Vor Corona-Schließungen:Ein letztes Mal Ekstase

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Letzte Gelegenheit: Am Wochenende wurde in den Münchner Bars (wie hier im Sax) und in den Clubs noch einmal richtig gefeiert. Das Nachtleben hat bald wieder Zwangspause. (Foto: Robert Haas)

Die Milchbar ist randvoll, ins H'ugo's geht es nur mit Test und im Irish-Pub am Sendlinger Tor läuft ein Liverpool-Spiel: München erlebt noch ein letztes Partywochenende, bevor die neuen Corona-Regeln greifen. Wie ergeht es den Nachtmenschen, wenn nun Bars und Clubs wieder schließen?

Von Philipp Crone

"Gottseidank!", sagt der junge Mann, als er von Konstantin aufgefordert wird, den Ärmel hochzukrempeln. Konstantin steht am Samstagabend vor dem Irish-Pub Kennedy's am Sendlinger Tor und drückt seinen Stempel dem Gast aufs Handgelenk. Der schaut sich den Abdruck, ein Guinness-Glas umrahmt vom Kneipennamen, lange an. Es wird wohl für längere Zeit das letzte Mal sein, Stempel auf Haut, erleichternde Einlasserlaubnis, uneingeschränktes Dabei-sein-Gefühl.

Also Ärmel drüber, Maske runter, und rein, das Liverpool-Spiel geht gleich los, später Karaoke, dazu Guinness und Gegröle, so schnell kommt das nicht wieder. Wie ergeht es den Münchner Nachtmenschen, wenn nun Bars und Clubs wieder schließen müssen? Nächste Ernüchterung, neues Entsetzen, ratloses Ergeben, letzte Ekstase? Wo liegt das Gefühl an diesem wieder einmal letzten Feierabend, bevor in dieser Woche die neuen Corona-Regeln greifen?

Zunächst überwiegt im Lokal Sax der Frust, obwohl eigentlich alle Voraussetzungen für einen schönen Ausgeh-Start gegeben sind, zumindest für die eher männlich dominierte Spezial-Spezies des Fußball-Fans. Die Getränke sind kalt, die Schnitzel knusprig, die Leinwände von überall gut zu sehen, und das Lokal ist um 17 Uhr so voll, dass es sich fast wie im Stadion anfühlt, nur warm und mit Service am Platz. Allerdings schießt dann eben Dortmund doch noch das Führungstor gegen den VfB, was den überwiegenden Stuttgart-Fans nicht gefällt, nur der kleinen Löwenrunde, die in weiß-blau den Heimsieg vom Nachmittag feiert und die Aufholjagd der gelben Borussia auf die blöden Roten.

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So weit, so normal, Ausgehen heißt ja auch immer Ausbrechen vom Alltag. Das geht mit Fußball, Freunden, Musik, Getränken oder allem zusammen. Der Alltag ist derzeit aber so übermächtig von der Pandemie geprägt wie die zweite Halbzeit von Dortmunder Torchancen. Torben, 32, sitzt mit Bier auf dem Sofa und sagt: "Die Einschränkungen müssen halt wieder sein." Er glaubt allerdings nicht, dass die schon reichen. "Letztes Jahr haben wir uns in die Hose gemacht bei einer Inzidenz von 100, jetzt bei 1000", sagt der Unternehmensberater.

"Da hat man schon ein bisschen Torschlusspanik gespürt"

Er hat Besuch von einem Freund, sie gehen am Sonntag nochmal zum Eishockey, "das letzte Mal". Sie erzählen, analysieren, als ginge es um altbekannte Spielzüge, nicht um knallharte Einschränkungen. "War ja leider alles vorhersehbar", sagt Torben. Sie waren Freitag noch einmal länger unterwegs, "da hat man schon ein bisschen Torschlusspanik gespürt". Bei den anderen. Ihre eigene Gelassenheit könnte aber natürlich auch, wer weiß das schon so genau, Resignation sein. Wie bei Mara und Magdalena.

Die beiden Frauen sitzen vor der Loretta-Bar, sie haben schon mittags um zwölf das Daydrinking begonnen. "Wir machen einfach das beste draus", sagt die 25-jährige Grafikdesignerin Magdalena. Sie habe auch in den vergangenen Wochen das Feiern und Tanzen nicht gereizt, so ganz sorgenfrei sei man da einfach noch nicht wieder. "Und man muss ja auch klar sagen: Nicht feiern zu können, ist derzeit ja wirklich ein Luxusproblem."

Sie hätten vorhin ohnehin erst einmal googeln müssen, was gerade erlaubt sei und was nicht. "Man kommt nicht mehr mit", sagt Mara. Die 37-Jährige arbeitet bei einer Medien-Agentur, sie sagt: "Der erste Lockdown war ja auf eine Art fast noch aufregend, jetzt ist es einfach nur ein ,schon wieder‛." Ihre Grenze, bei der Achselzucken in Ärger umschwenkt: Wenn man keine Freunde mehr zu sich nach Hause einladen dürfte. "Aber klar, für die 18-Jährigen ist das jetzt wieder richtig scheiße", sagt Magdalena. Wut und Ärger kommen dann ein paar Hundert Meter weiter dazu, vor dem Kennedy's.

Konstantin überwacht vor dem Kennedy`s am Sendlinger Tor die 2-G-plus-Regel. Wer keinen aktuellen Test hat, muss bei der nächsten Teststation vorbeischauen. (Foto: Robert Haas)

Hier soll Konstantin, 20, eigentlich nur die Einlassregeln überwachen. Wobei das mittlerweile auch dauert. Denn bei 2 G plus muss Konstantin den Impfnachweis, den Personalausweis und den an einer Teststation frisch gemachten Schnelltest überprüfen, dazu dann noch das Einchecken in die Luca-App. Aber er ist auch Tröster, Tourist-Guide und Abendretter. "Habt ihr einen Schnelltest?", fragt der Biologie-Student. Manche ja, manche nein.

Ferit, 31, zum Beispiel, wollte "nur auf ein schnelles Bier" noch runter ins Lokal. Geht nicht, er muss um die Ecke zur Teststation, von der gerade drei junge Männer kommen. "Hat alles in allem eine Dreiviertelstunde gedauert", sagt einer von ihnen. "Ohne Scheiß?", sagt Ferit. Er stellt sich trotzdem an. "Ich komme bei den Regeln überhaupt nicht mehr mit", sagt er, "und die Spontaneität in der Freizeit, die sich über den Sommer so ganz langsam wieder entwickelt hat, geht jetzt natürlich wieder verloren." Aber das Bier muss sein, vielleicht erst recht.

Zwei Männer kommen an Konstantins Stehtisch, der sagt: "Wir sind 2 G plus." Ein Fluch. Weg sind sie. Eine Frau in der Schlange, die das gehört hat, ruft "So ein Scheiß!" und läuft zur U-Bahn. Doch die meisten bleiben, lassen sich testen, sie wollen unter allen aktuellen Umständen nochmal feiern. So ist es auch in den Clubs. Die Milchbar wird randvoll am Abend, "die wollten es nochmal wissen", sagt Betreiber Jakob Faltenbacher am Sonntag.

Voll ausreserviert: In H'ugo's Tresor Club tanzen die Gäste am Wochenende ausgelassen. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

Im H'ugo's am Promenadeplatz, ein Lounge-Bar-Club-Restaurant, gibt es sogar ein eigenes kleines Testzelt neben der lokaleigenen Diskothek. Man sei "voll ausreserviert", sagt Pippo, der Chef-Cameriere. Vor dem Kilian's ein paar Meter weiter stehen die Gäste sehr geduldig in der Schlange. Masken werden ab-, Ohrringe eingesetzt, Apps geöffnet, Dokumente entfaltet. Und wer noch einen Test braucht, macht sich in Ruhe auf den Weg.

Hektik gibt es keine am Samstagabend, die ist ja nicht nur an diesem Abend und nicht nur in München etwas abhanden gekommen, vielleicht als eine der wenigen positiven Nebenwirkungen dieser Pandemie. Da nimmt man sich sogar für manches nebensächliche Detail noch Zeit, wie ein junger Mann vor dem Kennedy's. Auch er schaut seinen ersehnten Handstempel lange an, dann pustet er vorsichtig darauf. Dass er auch ja lange nicht abgeht, der letzte Stempel. Es wirkt beinahe wie ein Kuss.

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