Corona-Beschränkungen:Wie schnell man sich doch gewöhnt

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Aber bitte mit Abstand: Zwar haben die Baumärkte wieder geöffnet, normal läuft der Betrieb jedoch noch nicht ab. Aber die meisten haben sich ja sowieso schon daran gewöhnt. (Foto: dpa)

Die Besten unter uns haben die Corona-Regeln schon so tief verinnerlicht, dass sie eineinhalb Meter zurückspringen, wenn sie in den Spiegel blicken. Ein Leben ohne Social Distancing? Unvorstellbar.

Glosse von Wolfgang Görl

Wie mag es Münchens legendärer Bussi-Gesellschaft in diesen bitteren Wochen der Abstandswahrung gehen? Meine Güte, die müssen doch am Ende sein: kein Bussi links, kein Bussi rechts, keine enthusiastischen Umarmungen, kein joviales Schulterklopfen, keine Streicheleinheiten für Blondhaar oder Toupet. Allenfalls der sogenannte Wuhan-Shake ist drin, der virologisch unbedenkliche Fußgruß.

Aber ach, für die Bussi-Gesellschaft, deren Spitzenkräfte längst in die Jahre gekommen sind, ist auch der riskant, weil beim Aneinanderschlagen der Füße leicht das Gleichgewicht verloren gehen kann. Leider registriert das Robert-Koch-Institut nicht die Zahl der Fußgruß-Verletzten, die im Raum München sogar höher sein könnte als die Zahl derjenigen, die sich beim Selbsthaarschnitt das Ohr abgeschnippelt haben.

Es ist schon sonderbar, wie schnell man sich an Verhaltensweisen gewöhnt, die noch vor wenigen Wochen zum Ausschluss aus dem kultivierten Teil der Menschheit geführt hätten. Ehedem galt es als unanständig, dem Gegenüber beim Gespräch nicht in die Augen zu schauen; heute gehört es zum guten Ton, Rücken an Rücken miteinander zu reden und dabei einsfünfzig Abstand zu halten. Und Leuten, die demonstrativ und in vormals unverschämter Weise die Straßenseite wechseln, wenn man ihnen entgegenkommt, schenkt man jetzt ein dankbares Lächeln.

Die Besten unter uns haben die Corona-Regeln mittlerweile so tief verinnerlicht, dass sie instinktiv eineinhalb Meter zurückspringen, wenn sie morgens in den Spiegel blicken. Seien wir doch mal ehrlich: Im Grunde kann sich niemand mehr ein Leben ohne Social Distancing vorstellen. Wenn man Filme aus der Vor-Corona-Zeit anschaut, in denen Menschen, zusammengepresst wie die Heringe, am Biertisch hocken und sich hemmungslos abbusseln, läuft es einem eiskalt den Buckel herunter, und man fragt sich, warum die Polizei nicht einschreitet. Oder der sozialistische Bruderkuss, Breschnew vs. Honecker. Hochinfektiös! Jetzt weiß man, woran der Kommunismus zugrunde gegangen ist.

Da nun auch das Worst-Case-Szenario, die Absage der Wiesn, eingetreten ist, fragen sich viele Münchner, was sie in den wiesnlosen letzten Septemberwochen anstellen sollen. Sozialwissenschaftler befürchten, einige könnten in ein so tiefes seelisches Loch fallen, dass sie zur fraglichen Zeit in geistiger Umnachtung auf dem Festgelände hilflos herumirren werden. Auch Biertrinken an ungeeigneten Orten wie etwa zu Hause oder der Übertritt zu den Veganern sind als Verzweiflungshandlungen nicht ausgeschlossen.

Doch es könnte noch schlimmer kommen: Was, wenn sich die Münchner an ein Leben ohne Oktoberfest gewöhnten? Wenn sie sich auf einmal wie erlöst fühlten, weil sie nicht mehr in Trachtenmontur in ein überfülltes Bierzelt rumpeln müssen, um mit Amerikanern, Chinesen und Fürstenfeldbruckern Brüderschaft zu trinken und kompromittierende Saufselfies ins Facebook zu stellen? Na ja, für die ganz hoffnungslosen Wiesnjunkies könnte die Sause ja als Online-Meeting stattfinden. Die übrigen Münchner aber werden sich bald wundern, wie so ein Massengelage ohne Sicherheitsabstand mehr als 200 Jahre lang möglich war.

© SZ vom 25.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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