SZ-Serie: Bericht aus Berlin:Wie zwei Münchner Bundestagsabgeordnete den Start in Berlin erleben

Lesezeit: 4 min

Selfie im Bundestag: Der Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff hat sich mit seinem prominenten Sitznachbarn im Plenum fotografiert: Michael Müller, bis auf Weiteres noch Regierender Bürgermeister von Berlin. (Foto: Sebastian Roloff)

Die ersten Schritte sind für Neulinge wie Jamila Schäfer und Sebastian Roloff nicht immer leicht: Die neuen Möbel kommen nicht an, ein eigenes Büro gibt es noch nicht - und dann gefährdet ein Corona-Alarm auch noch die Verhandlungen.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

So ein Leben zwischen Berlin und München bringt auch Tücken mit sich, zum Beispiel wenn man es mit einem schwedischen Möbelhändler zu tun hat. Für die Grundausstattung seiner neuen Wohnung in Berlin-Mitte hat Sebastian Roloff vor Kurzem ein paar Möbel bei Ikea bestellt. Ein paar Tage später meldete sich jemand telefonisch: Wo genau in München sich denn die in der Bestellung angegebene Straße befinde? Nein, entgegnete Roloff, das müsse alles nach Berlin. Neue Order, neues Glück: Diese Woche sollte es noch klappen, "ich bin sehr gespannt". Das Möbelhaus hatte offenbar die beiden Adressen im Account kombiniert. Die große Freude aufs Aufbauen ist nicht herauszuhören - dafür habe er einfach "kein Händchen".

In Sachen Wohnungseinrichtung ist also nicht viel vorangegangen; sie beschränkt sich noch immer auf eine Matratze und eine Leiter. Ähnlich provisorisch ist die Ausstattung des Büros, in dem der Münchner SPD-Abgeordnete mit seinem Team im Bundestag arbeitet. Weil Bärbel Bas, bei der er vorerst Unterschlupf gefunden hatte, zur Bundestagspräsidentin gewählt wurde, spielt Roloff immer noch Reise nach Jerusalem. Wo ist noch ein Plätzchen frei? Im Moment und noch bis Januar in einer Bürogemeinschaft mit dem Passauer Abgeordneten Johannes Schätzl und dessen Team.

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Anfangs seien dort drei Rechner verfügbar gewesen, berichtet Roloff - "spannend bei fünf bis sechs Mitarbeitern". Da sei Kreativität gefragt und viel Organisation. Seit Anfang November hat er außerdem ein Wahlkreisbüro in Untergiesing. "Schön und gut erreichbar" sei der Ort, "ich bin froh, dass ich das gefunden habe". Internet gibt es dort schon, Schreibtische sind unterwegs. Ende Oktober hatte Roloff getwittert: "Wenn das Wahlkreisbüro, für das ich morgen den Mietvertrag unterschreibe, 150 m von meiner Stammkneipe entfernt ist, ist das kein Risiko, oder? ODER?!"

Nächste Woche, so hofft auch Jamila Schäfer von den Grünen, wird sie erstmals als Abgeordnete neue Räume beziehen. "Ich bekomme endlich ein Übergangsbüro", freut sie sich. Ein gutes Gefühl für eine neue Parlamentarierin, ein Ankommen, auch wenn es vorerst nur ein Provisorium ist. "Man merkt, ein neuer Abschnitt beginnt. Man kann wirklich anfangen, sich als MdB zu fühlen." Zum MdB, Mitglied des Bundestags, wurde die 28 Jahre alte Politikerin erstmals im September gewählt, und das auf eine in Bayern historische Weise. Sie gewann das erste Mal ein Direktmandat für die Grünen, in ihrem Wahlkreis im Münchner Süden. Dort trat auch der Sozialdemokrat Roloff an, er zog über die SPD-Liste in den Bundestag ein. Die SZ begleitet die beiden bei ihren ersten Schritten als Abgeordnete.

Auch für Politiker in Berlin gilt: Corona ist überall präsent

Im Gegensatz zu Roloff muss Schäfer aber keine Möbel für eine neue Wohnung in Berlin liefern lassen, sie ist Vize-Bundesvorsitzende der Grünen und hat deshalb schon länger ein Domizil in der Hauptstadt. Viel Zeit zum Bummeln hätte sie ohnehin nicht gehabt in den vergangenen zwei Wochen. Der prominente Parteiposten verschaffte ihr einen Platz im Verhandlungsteam für die Koalition mit SPD und FDP, sie kümmerte sich mit elf Kolleginnen und Kollegen intensiv um das Thema Europa. Am 27. Oktober hatte die Gruppe die erste Sitzung, danach haben sich die Verhandlungsteams zweieinhalb Wochen lang fast jeden Werktag von morgens bis abends getroffen.

Aber auch für Politiker in Berlin gilt wie für alle: Corona ist überall präsent. Vor jeder Sitzung wurde getestet, aber ausgerechnet am Tag, als das Ergebnispapier zu Europa fertig werden musste, kamen schlechte Nachrichten: ein Kontakt mit einer infizierten Person zwei Tage zuvor. Raus aus der Sitzung hieß das, und möglichst schnell einen PCR-Test mit Ergebnis im Höchsttempo organisieren. Der war negativ, sie konnte dabei sein beim Finale. "Das hat mich erst mal sehr aufgewühlt", sagte sie. Was es an Abwechslung vom Verhandeln so gab zuletzt? Den Parteitag der bayerischen Grünen am Wochenende kann Schäfer anführen. Und die erste inhaltliche Sitzung im Bundestag, Thema: Pandemie.

Das war natürlich auch für ihren Kollegen Roloff ein Pflichttermin, im Plenum hatte er am Donnerstag fast sechs Stunden lang einen besonderen Sitznachbarn: Michael Müller, Bundestagsabgeordneter aus Berlin, zugleich aber eben auch noch bis auf Weiteres Regierender Bürgermeister der Hauptstadt. Hat Roloff direkt mit einem Selfie festgehalten. Und dann hat er noch seine erste parlamentarische Aufgabe bekommen: Er ist jetzt stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Immunität und Geschäftsordnung. "Klingt unsexy", sagt er, sei für ihn aber sehr spannend. Und ein Anknüpfen an vergangene Zeiten: 2004 war er Praktikant bei der damaligen Ausschussvorsitzenden Erika Simm.

Bei einer Talkshow traf Jamila Schäfer den ehemaligen FC-Bayern-Spieler Paul Breitner. (Foto: privat)

Alle drei bis fünf Tage pendelt er nun zwischen Berlin und München. Von der Hauptstadt sieht er nicht viel, wenn er dort ist - "wenn man es nicht darauf anlegt, kommt man aus Mitte nicht heraus". Den Fahrdienst des Deutschen Bundestags, der den Abgeordneten kostenfrei zur Verfügung steht, habe er noch nicht genutzt. "Ich fahre nur S- und U-Bahn."

Jamila Schäfer ist viel mit dem Rad unterwegs, und dazu öfters auch im Fernsehen. Dort ist sie kürzlich bei einer Talkshow auf den früheren Fußballstar Paul Breitner getroffen, der ihr sehr imponiert hat. "Er setzt sich für viele soziale Projekte ein, hat sogar selbst welche gegründet." Danach gab es noch ein gemeinsames Foto, das vor allem einen Jamila-Schäfer- und Fußball-Fan besonders gefreut hat: "meinen Papa". Für Familie und Freunde war seit der Wahl wenig Zeit, am Wochenende will Schäfer das unbedingt ändern, "mit Leuten abhängen", die nicht den ganzen Tag Berliner Politik im Kopf haben. Das soll nicht nur andere Gedanken mit sich bringen, sondern eventuell auch ein neues Outfit: "Ich treffe zwei Freundinnen zum Kleidertausch."

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SZ-Serie: "Bericht aus Berlin"
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