40 Jahre Christopher Street Day:Der Aufstand, der zur Party wurde

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Schillern ist schwierig zurzeit, doch der CSD soll trotz Corona sichtbar sein. (Foto: Stephan Rumpf)

Ausgerechnet im Jubiläumsjahr fällt die Parade zum Christopher-Street-Day in München aus. Es gibt Ersatz - und Warnungen vor einer "neuen Art der Homophobie".

Von Thomas Anlauf

Was für eine Wucht! Mehr als 150 000 Menschen feiern, protestieren, demonstrieren auf Motorrädern, zu Fuß, auf den Ladeflächen von Lastwagen und klingeln auf Fahrrädern. Es ist bunt, laut, Trommeln wummern in den Altstadtgassen. Die Szenerie ist von unzähligen Münchnern gesäumt, es ist ein Protestfest, das es sonst nur selten in der Stadt gibt.

Seit nun genau 40 Jahren gehen schwule und lesbische Münchnerinnen und Münchner, Transgender und Bisexuelle einmal im Jahr auf die Straße, um für ihre Rechte, Akzeptanz und gegen Homophobie zu demonstrieren. Ausgerechnet in diesem Sommer des Jubiläums muss die Parade am Ende der Christopher-Street-Woche ausfallen - wegen der Corona-Pandemie.

Doch die Veranstalter um Julia Bomsdorf von der lesbischen Beratungsstelle Letra und Conrad Breyer vom Schwulenzentrum Sub haben beschlossen, der Krise zu trotzen. Mit einem zum Teil virtuellen Programm, aber auch mit Dutzenden, über die ganze Innenstadt verteilten Kleindemonstrationen soll der diesjährige Christopher-Street-Day (CSD) sogar besonders politisch werden. "Gegen Hass. Bunt, gemeinsam, stark!" ist das diesjährige Motto. Die Veranstalter mahnen: "Die Bewegung hat nicht angefangen als lockere Party, sondern als ein Aufstand", sagt Bomsdorf.

Am 28. Juni 1980 zogen zwischen 150 und 200 Menschen durch München und erklärten: "Schwul - na und?". Damals wurde die erste Pride Parade noch etwas argwöhnisch von der Polizei begleitet, die Selbstverständlichkeit der Community, die heute als eine der sichtbarsten in Deutschland gilt, hatte noch stärker mit Homophobie und Inakzeptanz zu kämpfen als jetzt. Doch auch im Jahr 2020 gibt es wieder "eine neue Art der Homophobie", wie Bomsdorf sagt - auch von Seiten der Polizei.

Für den diesjährigen CSD haben die Veranstalter einen 14-Punkte-Katalog vorgelegt, der nicht nur in Videobeiträgen vom 4. bis 12. Juli, sondern auch auf den Kleindemonstrationen vorgetragen wird: gleiches Recht für alle, ein umfassender Diskriminierungsschutz, eine konsequente Verfolgung von Hassverbrechen, ein neues Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung. Es geht aber auch um Solidarität innerhalb und außerhalb der Community, internationale Solidarität und Schutz für Verfolgte sowie politisch und gesellschaftlich bedrohte Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle innerhalb Deutschlands und auf der ganzen Welt.

Ohne den Zusammenhalt der Münchner Szene wären die Gemeinschaft und die Menschen "nie dahin gekommen, wo sie heute stehen. In diesem Sinne erklärt sich die Community in diesen Tagen solidarisch mit allen Menschen in unserer Stadt, in Deutschland und der Welt, die angefeindet und bedroht werden", heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung. "Denn sie alle verdienen Respekt, Anerkennung und gleiche Rechte. Mit oder ohne Corona."

In einem Grußwort lobt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den jahrzehntelangen Kampf der Münchner Szene und die Erfolge, die seither erzielt wurden, um Akzeptanz und Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu erreichen. Dennoch gebe es immer noch Vorbehalte und Ablehnung in der Gesellschaft. "Deshalb gilt es weiterhin, für die gesellschaftliche Akzeptanz der vielfältigen sexuellen Orientierungen und Gender-Identitäten zu kämpfen und sich klar und deutlich gegen jede Form von Homo- und Trans-Phobie zu stellen". Der Münchner CSD sei zusammen mit den Veranstaltungen der Pride Week "ein buntes Aushängeschild für ein tolerantes und weltoffenes München".

So soll auch in diesem Sommer deutlich die Regenbogenflagge gezeigt werden. Junge Aktivistinnen werden Straßen und Zebrastreifen mit Kreide in symbolische Regenbögen verwandeln. Es gibt Lesungen, unter anderem mit Hans Pleschinski und der Münchner Autorin Sabine Brandl, eine Ausstellung zur Geschichte der Szene- und Pride-Kooperation zwischen München und Kiew und auch mehrere Gottesdienste. Zwar kann die traditionelle Politparade am Samstag, 11. Juli, in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden.

Allerdings ist geplant, dass es sogenannte Demo-Spots an diesem Tag geben soll: Von zwölf Uhr an sollen in den Fußgängerzonen zwischen Stachus und Odeonsplatz ein sogenanntes Regenbogennetz entstehen. Jeweils Kleingruppen von bis zu maximal sechs Menschen werden dort symbolisch für die Forderungen des diesjährigen CSD stehen. Es soll keine Musik und Ansprachen geben, um die Passanten nicht unnötig zum Verweilen anzuregen. Zu viele Demonstrationen seien in jüngster Zeit im Hinblick auf das Infektionsrisiko "aus dem Ruder gelaufen", sagt CSD-Geschäftsführer Alexander Kluge.

Spazieren sei natürlich erlaubt, um die 2,6 Kilometer lange Demonstration abzugehen, Party jedoch nicht. "Das schafft mit kreativen Mitteln die Sichtbarkeit, die wir uns für den CSD wünschen", so Stadtrat (Rosa Liste) und politischer CSD-Sprecher Thomas Niederbühl. Die Politik beteiligt sich traditionell auch symbolisch an der Aktionswoche. So werden am Rathaus und am Marienplatz Regenbogenfahnen wehen, die Trambahnen und Busse werden mit Regenbogenwimpeln geschmückt.

Höhepunkt in diesem Jahr wird wohl das 18-stündige Live-Streaming aus dem lesbisch-queeren Zentrum LeZ am 11. Juli, das offiziell noch gar nicht eröffnet hat. Neben Gesprächen, vielen Kurzfilmen, in denen sich Verbände und Teile der Community vorstellen und für die Forderungen des CSD werden, soll es auch Beiträge von Drag-Queens wie Janisha Jones geben. Die ganze Nacht kann dann von daheim aus zu Musik mit Sound unter anderem von Berghain-DJ Boris, von DJs des Harry Klein und Playground getanzt werden. Die Party kann beginnen.

CSD München und Prideweek von 4. bis 12. Juli. Alle Veranstaltungen und Informationen unter www.csdmuenchen.de.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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