Trachtenmode in München:Wie Blei am Bügel

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Manchen Labels und Händlern sind in den vergangenen Monaten 80 Prozent der Einnahmen weggebrochen. (Foto: Robert Haas)

Die Absage der Wiesn hat die Trachtenbranche hart getroffen. Das Coronavirus nimmt sogar Einfluss auf die Kollektionen für das nächste Jahr.

Von Franziska Gerlach

Es war am 5. März, als Jörg Hittenkofer entschied, die Herbstkollektion abzublasen. Dass das Oktoberfest ausfallen könnte, war zu diesem Zeitpunkt ein Gedanke, den die meisten verscheuchten wie eine Wespe vom Bierkrug. Nicht so Hittenkofer, der an der Schleißheimer Straße das Münchner Trachtenlabel Gottseidank führt. Eine Vorahnung? Bauchgefühl? "Man konnte eins und eins zusammenzählen", sagt er. Die Infektionszahlen, die Krankheitsverläufe, die das Coronavirus nach sich zog.

Die Absage der Wiesn hat die Trachtenbranche hart getroffen. Keine Amerikaner, Italiener oder Australier in der Stadt, kein Geschäft mit der Tracht, das ist eine einfache Gleichung, egal ob man Billiglederhosen aus Pakistan vertreibt, in heimischen Meisterbetrieben Janker aus feinstem Loden schneidern lässt oder ein großes Traditionshaus führt. Hinter dem meterlangen Tresen eines Shops im Bahnhofsviertel tritt ein Mann von einem Fuß auf den anderen. Gefragt, ob er schon etwas verkauft habe, reckt er das Kinn mit der Maske in Richtung der Türe, durch die in früheren Jahren die Massen hereindrängten. "Ein bisschen", sagt er leise. Doch "ein bisschen" ist nicht genug, wenn die Ladenmiete drückt und Personal bezahlt werden will.

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Manchen Labels und Händlern sind in den vergangenen Monaten 80 Prozent der Einnahmen weggebrochen. Das Oktoberfest spült sonst Geld in die Kassen, das die Branche über den Winter bringt, wenn Flaute herrscht im Trachtengeschäft. "Die Wiesn ist ein Millionengeschäft", sagt Bernd Ohlmann, Sprecher des Bayerischen Handelsverbandes. Dass diese "gigantische Umsatzspitze" nun fehle, sei "ein herber Schlag" - auch für die Kaufhäuser, die jedes Jahr große Flächen für die Trachtenmode bereitstellen. Die ausgangsbeschränkten Wochen im Frühjahr hatten der gesamte Bekleidungsbranche ohnehin schon zugesetzt.

"Das Wiesn-Geschäft macht ungefähr zwei Drittel des Jahresumsatzes aus", sagt Sonja Ragaller, Inhaberin des Trachtengeschäftes Almliebe an der Hochbrückenstraße und des gleichnamigen Online-Shops. Am ersten Wochenende der Wirtshaus-Wiesn, der Ersatzveranstaltung der Wirte, hat sie Blazer an Damen aus Düsseldorf und ein Dirndl an eine Hamburgerin verkauft. Ragaller hat das gefreut, doch den Verlust ausgleichen können solche Spontankäufe nicht einmal ansatzweise. Trotz aller Voraussicht in der Planung konnte auch Jörg Hittenkofer sein Label nicht vor finanziellem Schaden bewahren. "Meine Firma ist nun eine andere. Wir waren 19 Leute, nun sind wir zu sechst", sagt er.

Philipp von Frankenberg vom Trachtenlabel Amsel denkt an den "Großkampf in der Umkleidekabine" zurück, der von August und September in seinem Laden an der Adalbertstraße früher zu beobachten sei. "Wir verkaufen Anlasskleidung", sagt er. Aber in einem Jahr ohne Anlässe? Ohne die Hochzeiten im Frühjahr, die Waldfeste im Sommer und vor allem ohne Oktoberfest? Ausgesprochen schwierig. Auch Markus Höhn, Geschäftsführer des Traditionshauses Lodenfrey, sagt: "Wir konnten bei den Ordern noch eingreifen, aber natürlich verzeichnen wir als weltweit größter Trachtenanbieter Umsatzeinbrüche." Auswärtige Kunden, die spontan etwas Passendes für den Wiesnbesuch am Abend benötigen, fehlten. Man habe die Trachtenabteilung in der Größe belassen, sie aber mit weniger Ware bestückt. Nachbestellungen, hier zehn Lederhosen, dort zehn Pullover, die gebe es in diesem Jahr nicht.

Dass in den Münchner Geschäften nun also weniger Trachtenmode zu sehen ist, bedeutet nicht, dass der Markt leergefegt wäre. Im Gegenteil, er quillt über. Die Mode-Produktion ist auf die Zukunft ausgerichtet, und als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) Ende April das Oktoberfest absagten, waren die meisten Dirndl, Janker und Trachtenhemden bereits genäht. "Wir haben ein wahnsinniges Warenlager" mit einem "Einkaufswert von mehreren Millionen", sagt Nina Munz, die mit ihrem Vater Axel Munz Trachten Angermaier leitet. Besonders schön sei heuer ein Dirndl mit Cord geraten, ganz weich, seufzt sie. Doch wie so viele andere, wunderschöne Dirndl in dieser Stadt hängt es nun: wie Blei am Bügel.

Die jungen Frauen, die an einem der zurückliegenden sonnigen Septembertage in pastellfarbenen Dirndln über den Wiener Platz wehen, wirken da wie Zeitreisende, die sich im Jahr vertan haben. Die Liebe zur Tracht - im Jahr des Abstands entfaltet sie ihre volle Kraft nur in den sozialen Medien, Bilder von feschen Trachtenträgern erwecken den Anschein eines fröhlichen Normalbetriebs. Man tut, was man kann, und bestärkt sich gegenseitig in dem Glauben, dass es irgendwie schon weitergehen wird: Bei Angermaier gibt es "Zamhoidn"-Lederarmbänder, von deren Erlös zehn Prozent an den Münchner Schausteller-Verein gehen. Amsel hat die Initiative #münchenträgttracht gestartet, über die Händler und Designer auf ihre Situation aufmerksam machen und dazu aufrufen, an 365 Tagen im Jahr Tracht zu tragen.

"Wir verkaufen Anlasskleidung", sagt Philipp von Frankenberg. Aber in einem Jahr ohne Anlässe? Ausgesprochen schwierig. (Foto: Robert Haas)

Das Virus, heißt es, könne Entwicklungen vorantreiben, ein Umdenken erzwingen. Verändert es auch die Trachtenmode? Jörg Hittenkofer jedenfalls hat seine Frühjahrs-Kollektion für Gottseidank nicht nur "viel, viel kleiner", sondern auch alltagskompatibler gestaltet. Weniger Dirndl, mehr Blusen, dazu passende Gürtel und für die Herren lässige Leinensakkos. In anderen Geschäften werden den Münchnerinnen und Münchnern 2021 dennoch Entwürfe aus dem Corona-Jahr begegnen. Macht aber nichts: Trends vollziehen sich in der Trachtenmode, ihrem Wesen nach, ohnehin nur langsam, ganz allmählich. "Es ist ja nicht so, dass unsere Ware schlecht wird. Ein Dirndl bleibt ein Dirndl", sagt Amsel-Chef Philipp von Frankenberg.

Schon zu Beginn dieses unberechenbaren Modejahres arbeitete in Sonja Ragaller die Idee, bei Almliebe einen Online-Shop für nachhaltige Mode, Kosmetik und Accessoires zu eröffnen. Dann kam Corona, und mit dem Virus kamen die Zweifel: Ausgerechnet jetzt in Neues investieren? Inzwischen ist die Unternehmerin froh, dass sie den neuen Online-Shop Ecollections betreibt. "Als zweites Standbein. Man weiß ja nicht, wie es mit der Trachtenmode weitergeht."

© SZ vom 29.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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