Freizeitstress:Es gibt nichts zu verpassen

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Aufregender wird es derzeit in München nicht als am Wedekindplatz in Schwabing. (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist gar nicht so lange her, da litten hippe Münchner noch an "Fomo", der "fear of missing out". Und jetzt? Jetzt reifen sie an ihren Luxusproblemen.

Kolumne von Laura Kaufmann

Es trug sich ziemlich genau letztes Jahr um diese Zeit zu, dass an dieser Stelle der Zeitung etwas über Freizeit-Burn-out stand. Die Ohnmacht, die der Münchner angesichts der wachsenden Zahl an Straßenfesten und Festivals, weißen Dinnern und Pop-up-Biergärten empfand, mit denen die Wochenenden so reichlich garniert waren wie ein Lebkuchenherz mit Zuckerguss. Für welchen Event sollte man sich da entscheiden? Und welche verpassen? Ein Luxusproblem, sicher. Aber ein Problem.

Hippe Menschen nennen es "Fomo", die "fear of missing out", also die Angst, etwas zu verpassen. Wenn so vieles gleichzeitig stattfindet in der Stadt, gibt es - egal wie viel man erlebt - doch immer noch mehr, was man nicht erleben wird. Ein Teufelskreis für getriebene Hedonisten. Die Kolumne aus dem vergangenen Jahr schloss damit, wie schön es wäre, den ganzen Abend an Eisbach oder Isar zu vertrödeln, oder gar auf dem Balkon. Und wie wunderbar sich dabei das Verpassen anfühlen kann.

Nun, ein Jahr später, lesen sich diese Zeilen nahezu zynisch. Die ganze Stadt vertrödelt ihre Abende auf Balkon und Terrasse oder an Isar und Eisbach. Den Gärtnerplatz nicht zu vergessen. Oder den Wedekindplatz. Die einst ersehnte De-Eventisierung ist in gruseligem Ausmaß über die Stadt hereingebrochen. Viel zu verpassen gibt es nicht mehr, Parkplatzterrassen und Riesenräder sind für Nachtschwärmer nur mäßig interessant. So wird im Internet das Angebot durchforstet, hier und da aufgeschreckt - was, mit DJ? Ach so, im Stream - und an die Zeit zurückgedacht, in der man sich kaum entscheiden konnte zwischen Straßenfest eins und Straßenfest zwei.

Die Fomo ist jetzt größer angelegt, eher in der Kategorie: "Was, wenn der Festivalbesuch vergangenes Jahr der letzte für sehr, sehr lange Zeit war?" Und so reift der Münchner an seinen Luxusproblemen und -ängsten. Immerhin kann das gesparte Geld zum Beispiel in Botox für die Sorgenfalte investiert werden. Und falls dann eines Tages wieder Events den Kalender füllen, wird der Münchner so frisch aussehen wie damals, als er das letzte Festival vor den stillgelegten Zeiten besuchte.

© SZ vom 30.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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