Politik in der Pandemie:Stadtrat im Winterschlaf

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)
  • Wegen der Corona-Pandemie hat Oberbürgermeister Reiter alle Ausschuss-Termine im Januar abgesagt.
  • Die erste Stadtratssitzung wird Ende Januar stattfinden. Dann sollen alle Themen besprochen werden, die nicht länger warten können.
  • Die Fraktion SPD/Volt forderte in dieser Woche, digitale Stadtratssitzungen zu erlauben. Dafür müsste die bayerische Staatsregierung die Rechtsgrundlage ändern.

Von Anna Hoben

Natürlich geht die politische Arbeit trotz des Lockdowns weiter. Aber den sichtbaren, den lebendigen Teil hat die Corona-Pandemie im neuen Jahr weitgehend zum Erliegen gebracht. Das Diskutieren, das Ringen, das Streiten um die besten Entscheidungen für die Stadt. Ausschuss-Termine für den Januar findet man zwar etliche auf der städtischen Internetseite. Aber neben jedem einzelnen steht der Vermerk: "entfällt". Die Vollversammlung am 27. Januar wird für die Politiker die erste Stadtratssitzung des Jahres sein. Dann sollen all jene Themen auf die Tagesordnung kommen, die nicht länger warten können. Alle anderen werden verschoben - bis zum nächsten geplanten Ausschuss-Termin im Februar.

Angesichts stark ansteigender Infektionszahlen hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Dezember in Abstimmung mit den Koalitionsfraktionen entschieden, für den Januar alle Ausschüsse abzusagen. Das traf bei den Stadträten grundsätzlich auf Zustimmung. Angesichts der Lage sei eine Minimierung von Präsenzterminen geboten, sagt Florian Roth, Fraktionsvorsitzender der Grünen. Die Ausschüsse im Januar seien "thematisch meist eher dünn"; für dringende Entscheidungen stehe ja nun die Vollversammlung zur Verfügung. Ähnlich sieht das SPD-Fraktionschefin Anne Hübner. Überall müssten Kontakte beschränkt werden. "Es wäre absurd, sich dreimal in der Woche zu treffen." Vorübergehend sei eine solche Pause also vertretbar, auf Dauer würde es aber freilich zu einem demokratischen Problem führen, wenn die Fachdiskussionen einfach wegfielen.

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Auch die Opposition verweist auf den eher themenarmen Monat Januar. Daher könne man das schon mal machen, sagt Manuel Pretzl (CSU), "aber dann muss man versuchen, wieder in eine normale Stadtratsarbeit zu kommen". Er kritisiert vor allem, wie die Streichung zustande kam: dass die Stadträte nicht in die Entscheidung eingebunden waren, sondern davon "per Brief oder aus der Zeitung erfahren" hätten.

Auch Stefan Jagel (Linke) hat sich "ziemlich geärgert". Man habe sich im Ältestenrat intensiv damit beschäftigt, in welcher Form die Sitzungen stattfinden könnten - und dann habe OB Reiter aus dem Home-Office heraus die Ausschüsse abgesagt. Wenn zudem die Vollversammlung mit nur der Hälfte des Personals stattfinde - so war es im Dezember, und so soll es auch im Januar sein -, seien kleinere Fraktionen benachteiligt, weil sich die fachliche Expertise bei ihnen ohnehin auf weniger Köpfe verteile.

Die städtischen Referate, die Vorlagen erarbeiten und Stadtratsbeschlüsse umsetzen müssen, reagieren unterschiedlich auf die politische Zwangspause. Aus Sicht des Gesundheitsreferats sei die Streichung unproblematisch gewesen, teilt eine Sprecherin mit. Zur Information der Stadträte in der Corona-Pandemie diene ein runder Tisch, der etwa alle zwei Wochen stattfinde, auch virtuell. Das Thema werde auch wie bisher in der Vollversammlung besprochen.

Das Planungsreferat verweist auf die Möglichkeit, dringende Inhalte direkt in die Vollversammlung zu bringen. Man habe mehrere Themen angemeldet, "bei denen Finanzierungen dranhängen oder Vergabebeschlüsse", erklärt ein Sprecher.

Kritischere Töne sind aus dem Kommunalreferat zu hören. Dort herrscht zwar Verständnis dafür, dass besondere Umstände besondere Maßnahmen erfordern. Man hätte sich aber gewünscht, dass Referenten und Fraktionen mit eingebunden worden wären. Die Absage der Ausschüsse sei schon ein Problem, heißt es: Sie habe zu erheblicher Mehrarbeit geführt - und übrigens auch dazu, dass mehrere Tausend Blätter Papier in den Müll gewandert seien. 20 Themen blieben erst einmal liegen, die Entscheidungen zu wichtigen Projekten verzögerten sich. Das Referat nennt etwa einen Grundsatzbeschluss zur Zukunft des städtischen Campingplatzes in Thalkirchen - verschoben von Dezember auf Januar, dann auf Februar.

Doch wie soll es im nächsten Monat überhaupt weitergehen? Ein Ende des harten Lockdowns ist nicht absehbar, die Infektionszahlen bleiben hoch. Ist es nicht Zeit für neue, kreative Lösungen? Die Fraktion SPD/Volt hat in dieser Woche gefordert, digitale Stadtratssitzungen zu erlauben. Dafür müsste die bayerische Staatsregierung die Rechtsgrundlage ändern. Nur so könnten die Politiker ihrer Arbeit nachgehen, ohne sich einem ständigen Gesundheitsrisiko auszusetzen, heißt es von der Fraktion.

Sie verweist darauf, dass auf europäischer Ebene die Verhandlungen zum Handelsabkommen nach dem Brexit digital stattfanden. Dass Staats- und Regierungschefs per Videokonferenz wichtige Themen beraten. Dass im Europäischen Parlament rechtssicher auch aus der Distanz abgestimmt wird. Die Bundes-CDU wählt am Samstag einen neuen Vorsitzenden - in digitaler Abstimmung. Von der bayerischen Staatsregierung aber höre man nur Ausreden, sagt Volt-Stadtrat Felix Sproll. Da würden technische Schwierigkeiten und rechtliche Hürden angeführt. Er findet: "Es ist Zeit, dass der Freistaat seine Blockade aufgibt."

Dass es auch auf kommunaler Ebene gehen kann, zeigt der Blick nach Baden-Württemberg: Dort sind seit vergangenem Mai Ratssitzungen per Videokonferenz möglich. Allerdings machen offenbar nur wenige Kommunen Gebrauch davon: Bis Anfang Dezember hatten nur 24 von 1101 ihre jeweiligen Gemeindeordnungen entsprechend geändert - die Voraussetzung dafür, die digitalen Formate auch in diesem Jahr zu nutzen. Auch Sachsen hat im Dezember die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen. Der Leipziger Stadtrat tagt in der kommenden Woche vollständig digital. Mit einem Tool sind dabei auch geheime Abstimmungen möglich.

Solche Lösungen kann sich auch OB Reiter vorstellen. Sie könnten zwar nur Notlösungen sein - gerade für kontroverse Debatten, in denen oft "mit großer Empathie und viel Engagement" um Entscheidungen gerungen werde, seien digitale Formate kein adäquater Ersatz. Aber: "Bevor die Pandemie uns zwingt, Sitzungen ganz ausfallen zu lassen, wäre es besser, auf sie zurückzugreifen." Schon jetzt fänden fast alle Besprechungen digital statt. Per Live-stream könne die Öffentlichkeit auch jetzt schon Vollversammlungen mitverfolgen. So lange jedoch das Gesetz keine digitale Abstimmung erlaube, bleibe nur, die Sitzungen mit weniger Teilnehmern und unter Einhaltung der Hygieneregeln in Präsenz stattfinden zu lassen.

Digitale Treffen könnten die Atmosphäre von Präsenz-Sitzungen nicht ersetzen, findet auch Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne). Trotzdem sollte die bayerische Gemeindeordnung Ausnahmen für besondere Situationen ermöglichen. Denn dass Ausschüsse gestrichen werden und Vollversammlungen nur reduziert stattfinden, "strapaziert unsere Demokratie und ist auf Dauer schädlich".

© SZ vom 16.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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