "nicht standardmäßig zu den Gestaltungselementen von Flächen an unseren Bauwerken und kommen nur in Einzelfällen zum Einsatz".

Francesco Sormani sagt, ihm habe die Bahn signalisiert, grundsätzlich für Projekte wie das von ihm geplante offen zu sein. Aber er merkt, dass die Verwirklichung kompliziert ist: Auch nach mehreren Anfragen weiß der 24-Jährige immer noch nicht, wer bei der komplexen Unternehmensstruktur genau für sein Anliegen zuständig ist.

Er habe ein bisschen Respekt vor der Bürokratie, "aber ich will mich da durchkämpfen"

In der Zwischenzeit sammelt Sormani Geld für das Projekt. Um die Farben und Abdeckungen finanzieren zu können, hat er einen Spendenaufruf im Internet gestartet, überschrieben mit den Worten "mehr Liebe, weniger Hass". Mit rund 800 Euro ist dort bislang knapp ein Drittel der veranschlagten Kosten zusammengekommen. Gerade arbeitet er außerdem mit den Künstlern die genauen Motive für den Tunnel aus, mit denen er dann Vertreter der Bezirksausschüsse in Berg am Laim und Haidhausen für sein Projekt begeistern will. Wenn er die städtischen Gremien erst mal hinter sich hat, dann werden auch die Gespräche mit der Bahn leichter, so seine Hoffnung.

Sormani weiß, dass ihn das alles noch einige Zeit beschäftigen kann. Und das, während er gerade sein Fachabitur nachholt. Er habe ein bisschen Respekt vor der Bürokratie, sagt er. "Aber ich will mich da durchkämpfen."

Sein Graffito ist in der Unterführung übrigens immer noch zu sehen. Die geschmacklosen Sätze, die seine Kurzschlussreaktion verursachten, ebenso.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Graffiti
:Sprühen gegen Sprayer

Chemiekonzerne und Forschungsinstitute entwickeln Substanzen, um Gebäude vor Graffiti zu schützen. Die Beschichtungen sorgen dafür, dass Farben nicht haften - oder einfach abgewaschen werden können

Von Andrea Hoferichter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: