Zwei Tage alt ist der Koalitionsvertrag, als man Jamila Schäfer am Freitag am Telefon erwischt. Sie ist geschafft, "die letzten Tage waren noch mal anstrengender als das davor". Aber sie sei sehr zufrieden mit dem Vertrag und froh, dass die neue Regierung jetzt "hoffentlich bald richtig loslegen" kann. Für die Grünen hat die Bundestagsabgeordnete aus dem Münchner Süden in den vergangenen Wochen die Europapolitik mitverhandelt. "Alle unsere Prioritäten sind reingekommen", sagt sie über das Europa-Kapitel. Sie freue sich über die "Abkehr vom Orban-Kuschelkurs", die Stärkung des Europäischen Gerichtshofs, mehr Möglichkeiten für legale Zuwanderung.
Vorvergangene Woche war der Europa-Text fertig, an vier Stellen gab es allerdings noch Klärungsbedarf. Grün-gelb markiert seien diese Stellen gewesen, sagt Schäfer, oder rot-grün - der jeweils dritte Partner war noch nicht ganz einverstanden. Am vergangenen Samstag gab es dann dazu eine Chefrunde, in der sie unter anderem auf den designierten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP) traf. "Das war ein spannender Tag, man hat die ganze Zeit gewartet: Wann bin ich dran?"
Nach außen gedrungen ist aus den Chefrunden praktisch nichts, was Schäfers SPD-Kollege Sebastian Roloff aus München prinzipiell gut fand, aber rein persönlich auch schade. Denn so drangsalierte ihn seine Neugier, was nun drinsteht im Koalitionsvertrag, bis zum vergangenen Mittwoch. Roloff ist wie Schäfer neu im Bundestag, aber im Gegensatz zu ihr nicht im Bundesvorstand seiner Partei, weshalb er wohl auch mehr Geduld aufbringen musste.
Eine Stunde, bevor es an die Öffentlichkeit ging, kam das Papier in seinem Mail-Postfach an. Mit einem Beiblatt, welche Partei welches Ministerium bekommt. "Hoch nervös und gespannt" sei er gewesen, als er den Vertrag endlich anklicken konnte. Seine zwei Berliner Mitarbeiter saßen dabei, und nun galt es, schnell einen Überblick zu bekommen. "Ich habe ihn gleich ganz gelesen und war sehr angetan", sagt er. Und merkt erleichtert an: nicht ganz selbstverständlich für einen, der an der Bundesspitze des linken Parteiflügels steht und nun die FDP als Koalitionspartner hat.
Die große spannende Frage des Wochenendes ist nun für den Neuling Roloff, wie genau die Ministerriege seiner SPD aussehen wird. In der Fraktionssitzung saß er zuletzt mal neben Karl Lauterbach. Ob der nun Gesundheitsminister wird? Roloff ist an den Verteilungskämpfen noch nicht so nah dran wie Schäfer, die nicht nur frisch gewählte Parlamentarierin ist, sondern auch Vize-Bundesvorsitzende der Grünen. Bei denen ging es in den vergangenen Tagen um das Verfahren zur Mitgliederbefragung und die Besetzung der Ressorts. "Das waren nochmal relativ lange Nachtsitzungen", sagt Schäfer. Die Frage, ob Anton Hofreiter oder Cem Özdemir ein Ministeramt bekommt, hatte zu einem Flügelkampf geführt.
Zwei Mitbewohner auf vier Pfoten und eine Wohnung mit "Kasernen-Charme"
Der Start ins ganz normale Parlamentarier-Leben dürfte neben all dem für die 28-jährige Abgeordnete mal wieder ein bisschen kurz gekommen sein. Ein paar Personalgespräche hat sie noch geführt. Ihr Team ist nun vollständig, bis auf die wissenschaftliche Mitarbeit: Die will sie erst besetzen, wenn klar ist, in welchen Ausschüssen sie sitzen wird - was sich in den nächsten beiden Wochen klären dürfte. Außerdem hat sie zwei Wahlkreise bekommen, die sie künftig mit betreuen wird: Weilheim und Altötting. Dort wird sie ab und zu Veranstaltungen machen, ansprechbar sein für Bürgerinnen und Bürger. Darauf freue sie sich, sagt sie, es sei wichtig, auch als Großstadt-Abgeordnete die Perspektive des ländlichen Raums mitzudenken. Außerdem mag sie es, unterwegs zu sein.
Zu Hause in ihrer Wohnung in Berlin hat sie seit dieser Woche eine neue Mitbewohnerin: eine zweite Katze namens Elfie, die nun der ersten namens Momo Gesellschaft leistet. Am Freitag sind die beiden Vierbeiner zum ersten Mal richtig aufeinandergetroffen, und durchs Telefon klingt das Ganze noch ein bisschen nach Flügelkampf. Aber sie werden sich schon zusammenraufen. In der Berliner Wohnung des SPD-Abgeordneten Roloff sollten erst mal Möbel einziehen, bevor er weitere Mitbewohner aufnehmen könnte. Sein Kampf mit einer großen Möbelhauskette aus Schweden wird allmählich aufwendiger als die Koalitionsverhandlungen. Seit Wochen reden und liefern Firma und Kunde aneinander vorbei. Deshalb lebt er weiter in einer Wohnung mit "Kasernen-Charme".
Plötzlich saß die belarussische Oppositionsführerin auf der Tribüne
Dafür ging es bei den Arbeitsplätzen für ihn und seine Mitarbeiter kräftig vorwärts. In Giesing hat er sein Büro bereits bezogen, in Berlin ebenfalls. Man kann davon ausgehen, dass diese auch besser und schneller eingerichtet sind als sein persönliches Quartier in Berlin. Das sei aber nicht schlimm, sagt er, da komme er eh nur kurz zum Schlafen hin.
Vielleicht findet er da dann ein paar Minuten, um die ersten Eindrücke zu verarbeiten. In den beiden vergangenen Wochen erlebte er zwei enorm spannende Sitzungen des Bundestags. Zum einen fassten die Abgeordneten der Ampel-Parteien den Beschluss, wie es mit der Corona-Bekämpfung weitergehen soll. Da spürte Roloff hautnah, wie kompliziert Politik sein kann - und wie schwer zu vermitteln.
Zum anderen ist bei ihm die Sitzung hängen geblieben, in der es um die Geflüchteten an der Grenze von Belarus und Polen ging. Sehr plötzlich und unerwartet wurde ihm bewusst, dass auf der Tribüne die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus Belarus anwesend war, die unter schwierigsten Umständen gegen den Diktator Lukaschenko kämpft. "Da sind fast alle Abgeordneten aufgestanden und haben sie mit "Standing Ovations" begrüßt. Das war sehr bewegend."