Erneuerbare Energien:So macht Biomethan unabhängiger von russischem Erdgas

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Die Mikrobiologin Doris Hafenbradl ist technische Leiterin bei Electrochaea. Das Start-up aus Planegg hat eine Technologie entwickelt, um Strom aus erneuerbaren Energien in Form von Gas zu speichern. Dabei setzen die Wissenschaftler Mikroorganismen ein, sogenannte Archaeen. (Foto: Florian Peljak)

Das Münchener Start-up Electrochaea will Erdgas durch erneuerbares Methan ersetzen. Dabei helfen Jahrmilliarden alte Mikroorganismen, die der Firma ihren Namen gegeben haben.

Von Catherine Hoffmann

Kochende Geysire, aufquellende Lava, Salzseen wie das Tote Meer bieten höllische Lebensbedingungen - doch für eine Gruppe unscheinbarer Winzlinge, die Archaeen, sind sie ein Paradies. Archaeen sind die ältesten Organismen auf der Erde, es gibt sie seit mehr als 3,5 Milliarden Jahren. Sie wachsen auch unter extremen Lebensbedingungen, selbst kochendes Wasser oder sehr hohe oder niedrige pH-Werte können ihnen nichts anhaben. Früher hätte man unter diesen Bedingungen kein Leben erwartet. Die Entdeckung dieser Lebensformen in einer heißen Quelle vor etwas mehr als 40 Jahren war spektakulär.

"Wissenschaftler wie mein Doktorvater Karl Otto Stetter sind damals zu den Geysiren nach Island gereist und haben dort Anzeichen für Leben gefunden. Sie wurden für verrückt erklärt, dort überhaupt nach Leben zu suchen", erzählt Doris Hafenbradl, technische Leiterin bei Electrochaea, einem Start-up aus Planegg. Doch die Forscher entdeckten die Archaeen, die wie Bakterien aussehen, aber wenig mit ihnen zu tun haben, sondern eine eigene Domäne sind. Domäne? Der Stammbaum des Lebens gliedert sich in drei dicke Äste, sogenannte Domänen: die Bakterien, die Archaeen und die Lebewesen aus echten Zellen, Eukaryoten genannt; dazu gehören alle Pilze, Pflanzen, Tiere und auch wir Menschen.

"Es gibt eine Untergruppe der Archaeen, die macht seit Jahrmilliarden Methan", sagt Hafenbradl, die als junge Mikrobiologin 1995 am Archaeen-Zentrum der Universität Regensburg promoviert hat. "Sie müssen das machen, um leben zu können. So wie Menschen essen und trinken müssen, brauchen Archaeen Kohlendioxid (CO2) und Wasserstoff, um daraus Methan zu machen." Genau diesen Stoffwechsel nutzt Electrochaea, um eines der großen Probleme der Energiewende anzugehen. Energiespeicher sind eine der Herausforderungen beim Einsatz erneuerbarer Energien, da Wind und Sonne nicht immer Strom liefern, wenn er gebraucht wird. Gesucht ist also eine Möglichkeit, den Strom aus regenerativen Quellen langfristig im großen Stil zu speichern.

Ein Bioreaktor im Laborformat: Die grüne Flüssigkeit sind Archaeen, die aus Kohlendioxid und Wasserstoff Methan machen. (Foto: Florian Peljak)

Eine solche Möglichkeit bieten die Archaeen. Zunächst wird überschüssiger Strom aus Wind- und Sonnenenergie genutzt, um durch Elektrolyse Wasserstoff zu gewinnen. Aus diesem Wasserstoff und dem Treibhausgas CO2 machen die unscheinbaren Winzlinge dann sehr schnell und effizient Methan. "Dieses klimaneutrale Methan kann direkt ins bestehende Gasnetz eingespeist werden", sagt Hafenbradl. "Die Qualität des Gases, das wir mit unseren kleinen Archaeen herstellen, ist genauso gut wie das fossile Gas, das aus Russland oder den USA kommt. Damit können wir unabhängiger von Gasimporten werden und die Energiewende zu Ende denken."

Selbstverständlich könne auch der Wasserstoff selbst, der im ersten Schritt erzeugt wird, bei der Energiewende helfen. Viele Wissenschaftler sehen in ihm die grüne Alternative zum Erdgas. Hafenbradl ist allerdings skeptisch. Wasserstoffmoleküle seien so klein und flüchtig, dass es aufwendig und teuer sei, sie zu speichern. Zudem könne man die vorhandene Infrastruktur, das Gasnetz und die Speicher nicht verwenden, ohne sie mit viel Geld umzurüsten. "Die Energiedichte von Wasserstoff ist vier Mal geringer als bei Methan, man braucht also vier Mal mehr Speichervolumen im Vergleich zum Methangas", sagt die Wissenschaftlerin. "Und: Wenn ich Methan herstelle, verwerte ich gleichzeitig schädliches CO2, das ansonsten in die Atmosphäre geht." Das Kohlendioxid für die Archaeen kann zum Beispiel aus einem Zementwerk, der Stahlindustrie, einem Klärwerk oder einer Biogasanlage kommen.

In Dänemark soll die erste kommerzielle Anlage entstehen

In Dänemark und der Schweiz hat das Unternehmen schon mehrere Pilotanlagen mit einer Leistung von bis zu einem Megawatt betrieben. "Jetzt sind wir dabei, die erste kommerzielle Anlage in Dänemark zu planen", sagt Hafenbradl. Dort gibt es in Roslev einen Landwirt, der sich als Energiebauer versteht. Er hält neben Schweinen und Feldern auch Anteile an einem Windpark in der Nachbarschaft und eine Biogasanlage, die er mit Abfall, Grünmaterial und Hinterlassenschaften aus der Tierhaltung betreibt. Das so gewonnene Methangas speist der Bauer schon jetzt ins Gasnetz ein. Aber er emittiert immer noch schädliches CO2 und möchte die Electrochaea-Technologie nutzen, um diesen Ausstoß künftig zu verwerten und so noch klimafreundlicher zu werden. Die geplante Leistung seiner Anlage ist zehn Megawatt. Das ist im Maßstab großer Stadtwerke immer noch klein. Zum Vergleich: Das Heizkraftwerk Süd der Stadtwerke München erzeugt eine Fernwärmeleistung von mehreren hundert Megawatt.

Die Idee und den besonders nützlichen Archaeen-Stamm, auf dem die Technologie basiert, entwickelte der US-Professor Laurens Mets 2006 an der University of Chicago. Doch die Investoren in den USA interessierten sich nicht für seine Forschung. "Damals wurde das Fracking populär, und Gas war so billig, dass niemand in erneuerbares Gas investieren wollte", sagt Hafenbradl. In Deutschland war das anders: 2014 entstand die Electrochaea GmbH mit drei Mitarbeitern und sammelte bei sieben Investoren Startkapital ein. Seither ist das Start-up auf 35 Mitarbeiter gewachsen.

Electrochaea ist nicht das einzige Unternehmen, das davon überzeugt ist, dass die simple Lebensform der Archaeen helfen kann, die Energieprobleme unserer Zeit zu lösen. In Bayern verfolgen Microb Energy und Micro-Pyros ähnliche Ziele. "Wir brauchen alle denkbaren Optionen", sagt Toni Reinholz, Teamleiter Erneuerbare Energien bei der Deutsche Energie-Agentur mit Blick auf den Ukraine-Krieg und seine Folgen für den Gas- und Strommarkt. Erst diese Woche habe die EU-Kommission die Ziele für die Einspeisung von Biomethan von 17 auf 35 Milliarden Kubikmeter erhöht. "Um dieses anspruchsvolle Ziel erreichen zu können, bedarf es einer Diversifizierung der erneuerbaren Gasquellen", sagt Reinholz. "Das Verfahren von Electrochaea könnte hierzu einen Beitrag leisten, wenn sich das produzierte Gas wirtschaftlich behaupten kann."

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