Rathaus:Schräger die Glocken nie klangen

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Figuren Glockenspiel Rathaus Marienplatz München sollen bzw. sind teilweise schon restauriert. Welche genau wusste leider niemand. (Foto: Florian Peljak)

Sollten sich die Verstimmungen im Rathaus auf das berühmte Glockenspiel auswirken? Klingt es deshalb ein wenig schief? Sicher ist nur: Es ist kompliziert.

Glosse von Joachim Mölter

Wenn es im Münchner Stadtrat eine Partei gibt, die Satire als Kernkompetenz betrachtet, dann die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz: die PARTEI. Einst aus dem Satire-Magazin Titanic hervorgegangen, wird sie im hiesigen Gemeindegremium von Marie Burneleit repräsentiert. Dass die nicht mitgemacht hat bei einem fraktionsübergreifenden Antrag, zeigt: Die Angelegenheit ist ernst und das Anliegen ernst gemeint.

Tonangebend in dieser Sache ist der SPD-Mann Roland Hefter, Musiker von Beruf, mit entsprechend geschultem Gehör. Beim Faschingstreiben neulich auf dem Marienplatz, so erzählt er, sei ihm und anderen musikalischen Stadträten aufgefallen, dass das Glockenspiel im Turm des neuen Rathauses schief klingt. Dagegen müsse man was tun, dachten sie - und formulierten einen Antrag, das Geläut "baldmöglichst stimmen zu lassen".

Nun ist die Erkenntnis nicht ganz neu, dass die 43 Glocken nicht vollkommen harmonieren. Schon kurz nach der letzten Sanierung 2007 meinte ein Kirchenmusiker herauszuhören, dass irgendwo ein Cis erklinge, wo ein C ertönen sollte. Den Halbton rauf oder runter nahmen damals befragte Touristen freilich kaum wahr.

Musikerkollegen von außerhalb hätten ihn aber immer wieder auf die schrägen Töne angesprochen, berichtet Hefter. Auch Einheimische witzelten schon, dass sich "anhaltende Verstimmungen" im Rathaus auf das Glockenspiel übertragen hätten, scherzte er selbst in dem von den Fraktionen SPD/Volt, CSU/Freie Wähler, ÖDP/München-Liste und FDP/Bayernpartei eingebrachten Antrag mit dem Titel "Verstimmungen im Rathaus beseitigen".

Die Grünen, mit ihrem Partner Rosa Liste immerhin stärkste Fraktion im Stadtrat, hielten sich aus der Sache raus. Hätten sie die Angelegenheit ernst nehmen wollen, hätten sie erst eine*n Glockenspielbeauftragte*n (m/w/d) benennen müssen, ist aus ihren Reihen zu hören - ein nicht wirklich ernst gemeinter Einwand, wie sie umgehend klarstellen. In Wahrheit hätten sie natürlich gewusst, dass das Glockenspiel sowieso schon saniert wird, der Antrag also überflüssig ist.

In der Tat bestätigt das dafür zuständige Baureferat, dass bereits seit vorigem Sommer am Glockenspiel gearbeitet wird und seitdem die etwa 20 im Repertoire befindlichen Lieder vom Band abgespielt werden. Die Aufnahmen seien zwischen 2017 und 2019 entstanden, demnach müssen die Glocken also schon vor fünf, sechs Jahren verstimmt gewesen sein.

Warum das niemandem auffiel oder sich niemand daran störte, ist ein Rätsel, ebenso wie die Frage, wie es dem Baureferat unbemerkt vom Gros des Stadtrats gelungen ist, einfach mal was zu machen, ohne vorher eine Machbarkeitsstudie einzuholen und ein Pilotprojekt zu veranlassen, in dem zunächst nur vier, fünf Glocken gestimmt werden, um zu hören, ob das überhaupt was bringt.

Wie auch immer: Die Arbeiten sind kompliziert. Die bislang mechanisch über denkmalgeschützte Walzenspielwerke und meterlange Stahlseile zum Klingen gebrachten Glocken werden künftig durch einen automatisch gesteuerten elektrischen Impuls an die Magnethämmer in Schwingung versetzt. Wann die Arbeiten fertig sein sollen, vermag das Baureferat nicht exakt zu bestimmen; dort gehen sie aber davon aus, dass es noch vor Beginn der Fußball-EM, also Mitte Juni, heißen wird: Klingt, Glöckchen, klingelingeling!

Falls es bis dahin nichts wird mit den original Rathaus-Glocken, ist für Ersatz gesorgt: Wenige Tage vor dem EM-Eröffnungsspiel in Fröttmaning treten die Altrocker von AC/DC im Olympiastadion auf. Und von denen ist sicher einer ihrer großen Hits zu hören - "Hell's Bells", die Glocken der Hölle. Schräger als die des Rathaus-Turms klingen die auch nicht.

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