Public Viewing in München:"Ich bin Sport-Fan, nicht Katar-Fan"

Lesezeit: 3 min

Beim Public-Viewing im Backstage blieben einige Plätze frei - von WM-Euphorie war nur wenig zu spüren. (Foto: Robert Haas)

Beim Start der deutschen Mannschaft in die WM ist die Stimmung in Münchner Kneipen eher verhalten. Von Fußball-Fieber spürt man wenig - und das liegt nicht nur am schlechten Ergebnis.

Von Joachim Mölter

Eine halbe Stunde noch bis zum Anpfiff des Auftaktspiels der deutschen Fußballer bei der WM in Katar. Auf dem Rasen des Khalifa International Stadiums reden sich der vom Nationalspieler zum Experten gereifte Bastian Schweinsteiger und die TV-Moderatorin Esther Sedlaczek mit dem Bundestrainer Hansi Flick warm, vor der Riesenleinwand im Backstage in München glühen die ersten Besucher vor. Ein paar Helfer bauen weitere Biertische und Bierbänke auf, dabei ist an den bereits vorhandenen noch genügend frei. Es ist generell noch viel Platz in der großen Halle des Kulturzentrums; der Fußball-Fachbegriff von der "Tiefe des Raumes" wird einem hier deutlich veranschaulicht. Viel mehr als 60 Fans, umgerechnet zwei WM-Kader samt Trainerstäben, werden es bis zum Anstoß der Partie gegen Japan nicht werden.

Zugegeben: Ein Mittwochnachmittag um zwei wäre auch im Sommer nicht die beste Zeit, um in Massen Fußball zu schauen. Direkt nach der Mittagspause sehen Chefs und Chefinnen ihre Leute lieber bei der Arbeit. Aber im Winter, zur Vorweihnachtszeit, kommt erst recht keine Stimmung auf, so wie man sie nicht nur im Backstage bei früheren Großturnieren erlebt hat. Fußball-Fieber, wenn es einen draußen fast fröstelt? Wenn man lieber Glühwein trinkt als ein kühles Helles? Brrrrr.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Im Backstage tragen zumindest einige Fans die üblichen Devotionalien, schwarz-rot-goldene Strickhüte, schwarze oder weiße Nationaltrikots, überwiegend das mit der Nummer 13, das Dress des unermüdlichen FC-Bayern-Profis Thomas Müller. Auch Michael aus der Nähe von Kaltenberg trägt so eins, er hat sich extra einen Tag Urlaub genommen, um mit seinem Spezi Erwin vom Pilsensee in den Münchner Westen zu fahren und hier Fußball zu schauen. All die Debatten, die rund um dieses Turnier toben, haben sie nicht abgehalten. "Ich habe 1982 meine erste WM erlebt, als Siebenjähriger, und seitdem jede WM verfolgt", sagt Erwin: "Ich bin Sport-Fan, nicht Katar-Fan." Natürlich seien die politischen Hintergründe dieser Fußball-Weltmeisterschaft "Wahnsinn", sagt Michael: "Dass die Fifa so korrupt ist, ist krass." Nichtsdestotrotz sei er halt "ein absoluter Fußball-Fan"; er habe früher selbst gespielt und auch als Schiedsrichter fungiert, erklärt er.

Mit seiner ambivalenten Haltung liegt er auf einer Linie mit dem Backstage-Geschäftsführer Hans-Georg Stocker, der sich trotz vieler Bedenken entschlossen hat, WM-Spiele der deutschen Mannschaft zu übertragen. "Wir lehnen die WM in Katar ab - den Fußball aber nicht", lässt er wissen. Kritisch hinschauen hält er jedenfalls für besser als einfach wegschauen, deshalb hat er am Rande der Arena auch eine Foto-Ausstellung organisiert, in Zusammenarbeit mit Amnesty International sind dort Eindrücke von Nepalesen zu sehen, die als Bauarbeiter für die WM-Stadien geschuftet haben.

Auch in Münchens bekanntester Fußball-Kneipe, im Stadion an der Schleißheimer Straße, haben sie sich erst nach einigem Überlegen entschlossen, die WM-Partien zu übertragen. Nach all den Corona-bedingten Einschränkungen und Einbußen könne man es sich wirtschaftlich einfach "nicht leisten, einen Monat dichtzumachen", hatten die Geschäftsführer Holger Britzius und Michael Jachan erklärt. Aber die beiden gehen defensiv ins Turnier und halten den Ball flach: "Wir haben uns entschlossen, vor und während der WM keinerlei Medienarbeit zu machen. Wir wollen weder das Turnier irgendwie supporten, noch auf irgendeine Art und Weise Werbung für uns selbst machen." Also gibt es Fußball für diejenigen, die ihn sehen wollen, und im Gegensatz zu den Stadien in Katar sogar ein Bier.

Im Sax gibt es während der Partie kein Durchkommen, aber Ekstase findet man auch dort nicht. (Foto: Robert Haas)

Mit dem stoßen im Backstage auch Erwin und Michael vor dem Anpfiff noch einmal an. "Wir mögen eigentlich auch die Geselligkeit", sagt Erwin, "die schönste WM für mich war deshalb ja die von 2006", das Sommermärchen, das Turnier in Deutschland. In Sachen Geselligkeit wäre er an diesem Mittwoch woanders wohl besser aufgehoben gewesen, im Sax zum Beispiel, einer für Fußball-Übertragungen bekannten Kneipe in der Hans-Sachs-Straße. Auch dort wurden noch Biertische und -bänke aufgeklappt - aber zusätzlich zum üblichen Mobiliar.

Vor Spielbeginn war schon viel los und die Stimmung aufgeregt, berichtet ein Gast. Dass die deutschen Spieler beim üblichen Mannschaftsfoto die Hand vor den Mund halten als Geste gegen die Fifa, die den Teams das Tragen der One-Love-Binde untersagt hat, kriegen viele Fans gar nicht mit. Im Sax konzentrieren sich die Gäste aufs letzte Fachsimpeln, auf Speis und vor allem auf Trank. Während der Partie ist dann zwar kaum ein Durchkommen, so voll ist es, aber Euphorie und Ekstase findet man dort auch nicht.

Das kann natürlich am Spiel liegen, das die Deutschen am Ende 1:2 verlieren. Aber dem ersten Eindruck nach zu urteilen sind die Münchner Fans generell eher verhalten in dieses Turnier gestartet. Es fällt auf, dass nur wenige in Deutschland-Trikots in den Gaststätten sitzen, in denen die Partie über den Bildschirm läuft. Und mit schwarz-rot-goldener Bemalung oder Beflaggung, wie sie seit 2006 üblich waren, läuft auf den Straßen erst recht niemand herum.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusUngewöhnliche Sportlerin
:"Freut euch auf die Fußball-WM"

Kathrin "Ka" Lehmann ist die einzige Frau, die sowohl im Fußball als auch im Eishockey Landesmeisterin wurde. Heute hat sie ihr eigenes Sportinstitut. Jetzt fliegt sie als Kommentatorin nach Katar.

Von Sabine Buchwald

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: