Kompass:Auf und davon

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Im "Goldenen Zeitalter" des griechischen Kinos entstand im Jahr 1960 die Komödie "Mantalena". (Foto: Griechische Filmwoche)

Einmal um die ganze Welt: Im wahren Leben gibt es immer noch Reisebeschränkungen. Im Kino aber kommt man überall hin: In München finden im November mehrere Länderfilmfestivals statt. Sie entführen das Publikum an entlegene Orte und erweitern den eigenen Horizont. Ein cineastischer Überblick.

Von Josef Grübl

Griechenland: Gedankenverloren in die Zukunft

Das menschliche Gehirn lässt ab einem bestimmten Alter nach, behaupten zumindest Mediziner. Situationen, in denen man sich nicht mehr erinnern kann, wo man das Auto abgestellt hat oder wie das verdammte Computer-Passwort lautet, kennt aber fast jeder. Auch in der 35. Ausgabe der Griechischen Filmwoche kämpfen die Menschen gegen das Vergessen: Im Eröffnungsfilm "Apples" etwa, da sucht eine mysteriöse Epidemie das Land heim, Männer wie Frauen leiden unter akutem Gedächtnisverlust. In einer Spezialklinik werden diese gedankenverlorenen Menschen behandelt, dort treffen auch Aris und Anna aufeinander. Aber kannten sich die beiden vielleicht schon früher? Und erlangen sie durch ihre neuen Erinnerungen auch neue Identitäten?

In der Literaturverfilmung "Green Sea" hat eine Frau ebenfalls ihr Gedächtnis verloren, durch Zufall landet sie in der Küche einer heruntergekommenen Taverne - über Gerüche, Aromen oder scheinbar vergessene Rezepte findet sie zurück ins Leben. Und dann wäre da noch "Der Hochzeitsschneider von Athen", der nichts mehr zu tun hat und darunter leidet, dass die Menschen um ihn herum scheinbar vergessen haben, wie man sich stilvoll kleidet: Die romantische Tragikomödie lief im Sommer in den deutschen Kinos, jetzt kann man sie in der Originalversion mit Untertiteln (wieder-)entdecken. Insgesamt 15 Spiel- und Dokumentarfilme sowie ein Kurzfilmprogramm werden ab Donnerstag, 11. November, gezeigt: Die Eröffnungsveranstaltung findet noch im Carl-Orff-Saal im Gasteig statt, danach zieht das Festival um ins HP8, das Gasteig-Interimsquartier in Sendling. Das Programm ist wie immer recht vielseitig, auch dieses Mal reihen sich Sozialdramen an Romanzen, Komödien, Thriller oder Roadmovies. Auch ein Dokumentarfilm über die griechische Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte" steht auf dem Spielplan ("Golden Dawn: A Public Affair").

Nicht vergessen sollte man auch die Klassiker des griechischen Kinos, sechs Filme aus drei Jahrzehnten werden aufgeführt: Das Publikum darf sich auf ein Wiedersehen mit Costa-Gavras' zweifachem Oscar-Gewinner "Z" aus dem Jahr 1969 freuen oder auf Theodoros Angelopoulos' Filmepos "Die Wanderschauspieler" (1975). Hierzulande weniger bekannt sein dürften Komödien wie "Mantalena" oder das Filmmusical "Girls in Kisses", die in den Sechzigern entstanden, als die Filmindustrie in Griechenland boomte. Karten können im Vorverkauf erworben werden, der Eintritt zu den Filmklassikern ist frei.

Griechische Filmwoche, Do., 11., bis So., 21. Nov., Gasteig HP8, Hans-Preißinger-Straße 8, www.griechischefilmwoche.com

Rumänien: Spannung aus Europas Osten

Es bleibt in der Familie: In Alina Grigores Regiedebüt "Blue Moon" will sich eine junge Frau von ihren Angehörigen lösen. (Foto: Foto: Filmmuseum München/Rumänische Filmwoche)

Für das Filmland Rumänien ist 2021 schon jetzt ein gutes Jahr: Anfang März wurde Radu Judes Satire "Bad Luck Banging Or Loony Porn" als bester Film des Berlinale-Wettbewerbs ausgezeichnet, im September gewann das Drama "Blue Moon" den Hauptpreis beim Festival in San Sebastian. Auch nach Cannes, Venedig oder Locarno reisten rumänische Filmemacher. Die südosteuropäische Republik gilt als spannende Kinonation, die regelmäßig künstlerisch herausragende Filme produziert und Festivalgewinner hervorbringt. Im Münchner Filmmuseum findet jährlich im November das Rumänische Filmfestival statt, nur 2020 musste es pandemiebedingt pausieren - die Ersatzveranstaltung wurde auf den Sommer verschoben.

Somit ist auch für das Münchner Publikum 2021 ein gutes Filmjahr, zumindest aus rumänischer Sicht: Nur fünf Monate nach der Ersatzausgabe gibt es ab 12. November wieder ein reguläres Rumänisches Filmfestival. Eröffnet wird es mit Marian Crisans tragikomischer Politfarce "Berliner" ("The Campaign"), in der sich ein Politiker und ein Bauer als Freunde ausgeben, der eine verspricht sich davon bessere Umfragewerte, der andere hätte gern einen Traktor. In den Tagen darauf sind die neuen Regiearbeiten von Festivallieblingen wie Cristi Puiu ("Malmkrog"), Radu Muntean ("Întregalde") oder Florin Serban ("Dragoste 2 - America") zu sehen. Auch der San-Sebastian-Gewinner "Blue Moon" steht auf dem Spielplan: Alina Grigore erzählt in ihrem Regiedebüt von einer jungen Frau, die ihrer dysfunktionalen Familie entkommen will, den Auseinandersetzungen mit ihrem Cousin und der Affäre mit einem verheirateten Mann. Alle Filme werden in der Originalversion mit englischen Untertiteln aufgeführt.

Rumänisches Filmfestival, Freitag, 12., bis Donnerstag, 18. November, Filmmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, http://wp.ge-fo-rum.de/

China: Geister der Gegenwart

Bildgewaltiges aus dem Reich der Mitte: "A Little Bird Reminds Me" wird im Online-Programm des Festivals abrufbar sein. (Foto: Chinesisches Filmfest München)

James Bond, Godzilla oder die Boliden-Prolls von "Fast & Furious"? Weder noch: Der weltweit erfolgreichste Kinofilm des Jahres 2021 kommt nicht aus Hollywood, sondern aus China. "Hi, Mom" heißt die Fantasykomödie um eine Tochter, die nach dem Tod ihrer Mutter zurück ins Jahr 1981 reist, um nachträglich das Leben ihrer Erzeugerin zu verbessern. Der Film entpuppte sich als echter Chinakracher und spielte allein in seiner Heimat mehr als 800 Millionen Dollar ein, in deutschen oder amerikanischen Kinos war er nie zu sehen. Schon bald aber wird er im Rahmen des Chinesischen Filmfests gezeigt, nicht auf der großen Leinwand, sondern im Online-Programm.

Das Festival findet dieses Jahr als Hybrid-Veranstaltung statt: Acht der insgesamt 31 Filme sind auf der großen Leinwand zu sehen, im HP8 Gasteig-Interimsquartier und im Kino Breitwand Gauting. Das restliche Filmprogramm kann man online streamen. Neben chinesischen Blockbustern stehen Geisterfilme, Romanzen, Fantasy-Dramen, Mystery-Thriller oder ein Stummfilm aus dem Jahr 1933 auf dem Programm. Auch einige Dokumentarfilme sind im Angebot vertreten, unter anderem haben sich chinesische Filmemacher die Auswirkungen der Corona-Pandemie angesehen ("Tidying Up Wuhan"). Chinas Filmindustrie ist riesig, in Sachen Zuschauerzuspruch hängen einheimische Produktionen jene aus Hollywood regelmäßig ab.

Wer also sehen möchte, wofür sich Filmfans in Shanghai oder Shenzhen begeistern, hat bei der neunten Ausgabe des Chinesischen Filmfests Gelegenheit dazu. Zusätzlich wird es ein kostenloses Online-Rahmenprogramm geben, mit Vorträgen über chinesische Filmkultur oder Animationsfilme, auch ein Filmgespräch über Filmfeste in Pandemiezeiten ist geplant.

Chinesisches Filmfest, Montag, 22., bis Samstag, 27. November, Online sowie Gasteig HP8 und Kino Breitwand Gauting, www.chinesischesfilmfest.de

Lateinamerika: Panama als Zustand

In "Los fantasmas" geht es nach Guatemala. (Foto: Lateinamerikanische Filmtage)

Panama Papers, Paradise Papers, Pandora Papers: In den letzten Jahren gab es so viele Enthüllungen über Steuerbetrüger, Schwarzgelder und Geldwäschegeschäfte, dass man fast verzweifeln wollte. Wer jetzt glaubt, solche Betrügereien seien eine Erfindung unserer Zeit, irrt allerdings: In Federico Veirojs Spielfilm "Así habló el cambista - The Moneychanger" geht es zurück ins Montevideo der Siebziger, dort wäscht ein Devisenhändler die Gelder von zwielichtigen Kunden - und lebt selbst ein luxuriöses Leben. Der Film eröffnet am 30. November die Lateinamerikanischen Filmtage, an sechs Festivaltagen werden sieben Spiel- und Dokumentarfilme sowie zwei Kurzfilmblöcke aufgeführt aus Ländern wie Kolumbien, Guatemala oder Mexiko. Einige von ihnen liefen auf internationalen Festivals, in die deutschen Kinos schafften sie es allerdings nicht. Das Münchner Publikum hat nun die Gelegenheit, gefeierte Filme wie "Rojo" oder "Midnight Family" im Werkstattkino, Instituto Cervantes oder dem Gasteig HP8 zu erleben.

Lateinamerikanische Filmtage, Dienstag, 30. November, bis Sonntag, 5. Dezember, diverse Orte in Münch en, www.lafita-muc.de

Zwischen den Welten: Strahlender Dialog

Jaghori ist ein Ort beziehungsweise ein Bezirk im Osten Afghanistans, nahe der Grenze zu Pakistan. Vor drei Jahren griffen militante Taliban-Kämpfer die hauptsächlich von schiitischen Hazara bewohnte Region an, vor ein paar Monaten eroberten sie bekanntlich das ganze Land. Jaghori ist aber auch die Heimat von Mahdi Amiri, in seinem halbstündigen Dokumentarfilm "Jaghori strahlt im Dunkeln" präsentiert er Filmaufnahmen, die heute so nicht mehr entstehen könnten. Er will dem Publikum das Gesicht dieser Region zeigen und näherbringen, die Landschaft, Häuser und Menschen - und die Art, wie sie leben.

"Es ist schade, dass Afghanistan in Deutschland erst dann thematisiert wird, wenn schlimme Dinge passieren", sagt Mahdi Amiri. Sein Film eröffnet am 28. November das Festival "Kino Asyl", das bereits zum siebten Mal stattfindet. 2020 wurde es pandemiebedingt zum reinen Online-Festival, dieses Jahr aber sind die Filme wieder live vor Publikum zu sehen, an unterschiedlichen Orten wie dem Werkraum der Kammerspiele, dem NS-Dokumentationszentrum, der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) oder dem Bellevue di Monaco. Das Besondere an "Kino Asyl" ist, dass das aus Filmen, Talks, Ausstellungen oder Konzerten bestehende Programm von jungen Erwachsenen mit Fluchterfahrung zusammengestellt wird.

Das Festival versteht sich also als eine Plattform der Begegnung und des Dialogs, in diesem Jahr präsentieren Kuratoren aus Syrien, Iran, Afghanistan, Uganda oder Russland Filme aus ihren Heimatländern und laden das Publikum ein, mit ihnen zu diskutieren. Auch ein Kinderfilmprogramm wird es geben, mit Theaterperformance und einer Wissenssendung aus Syrien. Alle Veranstaltungen sind kostenfrei, die Veranstalter freuen sich über freiwillige Spenden.

Kino Asyl, Sonntag, 28. November, bis Freitag, 3. Dezember, das Festival findet an verschiedenen Orten in München statt, www.kinoasyl.de

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